Neda Amin kritisierte auf ihrem Blog die Regierung ihrer Heimat
«Im Iran hätte man mich erhängt»

Neda Amin schrieb als Iranerin im Exil für eine israelische Onlinezeitung. Zu Hause drohte ihr deshalb die Todesstrafe. Seit bald einem Jahr lebt sie in Jerusalem und bezahlt täglich den Preis ihres Widerstands gegen das iranische Regime.
Publiziert: 21.05.2018 um 21:16 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:45 Uhr
Die iranische Journalistin Neda Amin in ihrer neuen Heimat Jerusalem.
Foto: Jonas Opperskalski / laif
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Joëlle Weil, Jerusalem

Als könnte sie das iranische Regime hören. So laut und demonstrativ lacht Neda Amin (33), wenn sie über ihre Heimat spricht. «Ein Krieg mit Israel?», fragt sie. «Dass ich nicht lache! Dafür sind die nicht klug genug!» Sie sagt es so laut, als wolle sie, dass ihre Worte in Teheran gehört werden.

Dabei ist der Iran weit weg von dem Ort, wo sie heute lebt. Amin sitzt in ihrer kleinen Wohnung in Jerusalem, also in jenem Land, das von ihrer Heimat als «der Teufel» verschrien wird. Das «zionistische Regime», das «zerstört werden muss», ist seit August ihr Zuhause, wenn auch nicht ganz freiwillig.

Bald jährt sich der Tag, an dem Neda Amin die Erhängung drohte. Der 5. August 2017. Im Lauf ihres Lebens hat sie sich einen mächtigen Feind gemacht, der nicht nur ihr, sondern auch ihrer Familie drohte: die iranische Regierung.

Ihre Familie feierte Amin als Rebellin

Amin wuchs in Teheran in einer reichen Familie als eine von drei Töchtern auf. Sie schrieb schon früh ihr erstes Buch und thematisierte in ­ihrem zweiten unter anderem die Rechte der Frau. Es folgte ihre erste Konfrontation mit der iranischen Polizei, die sie damals mit einer Geldstrafe von 9000 Dollar ermahnte, sich nicht weiter dem Regime in den Weg zu stellen. Ihr ­Vater bezahlte damals und sagte seiner Tochter, er stünde immer hinter ihr, auch wenn sie sich auch in Zukunft regierungskritisch äussern wolle.

Foto: Jonas Opperskalski

Ihre ganze Familie feierte Amin als Rebellin, und jeder in ihrer Familie rebellierte indirekt durch sie. Ihr Vater verstarb, bevor Amin ihr drittes Buch herausbrachte. Wieder stellte sie die iranische Regierung in Frage, dieses Mal half ­jedoch kein Geld, um sie zu retten. Ihr Anwalt klärte sie darüber auf, dass ihr nun Gefängnis drohe. Als Wiederholungstäterin bis zu zehn Jahre. «Zum ersten Mal hatte ich Angst», sagt sie.

Der Anwalt riet ihr zur Flucht, und so entschied sie sich, in die Türkei zu fliegen und Asyl zu beantragen. Es war der nächstgelegene Ort, der für sie in Frage kam. Über drei Jahre lang lebte sie als Flüchtling in einer kleinen Stadt, irgendwo zwischen Istanbul und Ankara, ihre Mutter konnte sie damals besuchen. Heute weiss sie nicht, ob sie ihre Mutter jemals wiedersehen wird.

«Im Iran ist alles eine Frage des Geldes»

Ich treffe Neda Amin am Vorabend eines israelischen Feiertags. Bevor die Läden im ganzen Land schliessen, will sie Zigaretten und Bier kaufen gehen. Man könnte meinen, es sei Teil ihrer neuen Freiheit, als Frau ohne Kopftuch Alkohol kaufen zu können. «Ich habe bereits in Teheran Bier getrunken», erzählt sie. Und das, obwohl Alkohol im Iran seit der Islamischen Revolution von 1979 verboten ist.

«Im Iran ist fast alles eine Frage des Geldes. Hast du Geld, hast du Macht. Wenn ich Bier wollte, beauftragte ich jemanden, mir eine Flasche zu besorgen. Freiheit ist im Iran bis zu einem gewissen Grad käuflich.» Nur das Leben selbst bleibt unkäuflich – und genau das stand auf dem Spiel.

Foto: Jonas Opperskalski

Während ihres dreijährigen Aufenthalts in der Türkei trat sie mit der «Times of Israel» in Kontakt. Eine Onlinezeitung, die auf Englisch, Chinesisch, Arabisch und Farsi publiziert. Die Redaktion spürte Amin online auf und fragte sie, ob sie Interesse hätte, für die persische Ausgabe zu schreiben. Neda sagte sofort zu, sah darin eine Möglichkeit, aus der Ferne gegen Präsident Hassan Rohani zu kämpfen, schrieb im Januar einen Blog, der die iranische Regierung scharf kritisierte.

Ihre journalistische Tätigkeit blieb nicht lange unbemerkt, und schon bald stand der türkische Geheimdienst vor ihrer Tür. Sie wurde von den türkischen Behörden als israelische Spionin verdächtigt und musste sich immer wieder Befragungen stellen. «Ich fragte, ob es denn widerrechtlich sei, für eine ­israelische Zeitung zu schreiben.» Die Beamten hätten geantwortet: «Nein. Aber wir mögen es nicht, wenn man mit Israel arbeitet.» Amin liess sich von ihrer Arbeit nicht abhalten, obwohl der Geheimdienst immer wieder auf sie zukam.

UN Watch organisierte Petition gegen ihre Abschiebung

Erst, als ihr die Türkei mit einer Abschiebung zurück in den Iran drohte, hatte sie ein weiteres Mal in ihrem Leben wirklich Angst. «Dieses Mal drohte mir im Iran nicht nur Gefängnis, sondern wegen meiner Tätigkeit für Israel Erhängung.» Die Nichtregierungsorganisation UN Watch schaltete sich ein und lancierte eine Onlinepetition gegen Amins Abschiebung. Fast 9000 Menschen unterschrieben.

In ihrer Angst wusste sie sich nicht anders weiterzuhelfen, als «Times of Israel»-Gründer David Horovitz zu kontaktieren und ihn anzuflehen, sie irgendwie zu retten. Ein Behördenstein geriet ins Rollen. Horovitz verständigte die israelischen Behörden, das Konsulat in Istanbul. Das Ziel war klar: Amin musste nach Israel gebracht werden.

Dass sich Israel für die Einreise jüdischer Iraner einsetzt, ist nichts Ungewöhnliches. Über 130 000 persische Juden leben in Israel. Doch Neda Amin ist nicht jüdisch. Sie selbst behauptet, ihr Vater sei es. In Israel jedoch zweifelt man an dieser Angabe, welche ihr theoretisch die israelische Staatsbürgerschaft verspricht. Dennoch organisierte man ihr ein Flugticket und eine Einreiseerlaubnis.

«Sie riefen mich aus Istanbul an und sagten mir, ich solle sofort meine Papiere abholen», sagt Amin. «Aber ich war sieben Stunden Autofahrt von Istanbul entfernt. Sie meinten dort, ich solle einfach kommen, sie erwarten mich, egal wann.»

Ihre Schwestern haben den Kontakt abgebrochen

Die Journalistin nahm ihren Hund Chika, eine Deutsche Schäferhündin, welche sie in der Türkei fand, an die Leine und machte sich auf den Weg zum Konsulat. Es war Nacht, als sie eintraf. Von dort aus ging es direkt weiter zum Flughafen. Am Gate selbst hinderte sie die türkische Polizei daran auszureisen. Erst der zweite Versuch ein paar Tage später glückte.

Das Medieninteresse an Amins Ankunft in Israel war riesig. Israelische und internationale Medien wollten sie sehen, die iranische Journalistin, die dank Israel der ­Todesstrafe entkam. Israels Innenminister Aryeh Deri feierte seinen diplomatischen Erfolg in den sozialen Medien und twitterte am Tag ihrer Ankunft: «Willkommen in ­Israel.»

Amin heute als freien Menschen zu bezeichnen, wäre naiv. Sie lebt als Flüchtling, hat keine Arbeits­erlaubnis und wird ihre Familie vielleicht nie wiedersehen. Mit ihrer Mutter pflegt sie Kontakt über WhatsApp. Ihre Schwestern haben aus Angst vor der iranischen Polizei den Kontakt zu ihr abgebrochen. Ihrer jüngsten Schwester hat man die iranische Anwaltslizenz ent­zogen, nachdem im Iran bekannt wurde, dass sie für ein israelisches Unternehmen schreibt. Geld verdient Amin offiziell keines. Ihre kleine Wohnung und alle Rechnungen werden selbstlos von Horovitz bezahlt. Ein selbständiges, freies Leben sieht anders aus.

Neda Amin versucht trotzdem, sich irgendwie an ihr neues Leben zu gewöhnen. Viermal pro Woche besucht sie einen Hebräischkurs, spricht mittlerweile einige Brocken, wenn auch wenige. Und sie beobachtet mit Staunen, wie man sich in Israel vor einem Krieg mit dem Iran fürchtet.

Amin rebelliert mit Spott

Foto: Jonas Opperskalski

Seitdem im Februar eine iranische Drohne von einem Stützpunkt in Syrien den israelischen Luftraum erreicht hat, wird darüber spekuliert, ob sich die Lage zwischen Israel und dem Iran weiter zuspitzen wird. Im April griff Israel eine iranische Militärbasis in Syrien an, bei dem über ein Dutzend Angehörige der Armee ums Leben kamen.

Seither vergeht keine Woche, in der Iran Israel nicht mit aller Härte mit Vergeltung droht – und Israel zurückwarnt, in aller Härte auf mögliche Vergeltungsanschläge zu reagieren. Vorletzte Woche beschossen mutmasslich iranische Einheiten von syrischem Boden aus Israel. Die israelischen Streitkräfte antworteten mit Luftschlägen.

Trotzdem behauptet Amin: «Viele Iraner mögen Benjamin Netanyahu.» Mit seiner Politik habe das weniger zu tun als mit seinem Charakter. «Die ganze Welt fürchtet sich vor der iranischen Regierung. Sogar die Iraner selbst. Netanyahu ist einer der Einzigen, der keine Konfrontation scheut und sich nicht einschüchtern lässt. Das rechnete man ihm in meinem iranischen Umfeld hoch an.»

Auch Trump respektiere man deshalb. «Bei Obama war das anders. Der hatte zu wenig Rückgrat.» Es scheint, als wolle Amin dem iranischen Regime direkt ins Gesicht spotten, wenn sie diese Worte sagt.

Sie hat für ihre Form des Aufstands einen hohen Preis bezahlt. Ein ­Zurück gibt es nicht. Aber sie kann ­lachen und mit Spott weiter gegen das Regime rebellieren, das ihr die Freiheit genommen hat. Es ist die einzige Form der Revolution, die ihr geblieben ist.

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