IV muss Andreas Gross (61) aus Wallisellen ZH nach Gerichtsurteil Rente zahlen – tut das aber nicht
«Man spielt ein böses Spiel mit mir!»

Andreas Gross (61) ist verzweifelt: Dem Walliseller steht seit Februar 2021 eine volle IV-Rente zu – das hat das Zürcher Sozialversicherungsgericht vergangenen November entschieden. Doch bisher hat der Deutsche noch kein Geld erhalten und muss vom Sozialamt leben.
Publiziert: 05.08.2024 um 23:45 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2024 um 06:59 Uhr
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Qendresa LlugiqiReporterin News

Andreas Gross (61) aus Wallisellen ZH ist müde, wütend und traurig. 19 Jahre lang arbeitete der Dachdecker hart auf verschiedenen Baustellen der Schweiz und zahlte hier Sozialabgaben. Er hat damit ein System mitgetragen, das einen in Notfällen finanziell auffangen soll. Etwa nach einem Unfall oder bei Krankheiten – wie es bei Gross leider passiert ist.

Doch der Deutsche wartet seit Jahren auf diese helfende Hand. Obwohl ihm sogar per Gerichtsentscheid von November 2023 eine volle IV-Rente rückwirkend ab dem 1. Februar 2021 zusteht, hat er bisher keinen einzigen Rappen gesehen. Auch liegt keine Abrechnung vor, aus der hervorgeht, wie viel Gross zusteht. Zu Blick sagt er: «Ich bin am Ende meiner Kräfte. Man spielt ein böses Spiel mit mir!»

Kranker Körper

Alles begann mit einem Arbeitsunfall: Beim Bau eines Schulvordachs hob ein Kran eine Mulde zu schnell an, gleichzeitig hing diese schief und wippte hin und her. Damit die Mulde das Gebäude nicht beschädigt, versuchte Gross, diese zu bremsen – und riss sich dabei alle Sehnen im rechten Arm. Heute besitzt er rechts daher nur noch ein Minimum an Kraft und kann höchstens sieben Kilo heben. Auch kamen weitere gesundheitliche Schwierigkeiten hinzu: Vorhofflimmern, Gicht, Rheuma sowie Probleme mit Bandscheiben und Lendenwirbeln.

Andreas Gross (61) aus Wallisellen ist enttäuscht.
Foto: Qendresa Llugiqi
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Gemäss den Unterlagen des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich meldete sich Gross am 12. April 2019 erstmals bei der IV an, um Leistungen zu beziehen. Rund ein Jahr später verneinte die IV-Stelle der Sozialversicherungsanstalt (SVA) Zürich einen Rentenanspruch. «Mein Hausarzt konnte diesen Entscheid nicht nachvollziehen, ich auch nicht. Also gingen wir dagegen vor.»

Dies ist auch in den Gerichtsunterlagen festgehalten. Dort heisst es: «Am 28. August 2020 meldete sich der Versicherte erneut zum Leistungsbezug an. Die Beschwerdegegnerin tätigte in der Folge medizinische und erwerbliche Abklärungen.» Rund drei Jahre später wurde ein Rentenanspruch wieder verneint.

Leben vom Sozialamt

Gross holt sich einen Anwalt und wehrt sich gegen die Verfügung. Das Sozialgericht des Kantons Zürich gibt ihm mit dem Urteil von Mitte November 2023 recht. Ihm wird rückwirkend per 1. Februar 2021 eine volle Rente zugesprochen. Gross sagt: «Ich hoffte, dass endlich Ruhe einkehrt und ich das bekomme, was mir zusteht.»

Doch nichts da! Auch als Blick den 61-Jährigen Ende Juli trifft, hat er noch keinen Rappen gesehen. Enttäuscht sagt Gross: «Ich lebe mit dem Existenzminimum vom Sozialamt, während die Behörden sich Zeit lassen und alles unnötig in die Länge ziehen.» Im Frühling musste Gross weitere Unterlagen einreichen, hat aber seither nichts mehr gehört.

Zunächst voll arbeitsfähig

Wieso die IV-Stelle der SVA Zürich eine Rente zunächst ablehnte, erklärt Kommunikationsleiterin Daniela Aloisi so: «Die IV-Stelle attestierte eine 100-Prozent–Arbeitsunfähigkeit als Dachdecker. Sie kam aufgrund der vorliegenden Arztberichte jedoch zum Schluss, dass Herr Gross in einer angepassten Tätigkeit voll arbeitsfähig ist.»

Erst eine Überprüfung durch den regionalen ärztlichen Dienst habe aufgezeigt, dass «zusätzlich zu den Erkrankungen des Bewegungsapparats weitere Einschränkungen berücksichtigt werden müssten», so Aloisi. «Deshalb wurden im Gerichtsverfahren die Einwände durch die IV-Stelle anerkannt und einer vollen Erwerbsunfähigkeit zugestimmt.»

Fall für IV abgeschlossen

Laut Aloisi ist für die IV-Stelle der Fall von Gross abgeschlossen. Doch: «Für die Berechnung der Höhe der IV-Rente und die Auszahlung ist die Ausgleichskasse zuständig.» Aufgrund der im Dossier vorhandenen Informationen habe die IV-Stelle zuerst die Ausgleichskasse des Kantons Zug avisiert, wo Gross über seinen Ex-Arbeitgeber zuletzt Leistungen eingezahlt habe. «Diese meldete im März, dass die Zuständigkeit zwischenzeitlich bei der Ausgleichskasse für Versicherte im Ausland ist. Also die Ausgleichskasse 27.»

Hiermit ist die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) in Genf gemeint. Sie ist zuständig, sobald Leistungen der AHV oder IV ins Ausland fliessen, wie etwa im vorliegenden Fall: Zwar ist Gross in Wallisellen gemeldet, sein Sohn (21) lebt und studiert aber in Prag, wodurch ein Anspruch auf eine schweizerische IV-Kinderrente im Ausland bis zum 25. Altersjahr vorliegt.

Hoffnung ab August

Markus Odermatt, Leiter Direktionsstab der ZAS, sagt auf Anfrage: «Das Dossier von Herrn Gross wird derzeit bei uns bearbeitet.» Er weist darauf hin, dass die Ausgleichskasse noch Anfang April weitere Unterlagen für die Rentenberechnung gefordert habe. Diese seien durch die Stadtverwaltung Wallisellen Anfangs Juni 2024 unvollständig zugestellt worden. Ende Juni seien gar Dokumente in tschechischer Sprache eingereicht worden.

Doch für Gross gibt es Hoffnung: Laut Odermatt erfolgt voraussichtlich im Laufe des Monats August 2024 eine Verfügung. «Dort ist die Rentenhöhe ersichtlich.» Dann sollte endlich Geld fliessen.

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