Thomas Meyers Bestseller-Roman kriegt eine Fortsetzung
Jetzt wird Wolkenbruch politisch

Das Abenteuer des orthodoxen Juden Motti Wolkenbruch geht weiter. Ab Dienstag ist die Fortsetzung des Schriftstellers Thomas Meyer im Handel. Darin wird Motti zum Erzfeind der Nazis. Eine Schickse kommt natürlich auch vor: Hulda, die Spionin.
Publiziert: 15.09.2019 um 12:25 Uhr
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Aktualisiert: 10.10.2020 um 19:38 Uhr

In «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» verliebt sich der fromme Jude Motti in eine Schickse, also eine Nichtjüdin. Schlimmer noch: Er schläft mit ihr. Seine Eltern schmeissen ihn raus, Motti endet in einem Hotel. Siebeneinhalb Jahre später erscheint nun die Fortsetzung – in der Geschichte aber sind nur wenige Tage vergangen.

Mordechai schaut aus dem Fenster und fragt sich, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen soll. Elf Stockwerke unter ihm sind lauter Menschen ­unterwegs, zu Fuss, auf dem Rad und im Auto. Mordechai beneidet sie darum, ein Ziel zu haben. Ausser der Hotelbar hat er derzeit keines. Er sucht sie jeden Abend ­etwas früher auf, wobei er die Schwelle zum Nachmittag gestern eindeutig unterschritten hat. Die Uhr an der Wand hat ihm das mitgeteilt. Und die Mimik der Dame, die ihm seinen Gin Tonic hingestellt hat. Und die Tatsache, dass er ihn gar nicht hat ordern müssen.

Das Telefon auf dem Nachttisch klingelt. Mordechai setzt sich auf ­ die Bettkante, hebt ab und meldet sich mit dem Einzigen, was ihm von seiner Familie geblieben ist: dem Namen.

«Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» – so hiessen Buch und Film, die mittlerweile im ganzen Land bekannt sind.
Foto: Zvg
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«Guten Morgen, Herr Wolkenbruch!», grüsst ihn die Dame von der Rezeption. «Sie haben Besuch. Von Herrn Hirsch. Er wartet in der Lobby auf Sie.»

Motti – eigentlich nennen ihn alle nur so – bedankt sich und legt auf. Er kennt keinen Herrn Hirsch. Der Name klingt jüdisch, sagt ihm aber nichts. Nun gibt es Leute, die hätten den Fremden an den Apparat verlangt: Woher kennen wir uns? Was wollen Sie von mir? Andere ­hätten ihn einfach fortschicken lassen. Aber Motti ist wohlerzogen. Wenn ihn jemand sprechen will, putzt er sich die Zähne und tritt diesem Menschen gegenüber.

Im Spiegel des Aufzugs begegnet Motti Wolkenbruch einem Motti Wolkenbruch, der nur wenig Ähnlichkeit hat mit jenem, den er bis vor kurzem kannte: Er trägt keine orthodoxe Kleidung mehr, keine Kippa und keinen Bart, sondern Jeans und T-Shirt. Ausserdem hat er auf­gehört, zu beten und koscher zu essen. Er isst überhaupt kaum noch. Und das alles wegen Laura.

Als er in die Lobby tritt, schaut er sich links und rechts nach diesem Herrn Hirsch um. Aus einem der Ledersessel erhebt sich ein kleiner, rundlicher Herr mit Haarkranz, einer dicken eckigen Brille, wie Politiker sie früher getragen haben, und einem ebenso altmodischen beigefarbenen Polohemd, aus dessen Kragen ein goldener Davidstern herausglänzt. Motti geht auf ihn zu. Der Mann, er dürfte um die fünfzig sein, streckt Motti seine Rechte hin und sagt erfreut und mit jiddischem Akzent: «Herr Wolkenbruch! Gideon Hirsch, mein Name.»

Motti schüttelt ihm zaghaft die Hand. Ist er ein Abgesandter seiner Eltern? Soll er Motti wieder nach Hause bringen? Er sieht allerdings nicht fromm genug aus für eine solche Mission.

«Bitte», sagt Hirsch und weist einladend auf den Sessel gegenüber seinem.

Sie setzen sich. Von irgendwoher erklingt leise klassische Musik. Hirsch studiert einen Moment lang freundlich Mottis Gesicht und fragt: «Nu, Herr Wolkenbruch, wie geht es Ihnen?»

«Gut», lügt Motti.

Hirsch nimmt einen Schluck von seinem Mineralwasser. «Aber Sie haben den Kontakt zu Ihrer Familie verloren, nicht wahr?»

Also doch, denkt Motti. Ihm wird warm in der schmalen Brust. Er stellt sich vor, wie seine Mame, während hier über seine Heimkehr ­verhandelt wird, eine Hühnersuppe für ihn zubereitet, mit schwingendem Löffel und wackelndem Tuches.

«Ja. Und Sie sind gekommen, um zwischen uns zu vermitteln?», fragt Motti. Überflüssigerweise, findet er.

Doch wie Hirsch nun aufhört zu lächeln und den Kopf schüttelt, so gut das bei seiner Halslosigkeit eben geht, ahnt Motti, dass die ­Verhältnisse wohl anders liegen.

«Nein, Herr Wolkenbruch, leider nein» , sagt Hirsch leise. «Gäbe es in Ihrem Fall noch etwas zu vermitteln, würde Ihr Rabbiner hier sitzen. Nicht ich.»

Motti wird unruhig. Wenn dieser Mann nicht gekommen ist, um ihn mit seiner Familie zu versöhnen – wozu denn dann?

Hirsch bemerkt Mottis Irritation, hebt die Hände und sagt feierlich: «Ich bin von den Verlorenen Söhnen Israels. Und Sie, mein lieber Herr Wolkenbruch, sind nun einer von uns.»

Wie sich bald zeigt, sind die Verlorenen Söhne ­Israels mehr als eine Selbsthilfegruppe – es ist nur ein Tarnbegriff für das Weltjudentum, das offenbar doch existiert. Motti wird zu einem seiner Agenten. Aber auch andere trachten nach der Weltherrschaft.

Als am frühen Morgen des dreissigsten April 1945 ­amerikanische Infanterie aus mehreren Richtungen in München einmarschierte, weckte das bei den Einwohnern gegensätzliche Empfindungen. Die einen fühlten sich befreit, die anderen besiegt. Darüber, dass der Krieg nun aus war, herrschte angesichts der fremden Übermacht allerdings Einigkeit. Die Greise des Volkssturms und die Kinder der Hitlerjugend legten ihre Waffen nieder, die Strassenbahnfahrer hielten auf offener Strecke an, und alle gingen, sofern sie noch eines hatten, nach Hause.

SS-Obersturmbannführer Erich Wolf, ein schneidiger Sechsunddreissigjähriger mit teichgrünen Augen und Stirnglatze, beurteilte die Lage anders. Gewiss, die Dinge standen nicht zum Besten, seit die Plutokraten und die Bolschewisten gemeinsame Sache machten. Aber der Krieg verloren? Das Reich am Ende? Niemals! Erst zwei Tage zuvor hatte er diese Worte ein paar Drückebergern der Freiheitsaktion ­Bayern, die doch allen Ernstes kapitulieren wollten, ins Ohr gebrüllt, bevor er sie niederstreckte. Allerdings waren da die Amerikaner auch noch nicht hier gewesen.

Nun, da deren Panzer und Lastwagen in die Stadt rollten, zog sich Wolf mit seinem noch rund vierhundert Mann starken Bataillon in den Aussenbezirk Obergiesing zurück, liess die Fahrzeuge tarnen und erklomm mit seinem Stellvertreter, Sturmbannführer Kurt Hartnagel, den unversehrten Turm der Heilig-Kreuz-Kirche.

«Denen werden wir Saures geben», sagte Wolf, während er durch seinen Feldstecher verfolgte, wie Strassenzug um Strassenzug an den Feind fiel. Als Münchner nahm er die Sache zutiefst persönlich.

Hartnagel, ein gewissenhafter Offizier mit Nickelbrille, erlaubte sich die Frage, was der Herr Obersturmbannführer gegen die Amerikaner auszurichten gedenke.

Wolf liess das Fernglas sinken und starrte Hartnagel an. «Glauben Sie etwa nicht an den Endsieg?» Nur eines hasste er noch mehr als die Juden: Treulosigkeit.

«Doch, natürlich», versicherte Hartnagel. «Aber was wir konkret tun wollen, meine ich.»

Die Frage war nicht unbegründet. Nebst Wolfs Kommandeurs­wagen – einem offenen Mercedes Benz Typ 320, in dem er auch unter Beschuss aufrecht zu sitzen pflegte – verfügten sie über zwei Opel-Blitz-Lastwagen und ein Halbkettenfahrzeug, das eine reichlich ausgeleierte 8,8-cm-Kanone zog und noch elf Granaten dafür mitführte. Es mangelte ausserdem an Gewehrmunition, Treibstoff, Medikamenten und Verpflegung.

Wolf blickte wieder durch sein Glas. Sie würden, getreu der jüngsten Anordnung des Führers, den Kampf in den Wäldern fortsetzen. Hinterhalt. Sabotage. Partisanenkrieg. Was die Russen konnten, das konnten sie schon lange.

«Mit noch glühenderem Eifer», befahl er.

Doch Eifer hatte das Kriegsglück zuvor schon nicht zu begünstigen vermocht und tat es auch jetzt nicht. Wo die Einheit in den folgenden Tagen und Nächten hinkam, wimmelte es von wohlgenährten und ausgeschlafenen amerikanischen Truppen, die ausgesprochen humorlos auf den Anblick der gefleckten Waffen-SS-Tarnanzüge reagierten und sofort das Feuer eröffneten.

Gingen Wolf und seine Männer ihrerseits zum Angriff über, tauchten beängstigend schnell aluminiumglänzende P-47 oder P-51 über ihnen auf und nahmen sie mit ihren Bordkanonen unter Beschuss. Binnen einer Woche hatten sie so ihr Geschütz, sämt­liche Fahrzeuge und über achtzig Mann verloren. Mehr als zweihundert weitere waren verwundet worden, darunter auch Wolf, der seit neuestem mit einer Bahre herumgetragen werden musste; auf dem Bauch liegend, weil ihn eine amerikanische Kugel am Hintern erwischt hatte. Bei der einen Backe rein und wieder raus und das gleiche bei der anderen.

Seine Leute nannte ihn jetzt heimlich den «Mann mit den fünf Arschlöchern». Das war aber auch der einzige Grund zum Lachen, den sie noch hatten. Sie, die es gewohnt waren, dass man ihnen ent­weder zujubelte oder sich vor ihnen in den Staub warf, mussten sich verstecken. Und das in Deutschland! Schlimmer noch, in Bayern.

Sie zogen durch die Wälder, schliefen im Laub, assen Wurzeln und ­Eicheln, schlichen nachts über die Äcker und stahlen Eier und Hühner von den Bauernhöfen. Und sooft sie die charakteristisch heulenden Motoren der amerikanischen Fahrzeuge nahen hörten, drückte die einstige Elite sich bang auf den Boden. Es war peinlich.

«Diese verfluchten Judenschweine», schimpfte Wolf leise auf seiner hastig abgestellten Bahre, während keine zweihundert Meter entfernt eine Kompanie US-Soldaten in ihren olivgrünen Uniformen am Waldrand vorbeizog, im Gefolge zweier Sherman-Panzer. Nicht singend und plaudernd, wie bisher, sondern schweigsam und mit schuss­bereiten Karabinern und Thompson-Maschinenpistolen. Eine Gruppe trug einen zerlegten Mörser. Offenbar machte man mittlerweile gezielt Jagd auf Wolfs Einheit.

«Wo?», flüsterte Hartnagel, der neben ihm auf dem Waldboden lag.

«Na, da vorn! Sind Sie blind?», herrschte Wolf, für den die Amerikaner quasi eine Übersee-Import-Version der Juden darstellten, seinen ­Untergebenen gepresst an. Hartnagel sah bloss die Amerikaner. Mochte sein, dass Juden darunter waren. Er versuchte angestrengt, in ihren Gesichtern die typischen Merkmale zu erkennen – die kolos­salen ­Nasen, der verschlagene Blick. Aber sie waren zu weit weg.

«Kaum haben wird diese Ratten vertilgt, kommen schon neue!», zischte Wolf, der offenbar die besseren Augen hatte.

Hartnagel schwieg. Es war ihm ja keine Frage gestellt worden. Er hätte auch keine Antwort gewusst. Sich abknallen zu lassen oder sich selbst zu erschiessen, schienen derzeit die einzigen Optionen.

Die feindlichen Soldaten entfernten sich. Wolf dachte nach. Solange seine tapferen Männer lebten, bestand das Reich fort. In jedem einzelnen von ihnen. Doch wie lange würden sie noch durchhalten? Die Kommandostrukturen waren zusammengebrochen, die Nachschub­wege ebenso. Sie waren völlig auf sich allein gestellt.

Tatsächlich? Waren sie wirklich die letzten Nationalsozialisten? Es musste doch noch welche geben, die dachten wie sie! Und bereit waren, entsprechend zu handeln!

Just in dem Moment hörten Wolf und Hartnagel hinter sich Schritte im Laub und zogen gleichzeitig ihre Walther P.38. Während sie sich umwandten, sagte ein Mann in breitem, fröhlichem Bairisch: «Sieh an, sieh an! Man darf also noch hoffen!»

Die unbeugsamen Nazis ziehen sich in einen Berg zurück, erfinden den Nachfolger des Volksempfängers, den Volksrechner, und fluten das Volksnetz, das sie harmlos als Internet bezeichnen, mit Hass gegen Juden, Muslime und überhaupt alle. Motti wird zu ihrem Erzfeind. Sie setzen ihre Agentin Hulda auf ihn an, eine hübsche Agentin. Und wieder eine Schickse.

Thomas Meyers «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin» ist ab Dienstag im Handel.

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