Scharfe Kritik an neuem Postfinance-Verwaltungsrat
«Hätte man nicht einen anderen nehmen können?»

Diese Wahl löst Kopfschütteln aus: Postchef Christian Levrat holt einen Vincenz-Vertrauten und ehemaligen Auditor von Raiffeisen in den Verwaltungsrat von Postfinance. Governance-Expertin Monika Roth findet das «nicht erklärbar».
Publiziert: 07.07.2024 um 00:39 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2024 um 10:32 Uhr
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Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

Postfinance ist die bedeutendste Ertragsquelle des gelben Staatskonzerns – und mit ihrer Zahlungsverkehrsinfrastruktur ein wichtiger Pfeiler des Schweizer Finanzwesens. Die Nationalbank stuft das Unternehmen deshalb als systemrelevant ein. Es versteht sich von selbst, dass das oberste Führungsgremium des Tochterunternehmens der Post mit Persönlichkeiten besetzt sein muss, deren Fachkompetenz ebenso unbestritten ist wie ihr guter Ruf. 

Das Verwaltungsratsmandat wird mit rund 100'000 Franken pro Jahr entschädigt. Hinzu kommt ein Prestigebonus, der die Türen zu weiteren Spitzenmandaten öffnet. Geeignetes Personal sollte also leicht zu finden sein. Doch mit der Wahl von Beat Rütsche (56) verschiebt sich nicht nur die bisherige Geschlechterparität im Verwaltungsrat der Postfinance zuungunsten der Frauen – mit dem Berater von Pricewaterhouse Coopers (PWC) zieht in das exklusive Gremium auch ein Mann ein, der auf eine höchst problematische berufliche Vergangenheit zurückblickt. 

Er segnete Vincenz' Spesen ab

Der diplomierte Wirtschaftsprüfer war lange Jahre Partner bei PWC in St. Gallen und für die Prüfung der Raiffeisen-Geschäfte zuständig. Als sogenannter Lead Auditor verantwortete er den Revisionsbericht im Geschäftsbericht der drittgrössten Bankengruppe der Schweiz. Mit rund 13 Millionen Franken Entschädigung pro Jahr war das Mandat für PWC ausserordentlich lukrativ. 

Postfinance trägt mehr als die Hälfte zum Gewinn des Postkonzerns bei.
Foto: Keystone
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Rütsche war von 2008 bis Ende 2018 leitender Revisor bei Raiffeisen. Über seinen Tisch gingen heikle Deals, Spesenabrechnungen und Lohnzahlungen im Zusammenhang mit Pierin Vincenz (68), die zu einem der grössten Skandale der Schweizer Bankengeschichte führten. 

Der Berater kannte unter anderem das höchst ungewöhnliche Konstrukt, mit dem Lohnzahlungen an die Geschäftsleitung von Raiffeisen intern verschleiert wurden. Die Abrechnungen wurden aus Diskretionsgründen an eine externe Anwaltskanzlei ausgelagert, die vom Vincenz-Vertrauten und ehemaligen Fussballfunktionär Eugen Mätzler geleitet wurde. 

Wie die «SonntagsZeitung» es formulierte, liefen «sämtliche Saläre, Pensionskassenvergütungen, Boni und Spesen von Vincenz und den anderen Geschäftsleitungsmitgliedern über Mätzlers Büro, revidiert von Beat Rütsche von der PWC». In seinem ersten Jahr als leitender Revisor segnete er eine Lohnzahlung von 13,8 Millionen Franken an Vincenz ab. 

Beat Rütsche ist in der Stadt St. Gallen gut vernetzt. Seit 2011 sitzt er für die Mitte im Stadtparlament. Er und Vincenz wohnten im gleichen Quartier, als der Raiffeisen-Boss noch in St. Gallen wohnte. Der soll seinen Nachbarn gelegentlich mit der Limousine in die Stadt mitgenommen haben.

In die Ära Rütsche fielen viele problematische Deals. Unter anderem beteiligte sich Raiffeisen an Investnet, einem Finanzvehikel, von dem die Bank 150 Millionen Franken abschreiben musste. Investnet spielt im Prozess gegen den gefallenen Banker und einige seiner ehemaligen Mitstreiter eine zentrale Rolle. 

Roth: «Solche Winkelzüge deckt man nicht»

Kein Wunder, sieht die Basler Governance-Expertin Monika Roth die Wahl Rütsches kritisch: «Dass das Wirken bei Raiffeisen mehr als problematisch war, ist evident.» Dass Postfinance dies übergehe, ist für die Juristin «nicht erklärbar». Es bleibe dabei, «dass man solche Winkelzüge nicht macht und sie auch nicht deckt als Auditor», meint Roth – selbst wenn Pierin Vincenz am Schluss aller Gerichtsverfahren «aus irgendwelchen Gründen» freigesprochen würde.

Beat Rütsche will zu seiner Tätigkeit für Raiffeisen auf Anfrage keine Stellung nehmen. 

Die Verantwortung für seine Wahl liegt bei Postpräsident Christian Levrat (53). Das politische Schwergewicht aus der Westschweiz steht seit Ende 2021 an der Spitze des Postkonzerns. In dieser Funktion sitzt er auch im Ausschuss Audit, Risk & Compliance, der sich speziell mit Angelegenheiten der Postfinance befasst. 

Der ehemalige SP-Ständerat teilt schriftlich mit: «Weder ich als Verwaltungsratspräsident der Post noch Postfinance können das Mandat der PWC bei Raiffeisen beurteilen.» Levrat verweist auf die Finanzmarktgesetze, die verlangen, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats «Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit» bieten. 

Eigene Abklärungen haben laut Levrat keine Anhaltspunkte für Interessenkonflikte ergeben. «Dies führt mich zum Schluss: Mit Beat Rütsche gewinnt Postfinance einen versierten Finanz- und bewährten Prüfexperten für ihren Verwaltungsrat. Dieser Eindruck bestätigte sich übrigens auch in meinem persönlichen Austausch mit Beat Rütsche.» 

Neue Verwaltungsräte von Banken müssen zwingend von der Finma genehmigt werden. Da Rütsche bereits am 28. Juni in den Verwaltungsrat gewählt wurde, ist davon auszugehen, dass die Finma vorgängig grünes Licht gegeben hat. 

In der Branche löst die Personalie dennoch Kopfschütteln aus. Ein langjähriges Raiffeisen-Kadermitglied kann den Ablauf nicht nachvollziehen und spricht von einem «äusserst schwachen Entscheid der Finma». Auch bei einem Postfinance-Kadermann stösst die Wahl auf Unverständnis: «Als ich seinen Namen gegoogelt habe, habe ich mir gedacht: Hätte man nicht einen anderen nehmen können?»

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