Gimma im Interview
«Bashing gegen die SVP finde ich langweilig»

Erster erfolgreicher Mundart-Rapper der Schweiz und grösster Provokateur: In seiner Autobiografie nimmt Gian-Marco Schmid (35) alias Gimma den Leser mit auf einen düsteren Trip.
Publiziert: 15.11.2015 um 09:03 Uhr
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Aktualisiert: 13.10.2018 um 03:49 Uhr
«Ich bete manchmal, wenn ich eine Krise habe»: Ex-Rapper Gimma.
Foto: Nicola Pitaro
Interview: Jonas Dreyfus

SonntagsBlick: Gimma, wie gehts Ihnen?
Gimma:
Seit zwei Jahren stehe ich fest im Leben. Mein Job macht mich glücklich, und ich bin leidenschaftlich gerne Single. Von da her: Bestens, danke!

Sie arbeiten als Texter in einer Kommuni-kationsagentur in Chur, daneben schreiben Sie Kolumnen und Kulturartikel. Gimma, der Ex-Rüpel-Rapper der Schweiz, in einem Büro-Umfeld – schwierig vorstellbar.
Mein Chef hat mich kürzlich einer Radio-Crew, die mich in der Agentur besuchte, als «extrem fokussiert» und «eher langweilig» beschrieben. Nur noch manchmal rutscht mir ein übler Spruch in Zusammenhang mit Brüsten heraus – eine alte Berufskrankheit aus meiner Zeit als Rapper.

Eine Zeit, die Sie in Ihrer auf Churerdeutsch geschriebenen Autobiografie «Hinter dera Maska isches dunkel» wieder aufleben lassen. In den 2000er-Jahren waren Sie einer der erfolgreichsten Solokünstler und erster erfolgreicher Mundart-Rapper der Schweiz.
Rückblickend ist das fast schon surreal. Als 24-Jähriger kam ich unverhofft zu einem Plattenvertrag, kurz darauf hat mich der Erfolg gnadenlos überrollt. Ich stand mit jedem Furz in der Zeitung. Ein Sponsor schenkte mir einen Porsche Cayenne, obwohl ich bis heute keinen Führerschein habe. Auf dem Höhepunkt meiner Rap-Karriere hatte ich eine halbe Million Franken auf dem Konto. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass ich mein Einkommen meistens unverzüglich verprasste.

Ihr Image war das eines Rockstars. Indem Sie nun im Buch Ihre schlimme Kindheit und Jugend beschreiben, erhält das Ganze eine tragische Komponente. Warum tun Sie sich das an?
Weil ich mit der Vergangenheit abschliessen und mit dem Mythos Gimma aufräumen will. Viele glauben, meine Song-Texte von früher seien frei erfunden. Sie haben aber alle autobiografische Züge.

Also ist alles, was Sie beschreiben, wahr?
Ich habe Namen von Kollegen geändert, denen ich nicht zu nahe treten möchte. Auch Einstieg und Schluss des Buches sind fiktional. Ich nenne es Semi-Autobiografie. So kann ich sagen «stimmt doch nicht», wenn jemand an einer Stelle bohrt, über die ich nicht noch mehr erzählen will. Es hat mich genug Kraft gekostet, das Buch zu schreiben. Ich habe keine Lust, daran kaputt zu gehen.

Im Mittelpunkt steht Ihre Mutter. Sie war Alkoholikerin und hauptsächlich mit ihren Sauf-Kumpanen beschäftigt. Sie ging alleine in die Ferien oder nahm Sie als Siebenjährigen auf den Zürcher Platzspitz mit, um Haschisch zu kaufen. Nicht gerade eine Vorzeigemutter.
Meine Mutter hat sich fürs Trinken und gegen die Familie entschieden. Ich bin emotional verwahrlost aufgewachsen am Rand der Gesellschaft. Es gab keine Kesb, die interveniert hätte. Im Gegenteil: Meine Mutter hatte die beste Scheidungsanwältin weit und breit. Ihr Sorgerecht war unantastbar. Mit neun habe ich zum ersten Mal versucht, meinem Umfeld zu entfliehen, indem ich eine Flasche Shampoo trank, auf der «nicht einnehmen» stand. Ich habs ernst gemeint.

Trotzdem widmen Sie das Buch Ihrer Mutter.
Das ist eine kleine verzeihende Geste. Auch wenn meine Mutter bis heute alles abstreitet, was passiert ist. Ich habe seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen. Letztes Mal, als ich sie zufälligerweise im Bus sah, hat sie mir beiläufig gesagt, dass sie neben Alzheimer jetzt auch noch Parkinson habe. Immer, wenn ich mit ihr in Kontakt trete, wirft sie mich psychisch aus der Bahn.

Sie litten jahrelang an Psychosen. Macht Ihre Mutter Sie wahnsinnig?
Eher traurig. Für den Wahnsinn ist sie nur mitverantwortlich.

Wann hatten Sie Ihren letzten Tiefpunkt?
Vor zwei Jahren, als mich meine Freundin verliess.

Wie haben Sie sich wieder aufgerappelt?
Indem ich mich wieder in Therapie begab, vorübergehend nach Island zog und eine zweijährige Alkohol-Pause einlegte. Inzwischen habe ich Strategien, wie ich Abstand zu meinen Gedanken gewinnen kann. Nichts Spektakuläres. Schreiben hilft. Oder ein Waldspaziergang.

Ihren Humor haben Sie auch nicht verloren. Es macht Ihnen sichtlich Spass, zynisch über Ihr Leben zu sinnieren.
Es gab in meiner Jugend viele lustige Momente. Selbst über manche meiner Drogen-erfahrungen kann ich nachträglich lachen. Aber auch nur, weil ich sie überlebt habe. Darüber schreibe ich im Buch nicht, weil ich auf keinen Fall irgendjemanden zu etwas animieren will.

Haben Sie jemals Heroin konsumiert?
Einmal aus Versehen. Das hat mir gereicht.

Sie wurden katholisch erzogen und waren Ministrant. Mit 16 traten Sie in ein Franziskanerkloster ein, um Mönch zu werden. Was hat Sie dazu bewogen?
In erster Linie wollte ich so wenig Zeit wie möglich zu Hause verbringen. Der Glaube gab mir aber auch Geborgenheit. Allerdings nicht sehr lange.

In einem offenen Brief kritisierten Sie kürzlich den Churer Bischof Vitus Huonder dafür, dass er eine Stelle aus dem Alten Testament zitiert hatte, in der es heisst, Homosexuelle seien mit dem Tod zu bestrafen.
Nach dem offenen Brief hatte ich einen gigantischen, mehrheitlich positiven Rücklauf. Ein absurdes Glücksgefühl hat sich eingestellt, und ich dachte: Okay, das Thema ist für mich erledigt.

Sie machten auf die Doppelmoral der katholischen Kirche aufmerksam, indem Sie schrieben, von einem halben Dutzend männlicher Würdenträger sexuell genötigt worden zu sein. In Ihrer Autobiografie wollten Sie Details veröffentlichen. Scheinbar haben Sie es sich anders überlegt.
Was die Übergriffe betrifft, werde ich nicht konkret, das stimmt. Ich wollte vermeiden, mit Details meine Schwester und meinen Vater zu stressen.

Obwohl Sie sich eigentlich nie davor scheuten, zu provozieren. Bei einem denkwürdigen Auftritt in der TV-Show «Benissimo» im Jahr 2006 zeigten Sie der vereinten Fernsehnation Ihren mit linkspolitischen Abstimmungsparolen bepinselten Bauch.
Hätte ich das Buch vor zwei Jahren veröffentlicht, wären mir die Reaktionen egal gewesen. Meine Schwester, mein Vater und ich sind erst seit kurzem wieder in Kontakt. Ironischerweise verkehren wir alle in derselben Beiz. Ich will, dass das so bleibt.

Wie kommt Ihre Kritik in Haldenstein an, dem Dorf bei Chur, in dem Sie wohnen?
Wenn ich mich in der Zeitung äussere, wird es schon einmal ruhig am Stammtisch. Es gibt Leute, die mich auf den Tod hassen und am liebsten vertreiben würden, und andere, die sich inzwischen daran gewöhnt haben, dass ich Sachen ausspreche, die sie nicht hören wollen.

Welche Beziehung haben Sie heute zu Gott?
Ich bete manchmal, wenn ich eine Krise habe. Und ich brauche im Alltag oft Aus-drücke wie «Oh Gott». Es ist also immer noch eine Verbindung zu ihm vorhanden, obwohl ich selten in die Kirche gehe. Wenn ich es mit Überzeugung sein könnte, wäre ich aber lieber Atheist oder Buddhist.

Warum?
Weil ich dann meine grösste Angst besiegen könnte: die vor dem eigenen Tod. Als Atheist wäre er mir egal, als Buddhist wüsste ich: Du kommst eh wieder zurück. Okay wäre für mich auch, wenn nach dem Tod einfach gar nichts mehr käme. Da bin ich aber sehr skeptisch.

Haben Sie Angst, in die Hölle zu kommen?
Da müsste sich der Teufel Sorgen machen.

Neben der Kirche kritisierten Sie immer wieder die SVP. Als 16-Jähriger haben Sie in Ems gelebt. Im Blocher-Quartier, wo Arbeiter von Blochers Chemiefirma in Hochhäusern untergebracht waren. Gibt es da einen Zusammenhang?
Mein Hass auf Blocher kommt aus dieser Zeit. Ems-Chemie hatte meinem Vater gekündigt, der nie mehr wieder so richtig Fuss fasste im Berufsleben. Ich durchschaute Blocher schon damals. Volkspartei «my ass». Der Typ ist offensichtlich ein machtgeiler «huara alta Sack», der alles für seine Dividende macht. Songs wie «Hol dr an Politiker» würde ich heute aber nicht mehr schreiben. SVP-Bashing finde ich langweilig. Lieber schiesse ich mich auf Irina Beller ein.

Ich hätte jetzt angenommen, dass Sie Sympathien für Jetset-Ladys aus armen Verhältnissen hegen.
Ihre Biografie erscheint ja fast zeitgleich wie meine. Deshalb mache ich hier eine Kampfansage: Irina will im Gegensatz zu mir nicht die Person hinter der Maske zeigen, obwohl sie das sagt, sondern besser dastehen, indem sie vorgibt, etwas zu sein, was sie nicht ist. Es stört mich nicht, dass sie mit ihrem Reichtum protzt. Aber dann soll sie doch bitte nicht gleichzeitig auf armes Ding machen. Die Art, wie sie mit ihrem Missbrauchsfall Werbung für ihr Buch macht, finde ich das Letzte. Wenn ich eines nicht ausstehen kann, dann Heuchelei. Irina Beller ist ein Symbol dafür.

Vielleicht sollten Sie mit ihr für einen Promi-Boxkampf in den Ring steigen, wie Sie es schon einmal mit Moderator Marco Fritsche getan haben.
Ich würde untergehen bei einer physischen Auseinandersetzung mit ihr. (lacht)

Jetzt mal ehrlich: Auch Sie wollen in der Öffentlichkeit gut dastehen, oder?
Absolut. Aber nicht, indem ich meine Geschichte aufpoliere, sondern indem ich erkläre, wie ich zu dem Menschen wurde, der ich heute bin.

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