«Brian drohte, mich zusammenzuschlagen»
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Freispruch für Ärzte:«Brian drohte, mich zusammenzuschlagen»

13 Tage ans Bett gefesselt – Ärzte im «Fall Carlos» freigesprochen
«Brian drohte, mich zusammenzuschlagen»

Drei Ärzte, die vor Jahren den Straftäter Brian (24) betreuten, standen heute vor Bezirksgericht Zürich. Sie mussten erklären, warum sie den damals 15-Jährigen während fast zwei Wochen ans Bett fesselten. Alle drei Ärzte wurden freigesprochen.
Publiziert: 26.08.2020 um 11:09 Uhr
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Aktualisiert: 26.08.2020 um 21:38 Uhr
Michael Sahli

Dauer-Delinquent Brian K.* (24) alias «Carlos» steht mal wieder vor Gericht. Diesmal allerdings nicht als Täter – sondern als Opfer. Auf der Anklagebank sitzen drei Ärzte der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK), die im Jahr 2011 den damals 15-jährigen Brian behandelten. Dabei sollen die Ärzte massiv zu weit gegangen sein.

Nun ist das Urteil da: Alle Ärzte wurden freigesprochen. Sie erhalten jeweils 40'000 Franken Entschädigung.

Laut Anklageschrift fesselten die Psychiater den Jugendlichen bis zur «absoluten Bewegungslosigkeit» und verabreichte ihm einen Cocktail von zehn verschiedenen Medikamenten, um ihn ruhigzustellen. Dieses Fesseln dauerte, fast durchgehend, 13 Tage lang. Den involvierten Ärzten drohen wegen Freiheitsberaubung bedingte Haftstrafen und Geldstrafen.

13 Tage lang ans Bett gefesselt, fast absolute Bewegungslosigkeit: So stellten die Ärzte damals den 15-jährigen Brian alias «Carlos» ruhig.
Foto: Screenshot SRF
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«Er hat mich bespuckt»

Brian selber erschien am Mittwochmorgen tatsächlich im Gerichtsgebäude, nachdem er sich bei der letzten Verhandlung nicht einmal von einem Sondereinsatzkommando zur Teilnahme am eigenen Prozess hatte überzeugen lassen. Brian sass allerdings nicht im Gerichtssaal, sondern beobachtete die Verhandlung per Videoübertragung von einem Nebenzimmer aus. Der Dauer-Delinquent liess seinen Anwalt für sich sprechen.

Bewacht wurde der heute 24-Jährige von vier Polizisten. Er trug eine Trainerhose, das Haar nun kurz geschnitten. Und Brian sah aufgedunsen aus, offensichtlich scheint ihm die Haft nicht gut zu bekommen. Kurz nach 14 Uhr klingelte dann im Gerichtssaals das Telefon. Brian hat offenbar keine Lust mehr auf die Verhandlung. «Er will zurück in die Pöschwies», informierte das Gericht die Anwesenden. Die Verhandlung ging also ohne Brian weiter.

Die drei angeklagten Ärzte sehen sich als unschuldig. «Es handelte sich um einen aussergewöhnlichen Patienten», erzählte der Hauptangeklagte. Die Luft sei «zum Schneiden» dick gewesen. «Er hat mich bespuckt, mich als degeneriert beschimpft. Und er drohte, mich zusammenzuschlagen.» Er sei von einer hohen Selbst- und Fremdgefährdung ausgegangen, so der Arzt. Es habe schlicht keine andere Option als die «7-Punkt-Fixierung» für den 15-Jährigen gegeben. Es habe zum damaligen Zeitpunkt schlicht keine andere Möglichkeit als die Fesselung gegeben. Nachfragen zu alternativen Behandlungsmöglichkeiten, etwa einem Isolationszimmer, liess der Arzt «auf Anraten seines Anwalts» unbeantwortet.

Heisses Wasser über Aufseher gekippt

In der Psychiatrie landete Brian mit 15 Jahren nachdem er einen anderen Jugendlichen mit einem Messer verletzt hatte. In Untersuchungshaft versuchte der junge Mann dann, sich das Leben zu nehmen. Deshalb wurde er in die geschlossene Psychiatrie verlegt.

Die Befragung zeigte auch, dass Brian den Strafvollzug schon als 15-Jähriger an den Rand der Überforderung brachte. So habe er im Juli 2011 die Information bekommen, dass er in eine Isolierzelle müsse. In der Folge habe er «Wasser heiss gemacht und einem Aufseher über den Kopf gekippt», erläuterte der Hauptangeklagte. Einem anderen Aufseher schlug der Jugendliche ins Gesicht.

Auch in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich habe der Dauer-Delinquent vor der 13-Tage-Fesselung schon ein Isolationszimmer «zerlegt», wie es einer der Angeklagten formulierte. «Trotz Medikation». Erst als Brian nach Rheinau verlegt wurde, habe sich die Situation langsam entspannt.

«Er konnte nur den Kopf ein paar Zentimeter bewegen»

Für den Staatsanwalt ist klar: Heute ist Brian Opfer und nicht Täter. Man würde es sich auch zu einfach machen, wenn man den Dauer-Delinquenten reflexartig als «selber schuld» abstempeln würde. «Thema heute ist, wie die Psychiatrie mit dem damals 15-Jährigen Jugendlichen umgegangen ist», so der Ankläger. Und was dem jungen Mann passierte, sei schlimmer als im Film «Das Schweigen der Lämmer».

Sogar das Wort «Folter» fiel im Plädoyer. «Er war völlig bewegungsunfähig, konnte nur den Kopf ein paar Zentimeter bewegen. So musste er essen, schlafen und seine Notdurft verrichten.» Diesen Zustand 13 Tage ertragen zu müssen, sei «die schlimmste Form der Freiheitsberaubung». Dazu seien die Maximaldosen der Medikamente für Jugendliche überschritten worden. Er fordert für den behandelnden Arzt eine bedingte Gefängnisstrafe von 14 Monaten. Zwei weitere Ärzte sollen wegen Gehilfenschaft zu hohen Geldstrafen verurteilt werden.

Das Gericht sah das anders. Nach einer einstündigen Beratung fiel das Urteil: Alle drei Angeklagten werden freigesprochen. «Es bestand eine von Gewalt geprägte Vorgeschichte und ein zweifacher Suizidversuch», begründete der Richter. Dass die 13-Tage-Fesselung grenzwertig war, sieht auch er. Es habe sich jedoch um eine «extreme Ausnahmesituation» gehandelt. Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich sei schlicht «nicht geeignet» gewesen, Brian zu behandeln

* Name bekannt

Entscheid im Fall Carlos
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«Es ist ein strenges Urteil»:Entscheid im Fall Carlos
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