Zu Besuch beim Schweizer Wolfsdetektiv
Alle getöteten Wölfe landen zum Schluss in seinem Labor

Keiner weiss mehr über die Rückkehr der Raubtiere in die Schweiz als Luca Fumagalli: Mittels DNA-Analysen verfolgt er sie seit 25 Jahren. Wegen der Wolfsjagd landen derzeit besonders viele Proben getöteter Tiere bei ihm.
Publiziert: 04.02.2024 um 15:18 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2024 um 14:41 Uhr
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Lino SchaerenRedaktor

Luca Fumagalli (58) ist der Wolfsdetektiv der Schweiz. 1999 heftete sich der Zoologe an die Fersen der Grossraubtiere – ohne bis heute jemals einen wild lebenden Wolf zu sehen.

Der gebürtige Tessiner leitet das hoch spezialisierte Laboratoire de Biologie de la Conservation (LBC) an der Universität Lausanne, das einzige Labor in der Schweiz, das DNA-Analysen bei Grossraubtieren durchführt. Alle zwei Wochen trifft ein Paket mit Proben ein. Absender ist das Institut Kora, das im Auftrag des Bundes den Wolfsbestand in der Schweiz überwacht und dokumentiert.
Meist sind es Speichel, Kot oder Haare, die Wölfe im Feld hinterlassen. Gewebeproben bekommt Fumagalli selten zu sehen. Doch wegen der proaktiven Wolfsregulierung endete in den letzten beiden Monaten die Reise vieler erlegter Tiere auf seinem Labortisch: Es ist die Aufgabe seines Teams, nach deren Tod die Identität der Tiere festzustellen.

Fumagalli von seiner Arbeit «berührt»

Die Sonderjagd im Dezember und Januar hat bisher zu 32 bekannten Wolfsabschüssen geführt, 27 davon alleine im Wallis. Die Kadaver werden im Tierspital der Universität Bern einer Autopsie unterzogen, das kleine Team des Instituts für Fisch- und Wildtiergesundheit arbeitete deshalb zuletzt am Anschlag.

Zoologe mit Wolfsschädel: Luca Fumagalli untersucht an der Uni Lausanne die Genetik des Grossraubtiers.
Foto: Darrin Vanselow
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Nach der Autopsie wird eine Probe nach Lausanne ins Labor geschickt – meist ein Stück Muskelfleisch. Die DNA-Analyse zeigt den Kantonen, ob bereits bekannte Wölfe geschossen wurden oder ob Tiere vor die Flinte gelaufen sind, deren Präsenz bisher nicht bekannt war.

Für Fumagalli und seine Mitarbeiter stellt diese Arbeit keine grosse Herausforderung dar. Die wissenschaftliche Analyse von Gewebeproben ist weniger komplex, weil die DNA gut erhalten ist. Dennoch hat die Arbeit etwas Spezielles: Fumagalli erfährt vom Tod von Wölfen, die er gekannt hat, ohne ihnen jemals räumlich nahe gekommen zu sein – darunter Tiere, deren Erbgut er über Jahre immer wieder in Proben sicherstellen konnte. «Ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, dass mich das nicht berührt», sagt der Professor.

Er ist weder für noch gegen den Wolf

In die hitzige Diskussion über den neuen Ansatz, den Bundesrat Albert Rösti in der Wolfsregulierung gewählt hat, will er sich nicht einmischen. «Politik hat im Labor nichts verloren. Für oder gegen den Wolf zu sein, macht für mich keinen Sinn. Ich bin ein Wissenschaftler, der das Erbgut untersucht und sich auf objektive Daten stützt», sagt Fumagalli. «Politische Entscheidungen müssen von anderen getroffen werden.»

Während der Wissenschaftler die Wolfspolitik ausblendet, dient seine langjährige Forschung als wichtige Grundlage für den politischen Umgang mit dem Grossraubtier. Die Daten aus Fumagallis Labor dokumentieren, wie der Wolf in den 1990er-Jahren wieder in die Schweiz eingewandert ist und wie er sich ausgebreitet hat. Der erste hierzulande identifizierte Wolf – Kennzeichnung M01 – verendete im November 1998: Das Tier war in Reckingen VS Wilderern zum Opfer gefallen. Seither hat Fumagalli in seiner Wolfsdatenbank mehr als 550 weitere DNA-Profile angelegt, die meisten davon in den letzten Jahren.

Das sogenannte genetische Monitoring dient dem Institut Kora als Basis, um die Anzahl der Wölfe im Land zu ermitteln und zeigt, wie sie wandern sowie von welchen Rudeln sie abstammen.

Fumagalli hat keinen Einfluss darauf, welche Proben sein Labor zu sehen bekommt. Sie werden von den Wildhütern im Feld gesammelt, häufig sind es Speichelproben aus Bisswunden von gerissenen Tieren. Über die Proben weiss Fumagalli nichts, um die Resultate nicht zu verfälschen – dabei kann es für die Tiere um Leben und Tod gehen: Dann nämlich, wenn ihnen mithilfe der DNA-Analyse genügend Schafrisse nachgewiesen werden können, um einen Abschuss zu rechtfertigen.

Eine Identifikation gelingt nicht immer. Die genetische Analyse kleinster Spuren ist schwierig und aufwendig, ein individueller genetischer Pfotenabdruck kommt lediglich in 60 Prozent der Fälle zustande.

«Nur noch DNA gesehen»

Die Nachfrage nach solchen Analysen ist in den letzten Jahren rasant angestiegen – ebenso wie die Wolfspopulation. Waren es vor 20 Jahren noch ein paar wenige pro Jahr, kann Kora inzwischen längst nur noch die aussichtsreichsten von Tausenden Proben ins Labor schicken, die aus den Kantonen eingehen. Und das trotz einer neuen Analysemethode, die Fumagalli in den letzten Jahren entwickelt hat. Sie liefert Resultate in zwei statt bisher fünf Wochen. Deren Entwicklung hat das Team stark gefordert und dem Laborleiter Albträume beschert: «Nachts bin ich manchmal erwacht und habe nur noch DNA über meinem Kopf gesehen», sagt er und lacht.

Der Effort hat sich gelohnt: Die jährliche Kapazität konnte von 400 auf 2000 Analysen erhöht und der Preis pro Probe halbiert werden. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) zahlt jährlich rund 300 000 Franken für das genetische Wolfsmonitoring – nicht zuletzt dafür, dass Luca Fumagalli mit seinem Team an der Universität Lausanne den Wölfen auch bei weiter steigenden Kopfzahlen auf der Spur bleibt.

Der Zoologe sieht die grosse Nachfrage als Ansporn, die Genanalyse immer weiterzuentwickeln. Aber irgendwann, sagt er, möchte er dann doch noch einen Wolf in freier Wildbahn sehen … 

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