Zwei Suizide erschüttern Stadtpolizei Winterthur
Stimmung im Polizeikorps war schon seit Jahren am Boden

Polizisten sprechen nach den Suiziden zweier Kollegen von Führungsfehlern im Korps. Die Probleme bestehen nach Blick-Informationen schon länger.
Publiziert: 19.02.2022 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2022 um 09:24 Uhr
In Winterthur kam es bei der Stadtpolizei in einem Jahr zu zwei Suiziden. Die Mitarbeitenden stehen unter Schock.
Foto: Céline Trachsel
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Céline Trachsel

Ein langjähriger Quartierpolizist der Stadtpolizei Winterthur hat sich vor einer Woche auf dem Posten selber umgebracht. Ein zweiter nahm sich letzten Sommer auf einer Wanderung das Leben. Nach den zwei Suiziden innert kurzer Zeit stehen die Mitarbeiter unter Schock.

Wie Blick berichtete, sehen viele Polizeikolleginnen und -kollegen den Grund in der Führungskultur und im Verhalten einzelner Personen. Das geht aus internen Schreiben hervor. Der Polizeibeamtenverband Winterthur (PBV) verlangt in einem Forderungskatalog unter anderem, dass Führungsfehler nun identifiziert, benannt und beseitigt werden müssen, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederhole.

Stadtrat soll Administrativuntersuchung bewilligen

«Der Polizeibeamtenverband der Stadt Winterthur ist zutiefst erschüttert über die traurige Nachricht vom Tod eines geliebten Kollegen und Freundes. Mit ihm verlieren wir innerhalb eines Jahres einen zweiten Kollegen durch einen Freitod», lässt sich PVB-Präsident Cornel Borbély zitieren. «Viele Fragen sind ungeklärt. Wir fordern von Politik und Polizeiführung eine lückenlose und umfassende Aufklärung.»

Die Vorsteherin des Departements Sicherheit und Umwelt, Stadträtin Katrin Cometta, stellte unterdessen den Antrag auf eine umfassende Administrativuntersuchung. Der Stadtrat muss diesen noch bewilligen.

Burnout-Welle vor fünf Jahren

Doch es brodelt nicht erst seit einem halben Jahr im Winterthurer Korps. 2017 war die Hälfte aller Kaderleute bei der Stadtpolizei krankgeschrieben, wie der «Landbote» berichtete. Rund ein halbes Dutzend Kaderangestellte hatten ein Burnout, waren teilweise monatelang krankgeschrieben. Mindestens vier von ihnen gaben in dieser Zeit ihre Stelle schliesslich ganz auf.

Die damalige Polizeistadträtin Barbara Günthard-Maier gab an, dass Sparprogramme für die Probleme verantwortlich seien, gleichzeitig seien die Aufgaben der Beamten kontinuierlich gewachsen. Doch aus dem rund 250-köpfigen Korps war schon damals Kritik an der politischen Führung laut geworden, wie der «Landbote» schrieb. Das Entlastungsprojekt «Roadmap20» blieb ein Jahr lang liegen.

Probleme seien Schichtarbeit, tiefer Lohn und alter Polizeiposten

Die Reorganisation «Roadmap20» wurde schliesslich 2018 doch noch umgesetzt. Doch auch diese machte nicht alle Stadtpolizisten glücklich. Bei einer anonymen Personalumfrage innerhalb der Stadtverwaltung gaben 2019 viele Polizisten und Polizistinnen miese Zufriedenheitswerte an, wie die «Winterthurer Zeitung» berichtete. «Wie aus dem Kreis ehemaliger Mitarbeiter zu erfahren ist, sind vor allem die Personalpolitik und die interne Kommunikation vom Kader hinunter untragbar», schrieb das Lokalblatt.

Barbara Günthard-Maier, die ihr Amt später für eine Stelle beim EDA abgab, sah das Problem dagegen eher bei der Schichtarbeit und den belastenden Einsätzen, die der Polizeiberuf an der Front mit sich bringe. Auch Lohndifferenzen im Vergleich zu den anderen Zürcher Korps würden für weniger Zufriedenheit und viele Abgänge sorgen. Zudem sei das Gebäude am Obertor veraltet, die «Arbeitsplatzqualität» deshalb schlecht. Ein neues Polizeigebäude als Ersatz für den alten Polizeiposten wird derzeit gebaut. Schliesslich sprach Günthard-Maier nach der Reorganisation von «Veränderungen, die nicht alle mögen».

Stadträtin: «Vorfall ist auch sehr belastend für Kader und Kommando»

Fakt ist: Die Stimmung bei der Stadtpolizei ist seit Jahren am Boden. Probleme in der Führungskultur scheinen lange ignoriert worden zu sein, sie wurden andernorts gesucht. Gegenüber Blick wollte die nun zuständige Stadträtin Katrin Cometta zu konkreten Fragen nicht Stellung nehmen.

In einer allgemeinen Stellungnahme schreibt sie: «Der Vorfall ist sehr belastend für alle Mitarbeitenden der Stadtpolizei. Das schliesst alle Kaderangehörigen und das Kommando mit ein. Die Betreuung aller Mitarbeitenden steht für mich derzeit an erster Stelle. Die Mitarbeitenden der Stadtpolizei und die Hinterbliebenen werden betreut. Wie bereits im Juli steht allen ein Careteam zur Verfügung.»

Der Kommandant ist unterdessen aus den Ferien zurück und stand bereits vor der Mannschaft.

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