«Das Symbol beschäftigt mich»
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Hakenkreuz auf Bauernhof:«Das Symbol beschäftigt mich»

Hakenkreuze in Niederscherli und Mittelhäusern BE aufgetaucht
Ist Rassismus hier Alltag?

Eigentlich 
stehen Niederscherli und 
Mittelhäusern für das beschauliche Land. Doch nun sind in den Dörfern bei Köniz BE Hakenkreuze aufgetaucht. Eine Spurensuche.
Publiziert: 24.02.2019 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 28.02.2019 um 14:13 Uhr
Im Januar wurde der Schweinestall von Landwirt Hans Moser mit Hakenkreuzen beschmiert.
Foto: Peter Gerber
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Dana Liechti

Im Dezember wurde auf dem Sportplatz neben der Schule Niederscherli ein grosses ­Hakenkreuz und die Ziffer 88 in den Schnee getreten. Der achte Buchstabe im Alphabet ist H – 88 steht für HH, die Abkürzung von «Heil Hitler». Und im ­Januar wurde im Nachbardorf Mittelhäusern ein Schweinestall und ein Auto mit Hakenkreuzen vollgeschmiert. Sprayereien und Aufkleber sieht man hier an jeder Ecke. Aber Hakenkreuze – das ist neu.

Die «Berner Zeitung» hat kürzlich über die Vorfälle berichtet. Wir machen einen Augenschein vor Ort.

Niederscherli, 2200 Einwohner, Landi, kleine Poststelle, drei Coiffeursalons, beim Detailhändler duzt man sich. Mittelhäusern, nur drei Minuten weiter mit dem Zug, hat 900 Einwohner, aber keine Post, Käserei und Dorfbeiz mehr. Früher dominierten verstreute Bauern­höfe das Dorfbild. Dann wurden Genossenschaftswohnungen gebaut. Immerhin liegen die beiden Dörfer gleich neben Bern, sie gehören zur Gemeinde Köniz. Die neuen Wohnungen zogen Städter an. Und sie veränderten das Dorf, sagt Hans Moser (61), Präsident des Ortsvereins und Landwirt. Mit den neuen Menschen seien auch neue Haltungen eingezogen. «Seither gibt es zwei Gruppen. Jene mit städtischem Hintergrund, die eher links eingestellt sind. Und die Alteingessesenen, häufig Bauern und konservativer.» Zusammengewachsen sind die Pole bis jetzt nicht wirklich, aber hie und da gebe es Projekte. Man arbeite daran.

Nazi-Zeichen im Schnee

Kommen die Kinder aus der Umgebung in die Oberstufe, gehen sie alle nach Niederscherli. Dort ist nun eine rote Linie überschritten worden. Nicht nur die Zeichen im Schnee beunruhigen gewisse Eltern. «Sie schrieben uns, dass ein dunkelhäutiger Schüler geplagt werde und in der Schule auch rassistische Äusserungen fallen», sagt Schulleiter Sam ­Meyer (56). Zwar habe er selbst bislang keinen Rassismus wahrgenommen. Aber er könne sich vorstellen, dass dieser geäussert wird, wenn Lehrer abwesend sind. Unbemerkt, auf dem Pausenplatz.

Davon kann der Berner Rapper ­Nativ, bürgerlich Thierry Gnahoré, ein Liedchen singen. Wortwörtlich. Der 23-Jährige ist in Niederscherli aufgewachsen und rappt in seinem Song «Noir» über den Rassismus, der ihm dort entgegenschlug. ­«Hamer 716 Mal aglost, ig sig e Aff», singt er. «‹Lug dr Neger, dä isch fuul›, ja si lehres ihne so.»

Sein Migrationshintergrund sei in der Schulzeit oft Thema gewesen, sagt Gnahoré. «Ich wurde immer wieder mit dem Wort Neger konfrontiert. Erst im Nachhinein habe ich gemerkt, dass Rassismus in der Schweizer Agglomeration Alltag ist», erzählt er. So ex­trem wie heute sei es damals aber noch nicht gewesen. «Ich finde das mit den Hakenkreuzen schon eine krasse Entwicklung. Auch dass seit einiger Zeit eine Konföderierten-Fahne auf einem Balkon weht, die ja mit dem Ku-Klux-Klan in Verbindung gebracht wird.» Von Freunden habe er gehört, dass auf der Strecke Bern–Schwarzenburg häufiger Personen unterwegs sind, die dem Bild eines Neonazis entsprechen. «Schockierend, dass es 2019 immer noch Leute gibt, die nicht begreifen, dass wir alle gleich sind», sagt Gnahoré.

Schule will Thema nicht unter den Teppich kehren

Während die Hakenkreuz-Sprayer von Mittelhäusern noch nicht ermittelt wurden, ist man in Niederscherli schon weiter – es waren Schüler. Schulleiter Sam Meyer: «Ich denke, das war eher ein gedankenloses Grenzen-Austesten und keine wirkliche, rechtsradikale Absicht dahinter.» Trotzdem sorgt er sich: «Es gab eine Zeit, da dachte man, das ist passé, aber jetzt drohen rassistische Gesinnungen wieder salonfähig zu werden.» Die Schule will das Thema – anders als gewisse Dorfbewohner – auf keinen Fall unter den Teppich kehren, «sondern hinschauen und handeln». Dass seine Schüler auch die Hakenkreuze in Mittelhäusern gesprayt haben, kann sich der Schulleiter nicht vorstellen.«Dort waren Leute am Werk, die das nicht das erste Mal gemacht haben.»

Wer sind die Täter?

Hans Moser entdeckte die Haken­kreuze an seinem Stall an einem Mittwochmorgen im Januar. In der gleichen Nacht wurde auch ein Auto eines anderen Bewohners mit einem Hakenkreuz verschmiert. «Das ist eine Sauerei und noch dazu Hausfriedensbruch», sagt Moser. Und erzählt, dass die Polizei erstaunt gewesen sei: Denn ­unweit des Stalles wurde auch ein eingekreistes A entdeckt. A für ­Anarchie. Ein Hakenkreuz neben einem A? Seltsam. Kommen die ­Täter aus rechtsradikalen Kreisen? Sind es Linke, die ihn als Rassisten diffamieren wollen? Oder Lausbuben, die provozieren wollen – egal womit? Nur eines weiss Moser: Als Ortspräsident kommt er mit alten und neuen Dorfbewohnern gut aus, ist eine Art Verbindungsglied. Auch sein früheres Amt als SVP-­Politiker könne keinen Einfluss ­haben – schliesslich sei er so liberal, dass es im Dorf heisse, er sei kein richtiger SVPler.

Thierry Gnahoré hat Niederscherli mittlerweile hinter sich gelassen, lebt in der Stadt. Trotzdem: Was dort gerade passiert, lässt den Rapper nicht kalt. Vielleicht schreibt er schon bald einen neuen Song über die Schattenseiten in der Dorfidylle.

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