BAP-Sänger Wolfgang Niedecken über die AfD, Köln und die Welt
«Die eigentliche Friedensbewegung heisst Europa»

Der Kölner Musiker Wolfgang Niedecken (67) singt in seiner Band BAP, wie ihm der Schnabel gewachsen ist – und feiert damit seit bald 40 Jahren internationale Erfolge. Ein Treffen in Köln vor seinen Schweizer Auftritten.
Publiziert: 07.10.2018 um 16:06 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 11:23 Uhr
Daniel Arnet

Think ­global, act local» – dieses berühmte ­Zitat haben Sie mit ­Ihrer Band BAP umgedreht.
Wolfgang Niedecken: Weshalb meinen Sie?

Sie denken und dichten in Kölsch und treten weltweit auf. Sie spielten schon in Nicaragua, Mosambik und China.
Ich denke und texte auf Kölsch, das stimmt schon. Und tatsächlich haben wir damit weit über Köln ­hinaus Erfolg.

«Wolfgang Niedeckens BAP rockt andere kölsche Leeder» heisst das erste Album von 1979. Dachten Sie damals, über Köln hinaus berühmt zu werden?
Nein, wir waren schon mehr als verwundert, als wir ein Angebot für eine Plattenaufnahme bekamen.

1981 brachte «Verdamp lang her» den deutschlandweiten Erfolg – und plötzlich sang das Konzertpublikum überall auf Kölsch mit.
Irgendwie haben wir die breite Masse gepackt. Wenn wir auf ­Festivals mit Bands auftraten, die damals deutlich besser spielten als wir, ging es bei uns dennoch am meisten ab.

Nach Deutschland eroberten Sie international zunächst die Schweiz. BAP traten im Dezember 1982 in Basel und St. Gallen auf. Weshalb dachten Sie, dass es in der Schweiz klappen könnte?
Das dritte Radio-Programm des Südwestfunks, der heutige SWR 3 aus Baden-Baden, sendet bis weit in den Süden. Als wir die erste Promo­-Reise in die Schweiz machten, war ich erstaunt, was die ­Journalisten über uns wussten. Die kannten sogar den Namen ­meines Hundes.

Ende Oktober kommen Sie ­wieder in die Schweiz und treten im Musical-Theater Basel und im Zürcher Volkshaus auf.
Bei der letzten Tournee 2016 kam in Zürich Stefanie Heinzmann für einen Song auf die Bühne. Sie sang Walliserdeutsch, wir Kölsch. Wenn da jemand im Publikum war, der beide Dialekte nicht verstand, hätte er bestimmt geschworen, das wäre ein und dieselbe Sprache.

Heinzmann schaffte den Durchbruch in Deutschland nur mit englischen Songs. Und erfolg­reiche Schweizer Mundartbands schaffen es nicht über die ­Landesgrenze nach Norden.
Ich weiss nicht, wie weit diese Bands nach Deutschland ausstrahlen, aber bis Freiburg im Breisgau werden sie bestimmt kommen.

Aber Züri West und Patent ­Ochsner sind dort keine Stars wie Sie in der Schweiz.
Dafür spielen die teilweise in den französischsprachigen Gebieten, wo wir nicht hinkommen.

Auch Schweizer Mundartbands schaffen das kaum.
Doch innerhalb der Deutschschweiz habt ihr ein grosses Selbstverständnis für Dialekte: Bei euch gibt es sogar Nachrichtensendungen in Mundart. Das wäre in Deutschland ­undenkbar. Wenn ein Sprecher ­einen dialektalen Tonfall hat, wird ihm der abtrainiert.

Trifft das auch auf lokale ­deutsche Fernsehstationen zu?
Absolut. Es ist in Deutschland ­unvorstellbar, dass es Nachrichtensendungen auf Berlinerisch, Kölsch oder Bayerisch gibt. Wenn Dia­lekte im Aussterben begriffen sind, dann eher bei uns in Deutschland als in der Schweiz. Bei uns hält sich wohl der bayerische Dialekt am längsten. Bei Kölsch wird das schon schwieriger.

Wann sprechen Sie noch Kölsch?
Mit alten Freunden kann ich nicht Hochdeutsch sprechen. Oder wenn der Müllwagen vor unserer Haustür hält und ich zufällig rauskomme, kurbelt der Fahrer das Fenster runter und palavert mit mir in ­unserer gemeinsamen Muttersprache über den 1. FC Köln. Dann muss der nachfolgende Verkehr warten, bis wir das ausdiskutiert haben.

Schreiben Sie Ihre Whatsapp-Nachrichten wie Jugendliche in der Schweiz auf Dialekt?
Ich habe noch nie eine Whatsapp geschrieben. Und bei meinen vier Kindern gilt: Je jünger sie sind, ­desto weniger Dialekt gebrauchen sie. Aber das ist auch klar: Man hat heute keinen mundartlichen Alltag mehr.

Wo zeigt sich das?
Wenn man heute einkaufen geht, packt man seinen Kram, bekommt an der Kasse einen hochdeutschen Betrag genannt und geht wieder. Man unterhält sich nicht mehr mit dem Bäcker, dem Metzger oder dem Obsthändler. Und man geht abends auch nicht mehr in die ­Eckkneipe, um sich auszutauschen, was im Viertel passiert ist. Das ist leider vorbei.

Man mag sich heute vielleicht nicht mehr so fürs Lokale begeistern, aber das Globale steht noch weniger hoch im Kurs.
Wo denn?

Wenn wir nur schon den Kontinent betrachten: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist eine der letzten Verfechter­innen der europäischen Idee.
Mein Respekt gegenüber ihr nimmt zu. Zu Beginn habe ich sie noch ­belächelt.

Würden Sie Angela Merkel heute wählen?
Es hat in der deutschen Geschichte Situationen gegeben, wo ich ihr ­tatsächlich meine Stimme gegeben hätte. Ich fand den Satz «Wir ­schaffen das», den ihr viele verübeln, schon sehr mutig. Sie hat da eine humanistische Position ver­treten, die völlig unkommerziell war – da hat kein Imageberater ­daran rumgefummelt. Da kann ich nur den Hut ziehen.

Das sehen in Deutschland nicht alle so. Die rechtsnationale AfD beschimpft die Kanzlerin ­regelmässig und legt damit in Umfragen mächtig zu.
Man darf das einfach nicht ­zu­lassen, da ist eine Koalition der ­Anständigen nötig. Wenn die ­Tiraden der AfD kommen, muss man das argumentativ über die ­Medien kontern und eine gemeinsame Front bilden – das geht von den Grünen über die SPD bis zur CDU. Es gibt sogar vernünftige CSU- und FDP-Leute.

Müsste man mit der AfD nicht auch einen Dialog führen?
Das passiert ja gerade. Martin Schulz hat die AfD wie einst ­Berlusconi in den Senkel gestellt – ich habe vor Freude gejauchzt.

Aber Konzerte gegen Rechts – wie jüngst in Chemnitz – fördern den Dialog kaum. Ist das nicht sogar kontraproduktiv?
Nein, ich habe das Konzert in Chemnitz als einen Solidaritäts­anlass für die Stadtbevölkerung wahrgenommen. Ganz toll fand ich, dass eine Band wie Kraft-­klub dabei war. Sie steht für die ­Generation meiner Töchter ­zwischen 20 und 30. Gerade den Jungen wirft man oft vor, dass sie nichts machen. Das war der Gegenbeweis.

Mit «Grenzen schützen» warb die AfD bei den Bundestags­wahlen, in der Schweiz wurde die «Mas-seneinwanderungs-­Initiative» angenommen, die USA erheben Schutzzölle und bauen eine ­Mauer. Weshalb ­wollen sich alle abschotten?
Weil es Realitätsverweigerer gibt, die noch nicht im digitalen Zeit­alter angekommen sind. Es gibt ­keine Mauern, welche die moderne Gesellschaft aufhalten können, das ist einfach Quatsch.

Sie sehen das also als letztes ­Gefecht von Menschen, die mit der Gegenwart nicht mehr klarkommen?
Ich denke, das ist so, ja. Auf die ­Europawahlen hin muss man den Gemeinschaftssinn wieder ­fördern. Die eigentliche Friedensbewegung heisst Europa.

Aber aktuell meinen immer mehr Länder, die globalen Probleme besser national lösen zu können. Weshalb?
Die Populisten geben immer die einfachsten Antworten. Und das Angstschüren ist ihre einzige ­Waffe. Leute, die politisch nicht wirklich Bescheid wissen, kann man damit ins Bockshorn jagen. Und dann führen sie die Populisten als ­Rattenfänger wieder aus dem Bockshorn raus.

Eine Gefahr, die durch das Internet und seine sozialen Medien grösser wird. Die Menschen ­leben dort in ihren Blasen und lassen andere Meinungen gar nicht mehr an sich ran.
Genau, aber das sind Sachen, mit denen umzugehen wir unbedingt lernen müssen. Keiner kann es den Menschen abnehmen, sich selber politisch zu bilden. Das geschieht leider zu wenig. Manchmal kommt mir deshalb das Urvertrauen in die Demokratie abhanden. Wenn jeder wählen kann, der null Ahnung hat – wohin soll das führen?

Sollte man Eignungstests für ­Wähler einführen?
Ich weiss nicht, ob das machbar wäre und welche Folgen es hätte. In gewissen Teilen der Gross-­städte würden bestimmte Gruppen gar nicht mehr wählen. Fertig, aus. Wenn man allerdings die ­Leute mit Wissen ausstattet, dann ist die Chance grösser, dass sie – ein schlimmes Wort für einen Rock­musiker – «vernünftig» bleiben.

Gerade Sie als Rockmusiker haben bei Konzerten grosse Einflussmöglichkeiten. Nutzen Sie diese?
Heute versuche ich nicht mehr, auf der Bühne zu predigen.

Sie sagen «nicht mehr». Haben Sie das früher gemacht?
Es gab schon Zeiten, zu denen ich missionarischer unterwegs war. Wenn ich heute die Setliste für eine Tournee zusammenstelle, überlege ich mir genau, an welchen Stellen ich etwas sage und wo ich einfach das Stück spiele.

Zum Beispiel?
Ich muss nichts mehr zum Thema Kristallnacht sagen. «Kristallnaach» wird gespielt, und zwar in der Folge anderer Stücke, wo dann alles einen Bogen kriegt.

Was darf das Schweizer ­Publikum bei der aktuellen ­Tournee erwarten?
Dadurch, dass sich die Band­besetzung immer wieder erneuert, kommt frische Energie rein. Der ­aktuelle Schlagzeuger ist jünger als der Song «Verdamp lang her». Das und der bläserlastige Sound fanden bisher so viel Anklang, dass wir unplanmässig ein Live-Album veröffentlichen, und zwar am 2. November – zufällig meinem siebten Geburtstag.

Wie bitte?
Am 2. November 2011 hatte ich meinen Hirnschlag. Meine Frau hat damals alles richtig gemacht, sonst wäre ich heute tot.

Zum Dank widmeten Sie ihr 2013 die Soloplatte «Zosamme alt», letztes Jahr veröffentlichten Sie das «Familienalbum». Zieht sich Wolfgang Niedecken ins Private zurück?
Um Gottes willen, nein! Mein ­letztjähriges Album hatte ich schon seit «Zosamme alt» im Sinn und wusste, dass ich es in New Orleans aufnehmen wollte. Und ich hatte damals schon den Arbeitstitel «family affairs».

Darauf wirken aber keine Familien­mitglieder mit. Spielen Ihre vier Kinder überhaupt ein ­Instrument?
Die jüngste Tochter spielt ziemlich gut Klavier.

Lebt sie noch in Köln?
Nein, in Berlin, wie meine älteste Tochter. Die beiden Söhne aus ­erster Ehe sind wie ich immer noch hier zu Hause.

Was hat Sie selber über all die Jahre in Köln gehalten?
Die Stadt ist mein Heimathafen, wo ich mich wohlfühle. Und mit BAP komme ich ja genug in der Welt herum.

BAP live am 23. Oktober im Musical-­­­Theater, Basel, und am 24. Oktober im ­Volkshaus, Zürich

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