Missbrauch Mobilitätsservice
Mit dreistem Trick zum Priority Boarding

Dank Mobilitätsdiensten an Flughäfen können Betroffene barrierefrei reisen. Einige nutzen das jedoch aus, um lange Warteschlangen zu umgehen und früher boarden zu können.
Publiziert: 18.08.2024 um 18:58 Uhr
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Cécile ReyPraktikantin

Eben sass er noch im orange blinkenden Shuttle, der ihn vom Flugzeug in den Ankunftsbereich bringen sollte. Kaum beim Duty-free-Shop angekommen, hüpfte er jedoch davon wie ein junges Reh – und verschwand zwischen Souvenirs und Schokolade. Den Mobilitätsdienst brauchte er anscheinend nicht mehr.

An den Flughäfen Genf, Basel und Zürich wurden im vergangenen Jahr fast eine halbe Million beeinträchtigter Passagiere bei ihrer Flugreise unterstützt. Dazu haben sich europäische Flughäfen 2006 verpflichtet. Der Mobilitätsdienst, auch PRM-Service (person with reduced mobility) genannt, transportiert Betroffene mit einem elektrischen Wagen oder Rollstuhl vom Check-in bis zum Flugzeug – oder umgekehrt. Der Vorteil: kein Anstehen bei Sicherheits- oder Passkontrollen sowie ein Priority Boarding. Kostenpunkt: gratis.

«Der Service wird manchmal missbräuchlich in Anspruch genommen»

Was für Personen mit Beeinträchtigung ein wichtiger Service ist, wird jedoch immer wieder von Personen ohne Beeinträchtigungen missbraucht. Auf Anfrage heisst es beim Flughafen Zürich: «Leider wird der Service immer mal wieder missbräuchlich in Anspruch genommen.» Genauer äussern möchte man sich dazu jedoch nicht. Es ist ein heikles Thema. 

Mobilitätsdienste an Flughäfen ermöglichen barrierefreies Reisen.
Foto: Shutterstock
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Beim Flughafen Genf sagt eine Sprecherin auf Anfrage: «Es wird davon ausgegangen, dass, wenn jemand einen Antrag stellt, auch der Bedarf an Mobilitätshilfe besteht.» 

In Gesprächen mit verschiedenen Flughafen-Mitarbeitenden geht hervor: So einfach ist es nicht. Manchmal beanspruchten Personen den Service, weil sie die Sprache nicht verständen oder den Weg nicht allein fänden. Beides legitimiert den Anspruch auf den Mobilitätsservice nicht. Meist seien die Benutzerinnen und Benutzer dann sehr unfreundlich und anspruchsvoll. Ausserdem: Der Flughafen bietet für Ortsunkundige einen Begleitservice an – jedoch kostenpflichtig. 

Der Mobilitätsservice funktioniert durch reine Selbstdeklaration. Nachfragen ist dem Personal nicht erlaubt. «Da auch Personen mit Krankheiten zugelassen sind, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt sehen muss, ist es teilweise schwer einzuschätzen, ob die Person serviceberechtigt ist oder nicht», heisst es aus Genf.

Jetway Jesus oder Jesus der Passagierbrücke

Für das Phänomen, dass Reisende mithilfe des Begleitservice lange Wartezeiten umgehen und später plötzlich nicht mehr darauf angewiesen sind, gibt es bereits einen Namen: Jetway Jesus, also Jesus der Passagierbrücke. «Auf dem Hinflug brauchen solche Passagiere noch Hilfe. Sobald sie aber die Brücke erreichen, die Flughafenterminal und Flugzeug verbindet, sind sie geheilt und der Rollstuhl hat Feierabend», beschreibt ein Reddit-Nutzer das Phänomen.

Wie verschiedene Medien berichten, soll besonders in den USA der Anreiz gross sein, Mobilitätsdienste missbräuchlich in Anspruch zu nehmen. Denn für lange Zeit vergab die US-amerikanische Billigairline Southwest keine reservierten Sitze, sodass Priority Boarding ein wichtiger Faktor für gute Sitzplätze war. Damit ist ab 2025 jedoch Schluss: Dann erhalten Passagiere, wie sonst üblich, einen zugewiesenen Sitz.

Die Nachfrage nach Mobilitätsdiensten nimmt zu

Fakt ist: Die Nachfrage von Mobilitätsdiensten steigt. Das bestätigen der Flughafen Zürich, Genf und Basel sowie die Fluggesellschaft Swiss. Genf verzeichnet im ersten Halbjahr 2024 einen Anstieg von zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In Zürich waren es gar 14 Prozent. In Basel stieg die Nachfrage seit 2008 um rund zehn Prozent pro Jahr.

Nun lässt sich die steigende Nachfrage nicht einfach darauf zurückführen, dass Fluggäste den Service missbrauchen. Auch die Alterung der Bevölkerung sowie eine allgemeine Zunahme der Flugreisen spielen eine Rolle. Und dass in den letzten Jahren die Sensibilität für Personen mit eingeschränkter Mobilität gestiegen ist.

Für Betroffene ist der Service zwar kostenlos, bezahlen muss ihn trotzdem jemand. Für die EU und die Schweiz werden die Kosten letztendlich von jedem abfliegenden Passagier in Form eines Solidaritätsbeitrags getragen. Dieser liegt momentan bei einem Franken pro Person und ist im Ticketpreis inbegriffen. Bei 28,8 Millionen Passagieren am Flughafen Zürich kamen so 14,4 Millionen Franken zusammen. Die Kosten des Mobilitätsservices beliefen sich in Zürich im Jahr 2023 bei 260’000 Fällen auf insgesamt 11,5 Millionen Franken. Eine Erhöhung der Gebühr ist aktuell nicht vorgesehen.

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