Züchtigungen und Missbrauch in religiöser Schule in Kaltbrunn SG – jetzt spricht die Frau des Ex-Pfarrers
«Ja, ich habe Kinder bestraft und geschlagen»

Jahrelang wurden Kinder an einer hauseigenen Schule einer Freikirche in Kaltbrunn SG geschlagen. Eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft musste eingestellt werden. Jetzt spricht die Frau des ehemaligen Pfarrers.
Publiziert: 18.12.2022 um 14:24 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2022 um 08:50 Uhr

Bei der Evangelischen Gemeinde Hof Oberkirch SG sollen Kinder in der dazugehörigen Schule körperlich gezüchtigt, psychisch misshandelt und angeblich sogar vergewaltig worden sein.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat im Oktober wegen der Verjährung der Vorfälle ein entsprechendes Verfahren gegen die Schule eingestellt.

«Ich möchte, dass die Geschichte der Gemeinde endlich aufgearbeitet wird – und dass die damals wie heute Verantwortlichen dazu stehen», sagt nun Ex-Sektenmitglied Helga T.* zur «SonntagsZeitung». Sie war die Frau eines ehemaligen Pfarrers, der von 1995 bis 2002 in der Gemeinde predigte. In dieser Zeit soll es zu den Züchtigungen der Schulkinder gekommen sein.

Die Christliche Schule Linth in Kaltbrunn SG macht mit Missbrauchsvorwürfen Schlagzeilen.
Foto: Google maps
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Eltern wollten, dass Kinder gezüchtigt werden

Helga T. war Opfer wie auch Täterin: Sie schlug die Schulkinder, wurde jedoch zu Hause von ihrem Mann ebenfalls geprügelt und vergewaltigt. Die Prügel für die Schulkinder gingen meist von ihrem Mann aus, aber auch Helga T. sagt: «Ja, ich habe Kinder bestraft und geschlagen, was ich zutiefst bereue. Ich möchte mich öffentlich bei den Opfern von Herzen dafür entschuldigen.» Sie sei jedoch auch von den Eltern dazu angehalten worden, die ihr anvertrauten Kinder zu züchtigen.

Der Pfarrer habe seine Frau mit Gehirnwäsche und Psychoterror dazu gebracht, auch die eigenen Kinder zu misshandeln. Zur «Ausbildung» sei Helga T. nach Südafrika in die Zentrale der Sekte geschickt worden, wo eine Frau sie und ihren damals anderthalbjährigen Sohn mit in eine Hütte nahm. Dort musste sie ihm Hose und Windel herunterziehen und ihn mit einem Gürtel schlagen. «Als ich zu wenig hart zuschlug, korrigierte sie mich und zeigte mir, wie ich mit voller Kraft prügeln sollte.» Sie habe dies dann zu Hause angewendet – weil man ihr drohte, die Kinder wegzunehmen.

Im Maisfeld dachte sie, sie würde sterben

Die Sekte und den Mann zu verlassen, hat sich Helga T. schliesslich doch noch getraut. Unter Tränen schildert sie der «SonntagsZeitung», wie sie 2002 von ihrem damaligen Mann abgeholt und auf ein Maisfeld geführt wurde. Mitten im Feld befahl er ihr: «Auf die Knie!» «Ich dachte, er bringt mich jetzt um», erinnert sich Helga T. «Dort auf diesem Maisfeld sagte ich mir: Jetzt verlasse ich ihn. Denn entweder sterbe ich oder er.»

Das Sorgerecht für die jüngste Tochter hat Helga T. nach der Trennung erhalten, die anderen Kinder blieben beim Vater und bewegen sich nach wie vor in evangelikalen Kreisen. Der Prediger musste 2002 seinen Posten räumen – unter anderem, weil er von seiner Frau verlassen wurde.

«Alle wussten davon»

Er kehrte in seine alte Heimat Rumänien zurück. Die Gemeinde und die Schule hatten den Namen gewechselt und einen Untersuchungsbericht in Auftrag gegeben. Dieser zeigte systematische körperliche Züchtigung von Schülern bis hin zu sexuellem Missbrauch auf. Doch die Schuld allein ihrem Ex-Mann zu geben, hält Helga T. für verfehlt. «Alle wussten davon und unterstützen es», sagte sie in einem früheren Medienbericht im «Tagblatt».

Heute besuchen noch rund 40 Kinder die christliche Schule. In einer öffentlichen Stellungnahme hat die Gemeinde sich kürzlich für die Vorkommnisse entschuldigt und betont, dass es seit 2002 keine Vorfälle mehr gegeben habe. (ct)

*Name geändert

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