Die Sharing Economy macht Menschen zu Egoisten
Meins bleibt meins

Bikes, Behausungen und jetzt Babykleider: Die Sharing Economy macht das Teilen zu einem Geschäftsfeld. Doch während jeder gerne nimmt, hapert es mit dem Geben.
Publiziert: 11.02.2018 um 18:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:50 Uhr
Eingesammelte Velos eines Bikesharing-Anbieters in China.
Foto: Getty Images
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Daniel Arnet

Der neueste Furz kommt von Tchibo: Seit Ende Januar dient sich die Hamburger Kaffeehandelskette als Tausch­börse für Babykleider an. Tchibo Share nennt sich das, und für vier Euro sind in einer Testphase erst einmal deutsche Eltern mit dabei – dafür kriegen sie einen Monat lang ein passendes Kleidungsstück für ihr Kleinkind.

Eine gute Sache, denkt man, denn die ständig wechselnden ­Textilien für den schnell aufschiessenden Nachwuchs gehen ins Geld. Doch wer will für seinen wohlbehüteten Sprössling einen zwar gewissenhaft gereinigten, aber verwaschenen Strampler, in den schon ein fremder Wurm gepupst hat und der mit Brei vollgekleckert wurde?

«Kack-Sharing» betitelt die «Welt am Sonntag» die Aktion, und der «Spiegel» fragt: «Warum macht das Unternehmen den Flohmärkten Konkurrenz?» Gewiss: Die Sharing Economy ist in Mode. Sie ist ein schnell wachsender Markt, in dem niemand den Anschluss verlieren will und der speziell trägere Traditionsfirmen zu Aktionismus treibt.

Historikerin Luise Tremel: «Die Sharing Economy macht uns egoistischer, denn in ihr macht man aus Dingen, die man hat, möglichst viel Geld, während man die Sachen der anderen günstig bekommen will.»

Heute teilen wir Autos (Mobility, Uber), Velos (oBike, Limebike), Klamotten (Kleiderkreisel, Tchibo Share), Unterkünfte (Airbnb, Couchsurfing), Geld (Lendstar, Smava) oder Essen (JoinMyMeal, Eatwith). Denn deins ist meins, ganz nach dem Motto von John Lennons Hippie-Hymne «Imagine» von 1971: «Imagine no ­possessions / I wonder if you can» – stell dir vor: keine Besitztümer / ich frage mich, ob du das kannst.

«Yes, we can», rufen immer mehr Schweizer: Gemäss einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte wollte Mitte 2015 über die Hälfte der Befragten in den folgenden zwölf Monaten an der Sharing Economy teilnehmen – sei es als ­Geber oder als Nehmer. Neuere ­Studien gibt es nicht, doch die ­Akzeptanz dürfte hierzulande gestiegen sein.

Noch erreicht sie nicht den Spitzenwert von China: Eine Studie der Bank of America Merrill Lynch ­belegt, dass dort rund 80 Prozent mitmachen wollen. Zu einem ernüchternden Ergebnis kommt ­Deloitte dagegen in den USA, dem Mutterland der Sharing Economy (die meisten grossen Firmen dieses Wirtschaftszweigs kommen aus dem Silicon Valley): Dort erreicht die Bereitschaft zur Teilnahme bloss 45 Prozent – zehn Prozent weniger als bei uns. Innerhalb der Schweiz ist die Zustimmung allerdings unterschiedlich verteilt: In der Romandie zählen sich 65 Prozent zu den Anhängern der Sharing Economy, in der Deutschschweiz nur 32 Prozent.

Sharing Economy macht uns egoistischer

So fügen sich die pinkfarbenen Leihvelos von Lausanne mittlerweile ins Strassenbild, während in Zürich schnell einmal eines gelb-grau schimmernd im Flussbett der Limmat liegt. Dieser Anblick zeigt ein grundlegendes Problem der Sharing Economy: den achtlosen Umgang mit geteilten Gütern. Liegen die gelb-grauen oBikes nämlich nicht gleich im Wasser, so findet man sie nicht selten umgeworfen, ohne Sattel oder sonst wie demoliert vor. «Vandalen nehmen oBikes ins Visier», schreibt «20 Minuten» bereits kurz nach der Zürcher Invasion der asiatischen Leihvelos im letzten Sommer.

Wie liederlich der Umgang mit Gemeingut ist, kann man täglich auch im ÖV oder auf allgemein zugänglichen Plätzen sehen. Als die IG saubere Umwelt vor ein paar Jahren mit einer Plakat-Aktion in der Schweiz auf Missstände im ­öffentlichen Raum aufmerksam machen wollte, zeigte sie ein Bild mit einer von Müll übersäten ­Stube, dazu die Schlagzeile: «Was im Wohnzimmer stört, stört auch im Park.» Das sitzt: Niemand lebt so zu Hause, ausser er ist ein Messie.

Schon der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) verteidigte deshalb in seiner Schrift «Politiká» das Privateigentum, weil der Einzelne mehr auf die Güter achte als die Gemeinschaft: «Zwei Dinge erwecken vor allem die Fürsorge und die Liebe des Menschen: das Eigene und das Geschützte.» Wer sich ein Velo ausleiht, wird zwar zu einem Teilzeitbesitzer. Aber da liegt das Problem: Er wird bloss Teilzeitbesitzer. Was danach mit dem geliehenen Gegenstand passiert, ist ihm egal. Auch mit ­einem geteilten Auto wird fahrlässiger umgegangen als mit einem ­eigenen. Ein Touchieren beim Parkieren? Tant pis, ist ja nicht meins.

«Wer es richtig krachen lassen will, benutzt Car-Sharing-Autos», enervierte sich jüngst ein Autor im Magazin der «Zeit». Und schloss: Es wäre ein Fortschritt, wenn die Lenker begriffen, «dass sie nicht bessere Menschen sind, sondern Ignoranten, die schlecht Auto fahren».

Bessere Menschen: Das wollen die Teil-Nehmer der Sharing Economy sein, denn diese Art des Wirtschaftens sei nachhaltiger und trage durch geringere Produktion zur Schonung der Ressourcen bei – sharing is caring. Aber eine deutsche Untersuchung belegt: Nur ­gerade 15 Prozent haben wegen Car-Sharing das eigene Auto verkauft oder sich kein eigenes zugetan.

Bessere Menschen: Das wollen die Teil-Geber der Sharing Economy sein, denn diese Art des Wirtschaftens sei sozialer. Doch das Gegenteil sei der Fall, sagte die deutsche Historikerin Luise Tremel (34) kürzlich in einem Interview: «Sie macht uns egoistischer, denn in der Sharing Economy macht man aus Dingen, die man hat, möglichst viel Geld, während man die Sachen der anderen günstig bekommen will.»

Buchautor Tom Slee: «Sharing Economy ist ein Widerspruch, denn Teilen basiert auf der Idee der Gemeinschaft und des Altruismus.»

Der Engländer Tom Slee (58), Buchautor von «Deins ist meins – die unbequeme Wahrheit der Sharing Economy», schliesst daraus: «Sharing Economy ist ein Widerspruch, denn Teilen basiert auf der Idee der Gemeinschaft und des Altruismus.»

Tatsächlich ist richtiges Teilen eine der ältesten menschlichen ­Eigenschaften. Wissenschaftliche Studien bei Affen und Kleinkindern zeigen: Alle geben ab und gehen anderen zur Hand, wenn sie merken, dass jemand Hilfe benötigt – auch wenn sie dafür keine unmittelbare Gegenleistung erwarten können oder auf einen Teil ihres ­eigenen Essens oder Besitzes verzichten müssen.

Das hat mittlerweile auch die Wirtschaft erkannt: Die Migros bewirbt das «M-Budget Mobile» aktuell mit dem Slogan «Teilen statt Sharen». «Sharing» ist nämlich ein Etikettenschwindel, denn man teilt gar nichts, vielmehr vermietet man den Gegenstand in einer schnellen ­Kadenz immer wieder neu. Und der Begriff «Economy» entlarvt:Es geht auch hier weiterhin um Ökonomie, um Wirtschaftlichkeit, ums Geldmachen.

Wo kein Eigentum ist, da ist auch keine Freude zum Geben

Menschen, die ihre Privatautos für Taxifahrten oder ihre Wohnungen für Touristen zur Verfügung stellen, sind allerdings nicht die grossen Gewinner in diesem Spiel – es sind die Internetplattformen, welche die Deals vermitteln. Dabei nutzt Uber seine Fahrer aus und foutiert sich um deren Sozialver­sicherungen; Airbnb andererseits zahlt in Ferienorten keine Kurtaxen und verschärft die Wohnungsnot in Städten, weil es rentabler ist, Zimmer tageweise an Touristen zu vergeben anstatt an Dauermieter.

«Das Geschäftsmodell dieser ­Firmen beruht darauf, Risiken und Kosten anderen aufzuladen», ­sagte Tom Slee neulich dem Schweizer Wirtschaftsmagazin «Bilanz». «Wenn Sie in Zürich ­ein Uber ­nehmen, wird die Trans­aktion über die Niederlande abgewickelt. Deshalb fallen keine Steuern an.» Es sei klar: Kostenvermeidung ­erkläre ­einen Grossteil des Wachstums der Sharing Economy. «Das ist eine ­Blase», so Slee.

Und die Blase wächst weiter: Die Bank of America rechnet damit, dass der jährliche Umsatz der Sharing-Plattformen weltweit von jetzt 250 Milliarden Dollar in nächster Zeit auf zwei Billionen Dollar steigen wird. US-Soziologe Jeremy Rifkin (73) von der Foundation on Economic Trends ist sogar überzeugt: Die neue Ökonomie des Tau-schens und Teilens werde ihren Siegeszug über das bisherige kapitalistische Wirtschaftssystem antreten.

Dabei ist die Sharing Economy Kapitalismus pur. Man will zu ­allem Zugriff haben, ohne die negativen Seiten des Besitzes akzep­tieren zu müssen: Platz für die ­Gegenstände bereitstellen und sie instand halten. Denn was einem ­gehört, das braucht Raum und Pflege. ­Andersrum gedacht: Nur was ­einem gehört, bekommt Raum und Pflege.

Und nur was einem gehört, kann man richtig teilen, wie Aristoteles in «Politiká» weiter ausführt: «Wo kein Eigentum ist, da ist auch keine Freude zum Geben; da kann niemand das Vergnügen haben, seinen Freunden, dem Wanderer, dem ­Leidenden in seinem Mangel zu helfen.»

Die Nachbarschaftshilfe wird kommerzialisiert

Früher hat man dem Nachbarn einfach ein Werkzeug oder ein ­Küchengerät ausgeliehen, die ­Sharing Economy macht daraus ein Geschäftsmodell – die Lebensbereiche werden zunehmend kommerzialisiert. Oder wie es Luise Tremel an einem Symposium in Weimar (D) formuliert hat: «Sankt Martin hat geteilt – und er hat seinen Mantel, als er ihn nicht brauchte, nicht stundenweise vermietet.»

Sharin-Economy-Pionier Philipp Gloeckler: «Jeder ist sofort bereit, sich etwas auszuleihen, nur wenige wollen etwas verleihen.»

Geben ist seliger denn Nehmen. Dass die Sharing Economy in dieser Hinsicht eine scheinheilige Ver­anstaltung ist, zeigt das Beispiel der vor drei Jahren gescheiterten Smartphone-App «Why own it» (Warum besitzen). Der deutsche Internet-Pionier Philipp Gloeckler (32) wollte damit den Austausch von Gebrauchsgegenständen unter wildfremden Menschen in der ­näheren Umgebung fördern: Ich habe eine Bohrmaschine, wer braucht eine?

Das Problem: «Es haben einfach zu wenige Leute Interesse gehabt, richtig mitzumachen», sagte Gloeckler später ernüchtert. «Jeder ist ­sofort bereit, sich etwas aus­zuleihen, nur wenige wollen etwas verleihen.» Die hohen Zustimmungsraten zur Sharing Economy bei Umfragen scheinen also nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse zu sein.

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