Pianistin Beatrice Berrut über Flugangst, Liszt und die Berge
«Mozart ist wie ein schlicht-schöner Whisky»

Flügel, Fliegen, Feuerwasser: Die Welt der gefeierten Westschweizer Pianistin Beatrice Berrut (33) ist vielfältig. Mit einer neuen CD im Gepäck tritt sie nächsten Sonntag in Ernen VS auf.
Publiziert: 04.07.2018 um 09:37 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2018 um 15:53 Uhr
Daniel Arnet

Eine Whisky trinkende Pilotin am Flügel – eine spezielle Mischung, Beatrice Berrut.
Ja, aber mittlerweile habe ich das Fliegen aufgegeben.

Weshalb?
Ich hatte letztes Jahr einen schweren Skiunfall, bei dem ich mir das Bein brach und daraufhin zwölf Konzerte absagen musste. Seither bin ich sehr vorsichtig geworden.

Wieso haben Sie mit dem Fliegen überhaupt begonnen?
Wegen meiner Flugangst.

Wie bitte?
Ja, durch die Flugangst war ich auf meinen Konzerttourneen zusätzlich angespannt. Da musste ich etwas machen.

Und so wollten Sie den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
Ich analysierte meine Angst und erkannte: Eigentlich verstehe ich nicht, wie ein Flugzeug starten kann. Daraufhin habe ich viel gelesen und mich erkundigt. Ich habe zum ersten Mal realisiert, dass Menschen im Cockpit sitzen – da war ich vom Flugvirus angesteckt.

Und jetzt haben Sie keine Angst mehr?
Nein, absolut keine.

Sie sagten mal, dass Klavierspielen und Fliegen etwas gemeinsam haben: Einmal gestartet, müsse man die Linie halten.
In einem Konzert trifft das voll und ganz zu: Sobald man beginnt, muss man die Komposition bis zum Ende durchziehen.

Gibt es beim Klavierspiel auch Turbulenzen?
Ja, manchmal verspürt man eine unerklärliche Anspannung. Aber das Adrenalin treibt einen voran.

Start und Landung gelten beim Fliegen als das Schwierigste. Sind beim Klavierspiel Anfang und Ende auch am anspruchsvollsten?
Nein, beim Klavierspiel ist alles schwierig, man kann in der Musik keinen Autopiloten einsetzen.

Wann haben Sie beim Musizieren Ihren letzten Höhenflug erlebt?
Das war kürzlich in Hamburg, als ich meine Gustav-Mahler-Bearbeitung für Mahler-Spezialisten gespielt habe.

Vom Höhenrausch zum berauschenden Alkohol: Wie verträgt sich das exakte Klavierspiel mit Ihrem zweiten Hobby Whisky
Es ist inzwischen mehr als ein Hobby: Vor drei Wochen habe ich in Schottland meine Prüfung als Whisky-Verkosterin bestanden.

Am 8. Juli tritt Beatrice Berrut im Rahmen des Musikfestivals in Ernen VS in der Kirche St. Georg auf und spielt unter anderem Bach, Wagner und Liszt.
Foto: Peter Gerber

Gratulation! Was mögen Sie am Whisky?
Für mich ist ein Whisky ein Kunstwerk. Er ist ein grosses Geheimnis, eine Mischung von vielen Elementen, genau wie Musik. Beide Sachen geben mir so viele Emotionen – zwei schöne Arten, das Leben zu geniessen.

Aber Sie geniessen die beiden Sachen zu unterschiedlichen Zeiten, oder?
Absolut. Schon nach einem Schluck Whisky kann ich nicht mehr Klavier spielen.

Welches ist Ihr liebster?
Ich mag torfige Whiskys sehr gern, aber auch schlichte, schöne – die sind wie Mozart. Ein Whisky, der nicht Jahre in Fässern gereift ist und trotzdem schmeckt, ist wirklich gut, denn man kann nichts verstecken.

Sie sollen Ihren Whisky-Flaschen Namen von Komponisten gegeben haben. Ist das wahr?
Nein, so weit gehe ich nicht. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass gewisse Whiskys zu bestimmten Komponisten passen. Man hat
mich schon angefragt, damit ich einige Abende plane, an denen
ich Whiskys und Klavierstücke in Verbindung bringe.

Wann wird das über die Bühne gehen?
Das weiss ich noch nicht.

Bereits am nächsten Sonntag treten Sie am Festival im Musikdorf Ernen auf – ein Heimspiel für Sie als Walliserin.
Ja. Und trotzdem ist Ernen so anders als meine Geburtsstadt Monthey, eine andere Welt.

In Ernen spielen Sie in der Kirche St. Georg. Wie unterscheidet sich dieser Auftrittsort von städtischen Konzertsälen?
Die Akustik in einer Kirche ist meist sehr hallig. Und die Zuschauer reisen von weither an.

Was ist Ihnen wichtiger: ein glückliches Konzertpublikum oder eine lobende Besprechung?
Ich spiele meine Musik nicht für Kritiker – aber fürs Publikum. Das Schönste an der Musik ist, sie mit anderen teilen zu können.

Dennoch: Sie bekommen höchstes Lob für Ihre Auftritte und CD-Einspielungen. «Ungemein eindrucksvolle Interpretationen», «ausserordentliche Tiefe der Empfindung» heisst es etwa. Macht Sie das stolz?
Das ist natürlich eine Ermutigung.

«Liszt ist quasi mein Vorbild»: Beatrice Berrut bei der Interpretation seiner Komposition «Vallée d'Obermann» am Sion Festival im August 2017.
Foto: Celine Ribordy

Nach Ihrer hoch gelobten CD «Metanoia» von 2016 mit Klaviermusik von Franz Liszt beschäftigen Sie sich auf Ihrer neuen CD «Athanor» wieder mit diesem Komponisten. Was mögen Sie an ihm?
Franz Liszt ist quasi mein Vorbild – auch als Mensch. Er führte ein extremes Leben: Er war ein Tastenlöwe und hatte die ganze Welt zu seinen Füssen. Alle waren begeistert, er war damals ein Gott.

Doch dann hat er sich vom Konzertpianisten zum Komponisten entwickelt.
Genau. Mit 37 hat er sich in Weimar dem Komponieren zugewandt. Er ist ein Visionär gewesen und hat die Tür zur Atonalität geöffnet. Damit hat er die Musikwelt verändert und andere gefördert – Wagner, Berlioz. Das war ein grosses Wagnis für ihn, denn diese Musik war damals nicht beliebt – auch seine nicht. Er hatte auch ein positives Bild
von den Frauen und hatte viele Studentinnen.

Wären Sie gern eine davon gewesen?
Ja, und wie! Ich bin einfach zu spät auf die Welt gekommen.

Sie haben achtjährig mit dem Klavierspielen begonnen. War Ihre Mutter am Piano Ihr Vorbild?
Ganz bestimmt. Tagtäglich hörte ich zu Hause Klavier.

Aber letztlich brachte Sie Johannes Brahms ans Klavier.
Genau, als ich sein zweites Klavierkonzert hörte, war das für mich ein Erweckungserlebnis. Das ist für mich das grösste Werk, das es überhaupt gibt. Das bringt mich jedoch in einen inneren Konflikt.

Weshalb?
Weil Brahms so böse zu Liszt war und dessen Musik nicht mochte – das finde ich derart ungerecht.

Hätten Sie gern zwischen diesen beiden Herren vermittelt?
Ja, ja, die Schweizer Diplomatie.

Beatrice Berrut: Liszt Athanor mit dem Czech National Symphony Orchestra (Harmonia Mundi)

Welchem Komponisten widmen Sie sich als Nächstes?
Gustav Mahler. Das wird eine sehr persönliche CD, weil ich seine Symphonien selber für das Klavier bearbeite.

Ein Risiko?
Ja. Es gibt Leute, die denken, das sei die Musik eines Genies, die man nicht berühren dürfe. Aber ich möchte diese Musik auch haben, und ich bin nun mal Pianistin. Da habe ich keine andere Wahl, als diese Symphonien zu bearbeiten. Aber ich habe Vertrauen in meine eigene  Transkription.

Verfolgen Sie ein Konzept, oder entscheiden Sie nach Lust und Laune, welcher Komponist folgt?
Ich beschäftige mich gern mit den grossen Mystikern der Musikwelt – Johann Sebastian Bach gehört auch dazu.

Gibt es Komponisten, die Sie nicht interessieren?
Zu den Franzosen und zu fast allen Russen fühle ich mich nicht wirklich hingezogen. Meine Musik ist die deutsche – von Bach bis Schönberg.

War dafür Ihre Studienzeit in Berlin prägend?
Ja, obwohl ich französischsprachig bin, kam es mir nie in den Sinn, in Paris zu studieren.

Wir sprechen hier nur von komponierenden Männern. Warum keine Frau?
Frauen durften lange nicht komponieren. Auch heute gibt es noch wenige Komponistinnen, aber das ändert sich allmählich. In meinem Repertoire habe ich zum Beispiel ein paar Stücke von der russischen Komponistin Lera Auerbach.

Sie beklagten einmal, dass sich die Pianisten Alfred Brendel und Radu Lupu nicht als Model verkaufen mussten. Fühlen Sie sich manchmal auf Ihre Schönheit reduziert?
Nicht mehr, ich bekomme für meine musikalischen Leistungen in der Fachwelt mittlerweile genug Anerkennung.

Sie versuchen «im Haifisch-Becken der Vermarktung», wie Sie es selber nennen, Ihren eigenen Weg zu finden. Haben Sie den gefunden?
Für mich ist wichtig, dass ich meine eigenen Bearbeitungen spielen kann. Als Pianistin habe ich zudem einen riesigen Fundus an Notenmaterial, aber man neigt trotzdem dazu, dieselben Stücke zu spielen. Da möchte ich auch einen eigenen Weg gehen – mit mehr zeitgenössischer Musik.

Zeitgenössische Musik hat allerdings oft die Schwierigkeit, ihr Publikum zu finden.
Ja, aber die Musik, die mir vorschwebt, geht in die Richtung des jungen Arnold Schönberg, ist also recht zugänglich.

Ist Pianistin Ihr Traumberuf?
Mehr als das: Es ist der Sinn meines Lebens, der Musik zu dienen. Das ist wahrscheinlich vergleichbar mit einem Priester. Ich habe einen riesigen Glauben an die Musik. Sie ist für mich heilig.

Nach den Lehr- und Wanderjahren haben Sie Ihr Domizil nun wieder in Monthey aufgebaut. Was mögen Sie an Ihrer Heimat
Die Ruhe und die -Berge. Dort bekomme ich Inspirationen. In der Musikindustrie gibt es eine Tendenz zum Oberflächlichen. Doch wenn ich in den Bergen stehe, verstehe ich sofort wieder, was wesentlich ist.

Gehen Sie regelmässig in die Berge?
Ja, aber seit dem Skiunfall kann ich noch nicht so gut laufen.

Haben Sie als Pianistin beim Bergsteigen nicht Angst um Ihre Finger?
Ich darf deswegen nicht klettern. Aber ich kann trotzdem viel machen und hoch hinaus gehen.

Denken Sie beim Bergsteigen an Musik?
Immer. Und wenn ich wandere, übe ich meine Stücke. Auch das Komponieren läuft immer im Kopf ab, die ganze Zeit.

Sehen Sie jeweils Klaviertasten?
Nein, aber ich kann jeden Impuls
in den Muskeln fühlen. Das ist eine sehr gute Übung.

Geht das in einer Stadt weniger?
Ich könnte mir vorstellen, dass das in Wien gut geht. Dort könnte man sich sogar einbilden, auf Schubert oder Beethoven zu treffen.

Was nun: Land- oder Stadtleben?
Ich brauche beides, deshalb ist mein Leben jetzt perfekt.

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