Slam-Poetin Patti Basler (42) über politische Korrektheit
«Für Idioten ist das Wort Idiot verletzend»

Sie hat eben den renommiertesten Kleinkunstpreis im deutschsprachigen Raum gewonnen: Patti Basler (42). Die Vize-Schweizer-Meisterin im Poetry-Slam über politische Korrektheit und «Frontalunterricht».
Publiziert: 03.11.2018 um 11:33 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2018 um 21:22 Uhr
Patti Basler im grossen Interview
6:13
Früher Lehrerin, heute Bühnenpoetin:Patti Basler im grossen Interview
Daniel Arnet

Patti Basler, können Sie auf alles einen Reim machen?
Patti Basler: Nein, es gibt Wörter, die sich schlecht verreimen lassen.

Machen Sie einen Reim auf «Schweiz»!
«Reiz» oder «Geiz».

Auf «Salzburger Stier», den wichtigsten deutschsprachigen Kleinkunstpreis, den Sie 2019 für die Schweiz gewinnen?
«Der Salzburger Stier ist hier» oder «der Salzburger Stier gehört nun endlich mir». Und als Fricktalerin kommt mir wegen Feldschlösschen natürlich «Bier» in den Sinn.

Auf «Trump»?
Das ist schwierig. Wenn man es auf Schweizerdeutsch nimmt, passt dazu «gump»: «Gump, Forrest, gump», wie es mein geschätzter Kollege Kilian Ziegler so schön formulierte.

Sind Reime auf Namen zulässig?
Selbstverständlich. Warum nicht?

Vom Hof über die «Arena» zum Stier

1976 als Bauerntochter in ­Zeihen AG zur Welt gekommen, bildet sich Patti Basler zur Sekun­darlehrerin aus. Danach studiert sie Erziehungswissenschaften in Zürich. 2008 geht Basler mit einer Sekundarklasse an einen Poetry-Slam, wo Autoren auf der Bühne mit kurzen Wortbeiträgen um die Gunst des Publikums kämpfen. Basler beschliesst, selber aufzutreten. Sie gewinnt manchen Slam, tourt mit einem Kabarettprogramm durchs Land und verfasst das gereimte Schlussprotokoll der SRF-Sendung «Arena». 2019 bekommt Basler den ­Salzburger Stier, die höchste Kabarettauszeichnung.

1976 als Bauerntochter in ­Zeihen AG zur Welt gekommen, bildet sich Patti Basler zur Sekun­darlehrerin aus. Danach studiert sie Erziehungswissenschaften in Zürich. 2008 geht Basler mit einer Sekundarklasse an einen Poetry-Slam, wo Autoren auf der Bühne mit kurzen Wortbeiträgen um die Gunst des Publikums kämpfen. Basler beschliesst, selber aufzutreten. Sie gewinnt manchen Slam, tourt mit einem Kabarettprogramm durchs Land und verfasst das gereimte Schlussprotokoll der SRF-Sendung «Arena». 2019 bekommt Basler den ­Salzburger Stier, die höchste Kabarettauszeichnung.

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Das erinnert immer ein wenig an die billigen Reime auf Pausenplätzen, wo man einen Peter zum Verräter stempelt oder den Paul zum Gaul.
Ich mache den Reim ja wegen des Inhalts. Wenn ich es schaffe, drei Ebenen – Reim, Wortspiel, Inhalt – zu bilden und das Ganze auch noch gut ist, dann sind Reime auf Namen zulässig.

Steckt in Reimen eine gewisse Wahrheit?
Meistens sind sie an den Haaren herbeigezogen. Aber man kann durch Reime die Wertigkeit der Aussage verstärken. Man lenkt das Gehör dorthin, wo man es haben will. Häufig geht es bloss um den Sprachflow.

Patti Basler (42) lebt und arbeitet in Baden AG.
Foto: Valeriano Di Domenico
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«L’art pour l’art» also?
In erster Linie bin ich ja Poetin. Und der Reim ist eine ästhetische Form. So, wie man normal durch die Strasse laufen kann, kann man auch tanzen. Mit Tanz kommt man nicht schneller ans Ziel, aber es sieht schöner aus.

Der Reim ist ein altes Stilmittel. Ist er noch zeitgemäss?
Sehr. Für Rapper ist der Reim das Stilmittel erster Wahl. Auch bei Slam-Poeten kann er häufig zum Einsatz kommen. Und selbst Boulevardmedien wie Ihre Zeitung verwenden ihn gern.

Der Reim ist auch ein Mittel, um einfacher auswendig lernen zu können, eine Art Eselsbrücke.
Genau, aber ich lerne nichts auswendig. Ich lese alles ab.

Immer?
Nach ein paar Aufführungen kann ich den Text. Aber ich wäre nicht Slam-Poetin geworden, wenn es ­illegitim wäre, vom Blatt abzulesen.

Mussten Sie als Schülerin keine Gedichte auswendig lernen?
Doch. Und damals habe ich es gern gemacht. Aber heute habe ich die nicht mehr im Kopf.

Vor genau zehn Jahren waren Sie als Lehrerin mit einer Sekundarklasse an den Deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften – da hat es Ihnen den Ärmel reingezogen. Wären Sie sonst nie als Slam-Poetin aufgetreten?
Jein. Die Bühne und ich haben uns schon immer angezogen …

… schliesslich steht man als ­Lehrerin auch auf einer Art Bühne.
Richtig. Das war sicher mit ein Grund, weshalb ich Lehrerin wurde. Denn ich bin eine Besserwisserin, die gern die Aufmerksamkeit vom Umfeld bekommt. Wenn ich rede, habe ich das Gefühl: Das, was ich sage, ist von einer solchen Qualität, dass es sich lohnt, mir zuzuhören.

Welche Fächer unterrichteten Sie?
Ich war im letzten Jahrgang der Päda­gogischen Hochschule, der ­einen berechtigte, in der Oberstufe alle Fächer zu unterrichten – von Mathematik bis Sprachen, von ­Religion bis Sport. Das förderte mich.

Forderte Sie aber sicher auch.
Ja, aber der Nachteil ist, dass man in keinem Fach in die Tiefe gehen kann. Man hat keine Brillanz im Gegensatz zu Leuten, die ein Fach jahrelang studieren und danach auf diesem arbeiten.

Haben Sie deswegen noch Erziehungswissenschaften studiert?
Ja, ich dachte damals, dass meine Zukunft in der Wissenschaft läge. Ich wollte, dass mir mit dem ­Abschluss alle Türen offen stehen. Aber ich wählte dann die Tür, die mich auf die Bühne führte. Schon am Ende des Studiums nahm ich Buchungen entgegen und merkte: Hey, das ist ein 100-Prozent-Job, da hat daneben nichts mehr Platz. So gab ich den Lehrerjob auf.

Fanden Sie als professionelle Slam-Poetin Ihre Bestimmung?
Ja, ich bin nun die geworden, die ich bin – wie man so schön sagt.

Sie treten diese Woche an den 22. Deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften in Zürich auf. Mit welchen Ambitionen?
Da muss ich realistisch sein: Da treten die 200 besten Slam-Poetinnen und -Poeten des deutschsprachigen Raums auf. Ich mache so viele verschiedene Sachen nebenbei, dass ich mit meinen Poetry-Slam-Texten zu wenig gut bin, um ganz vorne mitzuhalten.

Jetzt halblang: Sie sind immerhin Poetry-Slam-Vize-Schweizer-Meisterin 2018 und Salzburger-Stier-Preisträgerin 2019.
Gewiss, ich bin ein kompetitiver Mensch und habe gern Erfolg. Aber ich fühle mich schon geehrt, dabei zu sein – das reicht mir.

Tatsächlich?
Klar, es wäre schön, wenn ich nicht bereits in der Vorrunde ausscheiden würde. Aber es kommen nur vier von zwölf Teilnehmern in die Halbfinals. Und in der Vorrunde bin ich dummerweise mit einer anderen Schweizer Slam-Poetin …

… Lisa Christ …
… und die ist unglaublich gut. Ich gönnte ihr den Sieg von Herzen.

Besteht beim Poetry-Slam eine gewisse Frauensolidarität?
Mit den Geschlechtsorganen hat das nichts zu tun.

Und mit dem Ausweis? Wichtig, dass Lisa Christ Schweizerin ist?
Auch nicht. Sie ist einfach eine gute Freundin von mir.

Schreiben Sie für Ihren Vor­rundenauftritt am Mittwoch im Plaza einen massgeschneiderten Text fürs Zürcher Publikum?
Keiner der 200 Slam-Poeten wird einen neuen Text schreiben. Das ist, wie wenn ein Hochspringer mit einer neuen Sprungtechnik an die Olympischen Spiele ginge. An Meisterschaften geht man mit ­etwas, das bereits erprobt ist.

Aber beim Slam entscheidet das Publikum. Kann man mit einem Text reüssieren, der bekannt ist?
Warum nicht? Ich gehe auch nicht an Konzerte, an denen Bands nur neue Songs spielen. Die besten sind die alten, die man mitsingen kann.

Gibt es beim Poetry-Slam Techniken mit höheren Siegeschancen?
Nein. Es gibt allerdings Mode­wellen. Eine Zeit lang kamen Wortspieltexte gut an; später Comedysachen; dann erzählende Formen. Und das Publikum kann sehr unterschiedlich darauf reagieren: Ein Text, mit dem man in Baden ­durchfällt, kann einem in Bern die höchste Punktezahl einbringen.

Daumen runter, Daumen rauf: Ist Poetry-Slam der reale Vorläufer des Like-Buttons im Internet?
Es besteht sicher eine Co-Evolution von Poetry-Slam und Social Media – die beiden Phänomene sind artverwandt. Im deutschsprachigen Raum wurde Poetry-Slam zudem gleichzeitig mit Facebook gross. Viele Slam-Poeten leben wie ich auf Facebook.

In den sozialen Medien sind die Kommentare häufig sehr ­unflätig. Erleben Sie das als Slam-Poetin auch auf der Bühne?
Weniger, denn man bezahlt ­keinen Eintritt für etwas, dass man a priori schlecht findet.

Und die Zuschauer müssten Ihnen die Unflätigkeit direkt ins Gesicht sagen – da ist die ­Hemmschwelle höher.
Ich kenne das nicht. Ich würde über niemanden hinterrücks etwas ­sagen, was ich dieser Person nicht direkt ins Gesicht sagen würde.

Was möchten Sie Ihren Konkurrenten am Slam 2018 sagen?
Ich freue mich, sie zu sehen. Und danach mit ihnen zu feiern – darum geht es. Wie im Klassenlager.

Das klingt nach grosser Harmonie. Aber es gibt bestimmt Slam-­Poeten, die Sie nicht mögen.
Sexistische und rassistische Typen können mich in Rage bringen.

Gibt es solche Slam-Poeten?
Nicht viele, darum fallen sie auf. Wir sind ja sehr sprachsensibel. Kürzlich fragte ein Kollege in einer Chatgruppe, ob er in einem Text das Wort «Idiot» verwenden dürfe – das könne für gewisse Leute ­verletzend sein. Ich fand: «Ja, für Idioten ist das Wort verletzend.»

Machen Sie auch solche ­Vorabklärungen?
Ja, wenn ich etwa über Rassismus schreibe und das satirisch über­höhen möchte, frage ich eine dunkelhäutige Person, wie das auf sie wirke. Ich habe in meinem Umfeld alle Hautfarben, Religionen und Gender-Spielarten.

«Satire darf alles», sagte Kurt Tucholsky. Sie gehen manchmal auch aufs Ganze.
Spielen Sie auf den Fall vor dem SRG-Ombudsmann an?

Genau. In der SRF-Sendung ­«Comedy aus dem Labor» sagten Sie 2017, man könne einem ­deutschen Lehrer nicht sagen, man gehe mit Schülern in der Konzentrationswoche ins Lager.
Ja, das ist das Schicksal, wenn Künstler missverstanden werden. In meinem Bühnenprogramm «Frontalunterricht» bin ich die Bildungs­expertin, die einem deutschen Kollegen das Schweizer Schulsystem erklärt. Ich hatte tatsächlich einen Lehrerkollegen, der mir sagte, dass Deutsche diese beiden Begriffe so nie sagen würden.

Wie sie die Fussballnationalmannschaft nie Nati nennen würden.
Genau. Aber dieses bekannte Beispiel wollte ich nicht bemühen und nahm stattdessen das mit dem Lager – als Aufruf zum behutsamen Sprachgebrauch. Aber es gibt immer Menschen, die das nicht ver­stehen. Dann muss man sagen: «Es tut mir leid, ich wollte die Gefühle nicht verletzen.» Ich lernte daraus und präsentiere diesen Ausschnitt nie mehr ohne Kontext im TV.

«Frontalunterricht» heisst dieses Bühnenprogramm, das kommende trägt den Titel «Nachsitzen» – entwickeln Sie sich allmählich zur Oberlehrerin der Nation?
Nein, ich betrachte das vom erziehungswissenschaftlichen Standpunkt und nicht von dem der ­Lehrerin – da ist man schon ­Partei. Die Vogelperspektive der Wissenschaft eignet sich besser für Satire. Für das Bühnenstück «Frontal­unterricht» zog ich deshalb neuste ­Studien aus der Pädagogik bei.

Auch für «Nachsitzen»?
Das wird thematisch offener, denn nachsitzen müssen wir alle. Also bitte alle Tickets kaufen und ab März 2019 zu den Vorstellungen kommen! Das ist das einzige Nachsitzen, für das man zahlen muss.

Bekommt das Publikum ­Strafaufgaben?
Es ist Strafaufgabe genug, wenn man mir zwei Stunden zuhören muss: Die Synapsen werden so richtig durchgerüttelt, und die Frontallappen schlägt es an die Schädelwand.

Nach zehn Jahren findet Europas grösster Poetry-Slam wieder ­mal in der Schweiz statt. Die 200 besten Slam-Poeten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz treten in Zürich zu den 22. Deutsch­sprachigen Meisterschaften in ­Einzel- und Teamwett­bewerben gegeneinander an. Der Einzelfinal geht im Hallenstadion über die Bühne, moderiert von Hazel Brugger. Um die Gunst des ­Publikums kämpfen u. a. ­Schweizer Meister Kilian Ziegler, der hiesige Nachwuchsstar Lisa Christ und Titelverteidiger Alex Burkhard aus Bayern. Slam 2018 vom 6. bis 10. November in Zürich; Infos und Tickets: slam2018.ch

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