Wende im Zürcher Kunststreit
Bührle-Stiftung legt Verträge offen

Das Kunsthaus und der Leihgeber versuchen es mit Transparenz: Sie handeln einen neuen Vertrag für die 203 Werke aus – und wollen den künftigen wie den bisherigen Deal auf den Tisch legen.
Publiziert: 12.12.2021 um 12:27 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2022 um 18:59 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Es gibt auch Good News über das Kunsthaus Zürich zu vermelden: Der Neubau des britischen Architekten David Chipperfield hat sich seit der Eröffnung im Herbst zum Publikumsmagneten entwickelt. Was zu einem guten Teil an den 203 Werken der Bührle-Sammlung liegen dürfte, die zu betrachten sind – und vielleicht auch am Medienrummel, den der Streit um die Herkunft der Objekte ausgelöst hat.

Einer Gruppe gleich gesinnter Historiker und Publizisten ist es gelungen, Politik, Kunsthaus und Bührle-Stiftung derart in die Defensive zu treiben, dass die Provenienzforschung der Stiftung extern begutachtet werden soll. Was lange abgeblockt wurde, geschieht nun mit dem Segen von Stadtpräsidentin Corine Mauch und Regierungsrätin Jacqueline Fehr. Überdies wird die Dokumentation für die Besucherinnen und Besucher weiter ausgebaut.

Glasnost am Pfauen

Die Folgen der Fehde bisher: gefriergetrocknete Gemüter, Misstrauen auf allen Seiten. Jetzt aber wagen die Angeschossenen einen Befreiungsschlag. Wie SonntagsBlick von mehreren Beteiligten übereinstimmend zugetragen wurde, haben Bührle-Stiftung und Kunsthaus-Leitung beschlossen, den bislang vertraulich gehaltenen Leihvertrag offenzulegen.

Der Erweiterungsbau von David Chipperfield des Zürcher Kunsthauses ist seit seiner Eröffnung im Herbst ein Publikumsmagnet.
Foto: Keystone
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Die Frage lautet nicht mehr, ob, sondern nur noch wann. Glasnost am Pfauen. Voraussichtlich Anfang nächsten Jahres.

Mehr Transparenz soll helfen

Das Ziel der neuen Strategie besteht offenkundig darin, verlorene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Da kann mehr Transparenz auf keinen Fall schaden. Hinzu kommt: Der bisher geltende Vertrag wird durch einen anderen ersetzt. Den neuen Deal handeln die Parteien derzeit aus, abseits vom Lärm der international ruchbar gewordenen Kontroverse. Er soll ebenfalls, so der Plan, auf den Tisch kommen – und dem Vernehmen nach dem Kunsthaus eine flexiblere Handhabe bei der Kuratierung der Bührle-Werke ermöglichen.

Aufseiten der Stiftung hüllt man sich auf Anfrage in Schweigen: No comment.

Die Aktion dürfte jenen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen, die den Verantwortlichen Geheimnistuerei vorwerfen. Andere sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem «Ablenkungsmanöver». Zumal in Zürich von links der politische Druck wächst, den im Besitz der Stiftung befindlichen Nachlass des umstrittenen Waffenfabrikanten Emil G. Bührle (1890–1956) in eine Schenkung umzuwandeln.

Rechtlich heikel

Dieses Unterfangen wäre rechtlich jedoch ein äusserst heikler Drahtseilakt. Denn die Grundlagen der Bührle-Stiftung haben testamentarischen Charakter und sind damit verbindlich.

Widerstand aus dem Bührle-Lager gegen jegliche politische Einflussnahme ist bereits angekündigt. Stiftungsdirektor Lukas Gloor bezeichnete die geplante Evaluation vor wenigen Wochen gegenüber SonntagsBlick als «Übergriff» und stellte unmissverständlich klar: «Wenn jetzt die Stadt Zürich dem Kunsthaus diktiert, wie die Sammlung Emil Bührle dem Publikum zu erklären ist, können wir nicht mehr mitmachen.»

Provenienzforschung auch in Bern

Provenienzforschung, die Überprüfung von Kunstwerken auf frühere Besitzer, ist nicht bloss eine Zürcher Angelegenheit. Am Freitag verkündete das Kunstmuseum Bern den Abschluss von Forschungsarbeiten über 1600 Werke, den ihm vermachten Nachlass von Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (1895–1956). Die Stiftung des Kunstmuseums wird zwei Aquarelle von Otto Dix an die Erben des früheren Eigentümers zurückgeben. Dass dieser Entscheid an der Aare ohne den eindeutigen Raubkunst-Nachweis fiel, dürfte an der Limmat für einen erhöhten Adrenalinspiegel gesorgt haben.

Auch Bundesbern wird sich mit dem Thema beschäftigen müssen. Der Bündner SP-Nationalrat Jon Pult hatte am Donnerstag eine Motion für die Einrichtung einer «Unabhängigen Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter» eingereicht. Ein solches nationales Gremium würde im Streitfall Empfehlungen pro und kontra Rückgabe abgeben.

Prominente Mitunterzeichner

Man könnte Pults Vorstoss in der Debatte als Randnotiz werten, wäre da nicht das prominente Feld der Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichner. Von Mitte-Präsident Gerhard Pfister über FDP-Fraktionschef Beat Walti bis SP-Co-Präsident Cédric Wermuth sind zahlreiche politische Schwergewichte dabei. Pult konnte Unterstützer aus sämtlichen Fraktionen gewinnen.

Das Ansinnen dürfte damit reale Chancen haben – und Kulturminister Alain Berset würde ausgerechnet von einem Parteigenossen gezwungen, sich nach Jahren des Desinteresses der Thematik zu widmen. Bislang nämlich teilte das Bundesamt für Kultur (BAK) mit, dass man für eine solche Kommission «keinen Bedarf» sehe, da es «bis dato nur wenige strittige Einzelfälle im Bereich der NS-Raubkunst» gebe.

Medienkonferenz am Mittwoch

Pult lancierte seine Motion mithilfe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) und des Kunstrechtsexperten Andrea Raschèr, der in dem Bereich als Berater tätig ist.

Das Kunsthaus Zürich und die Bührle-Stiftung werden diese Woche ihre Position darlegen. Sie haben zu einer Medienkonferenz am Mittwoch eingeladen. Über mangelndes Interesse dürften sie sich nicht zu beklagen haben.

Denn auch an diesem Wochenende werden sich Besucherinnen und Besucher wieder vor den Meisterwerken von Monet, Cézanne, van Gogh, Courbet und Renoir im Chipperfield-Bau drängen.

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