Unia-Präsidentin Vania Alleva zum Frauenrentenalter 65
«Viele erachten das als Ohrfeige»

Vergangene Woche beschloss das Parlament die Frauenrentenaltererhöhung. Morgen, 14. Juni findet der feministische Kampftag statt. Wir haben Unia-Präsidentin Vania Alleva gefragt, wie es um die Stimmung der Frauen steht.
Publiziert: 13.06.2021 um 11:46 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2021 um 16:58 Uhr
Interview: Dana Liechti und Eliane Eisenring

Frau Alleva, das Parlament will das Frauenrentenalter 65. Sie haben das Referendum angekündigt. Warum werden Sie die Abstimmung gewinnen?
Vania Alleva:
Weil den Frauen die Frage des Rentenalters sehr wichtig ist. Das hat schon unser Appell «Hände weg von den Frauenrenten» zum Start der Session im März gezeigt. In nur fünf Tagen sind 300 000 Stimmen zusammengekommen – das ist nicht selbstverständlich. Viele Frauen und auch solidarische Männer erachten die Vorlage als Ohrfeige. Das stimmt mich zuversichtlich.

Falls Sie die Abstimmung verlieren, fürchten Sie dann einen Dammbruch – Rentenalter 67 für alle?
Klar, entsprechende Projekte der Bürgerlichen sind ja bereits unterwegs. Dabei werden immer mehr Leute über 50 aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Und in gewissen Branchen ist es schwierig, gesund bis zur Pensionierung arbeiten zu können. Das zwingt viele dazu, ihr Pensum zu reduzieren oder früher in Rente zu gehen – mit enormen Einbussen. Diese Probleme würden sich noch verschärfen.

Die Bürgerlichen kritisieren, dass Frauen zwar höhere Löhne, aber nicht länger arbeiten und nicht ins Militär wollten – das sei opportunistisch.
Wegen der Lohndiskriminierung werden den Frauen auf ein ganzes Erwerbsleben hochgerechnet im Schnitt 300 000 Franken vorenthalten. Dazu kommen tiefe Löhne und die zigtausend Stunden, die immer noch vor allem Frauen in Betreuungs- und Pflegearbeit stecken – oft unentgeltlich. Wegen all dem erhalten sie ein Drittel weniger Rente. Sind diese Probleme behoben, bin ich auch für ein einheitliches Pensionsalter.

«Den Frauen ist die Frage des Rentenalters sehr wichtig», sagt Unia-Präsidentin Vania Alleva.
Foto: Thomas Meier
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Tatsächlich ist der Ursprung des früheren Frauenrentenalters wenig feministisch.
Das stimmt. Bei der Rentenalterssenkung 1964 war das Hauptargument die Gleichberechtigung der ledigen gegenüber den verheirateten Frauen mit älteren Männern, die eine Ehegattenrente bereits ab 60 erhielten. Heute geht es aber um etwas anderes. Der eigentliche Skandal ist, dass man in der aktuellen Diskussion sagt, es gehe um Gleichstellung. Gleichzeitig hat es Jahre und eine riesige Mobilisierung gebraucht, um nur schon eine minime Veränderung des Gleichstellungsgesetzes zu bewirken.

Es gibt auch Frauen, die mit der Rentenaltererhöhung einverstanden sind …
Sicher sehen das nicht alle Frauen gleich. Tatsache ist: Die aktuelle Vorlage geht die zentralen Probleme – die Überbrückung der Babyboomer-Generation und das Ermöglichen einer würdigen Rente – nicht an. Schon heute müssen rund elf Prozent der Frauen zu Beginn der Pensionierung Ergänzungsleistungen beantragen oder weiterarbeiten, um durchzukommen. Es ist paradox, dass nun ausgerechnet ihre Rentenansprüche weiter abgebaut werden sollen.

Durch die Frauenrentenalter-Erhöhung könnten 1,4 Milliarden Franken gespart werden.
Die AHV ist unser bestes Sozialwerk. Wir müssen sie nicht kaputtsparen, sondern ihre Finanzierung sichern. Etwa indem wir befristet die Lohnbeiträge erhöhen, die Nationalbankgewinne aus den Negativzinsen in die AHV fliessen lassen oder eine Finanztransaktionssteuer erheben. Zudem: Würde man die Lohndiskriminierung beheben, würde fast so viel Geld in die AHV fliessen, wie durch die Erhöhung des Frauenrentenalters «gespart» würde.

Der Frauenstreik 2019 war die grösste politische Demonstration in der Geschichte der Schweiz. Passiert ist trotzdem nicht viel.
Das zeigt, wie viel Druck es bei Gleichstellungsfragen braucht.

Bei den Löhnen haben wir gar einen Schritt rückwärts gemacht.
Ja, das zeigen die Zahlen des Bundes. Am Streik 2019 legten viele Frauen um 15.24 Uhr symbolisch die Arbeit nieder – weil wir ab dieser Zeit gratis arbeiten. In diesem Jahr muss diese Aktion schon fünf Minuten früher stattfinden.

Andererseits haben wir den Vaterschaftsurlaub angenommen – und es wurden mehr Frauen ins Parlament gewählt.
Ja, das sind gute, aber kleine Schritte. Und ohne grosse Mobilisierung hätte es nicht einmal diese gegeben.

Ist das nicht frustrierend?
Wenn ich Plakate aus den 60er-, 70er-Jahren sehe, denke ich mir manchmal schon: Kommen wir eigentlich nie vorwärts? Auch die Pandemie hat unserer Sache nicht gerade geholfen.

Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung bei den Frauen wahr?
Die Wut ist gewachsen. Ich merke das besonders bei unseren zu Beginn der Pandemie viel beklatschten Mitgliedern aus der Pflege und dem Verkauf, da herrscht die Erwartung: Jetzt sind wir dran, jetzt muss etwas gehen. Die Frauen haben gezeigt, wie wichtig ihr Beitrag ist für die Gesellschaft, fürs Arbeitsleben und die Aufrechterhaltung des ganzen Systems.

Wird der Entscheid des Parlaments zum Frauenrentenalter jetzt noch einmal mehr Frauen mobilisieren?
Er wird sicher ein wichtiges Thema sein. Wie viele Menschen am Montag aber effektiv auf der Strasse sein werden, weiss ich nicht – wir befinden uns schliesslich immer noch in einer Pandemie.

Werden Sie selbst an Aktionen teilnehmen?
Ich werde in Neuenburg sein, bei einer sehr aktiven Frauengruppe von uns. Ich bin gespannt. Von der Kraft des Streiks 2019 zehre ich nämlich noch heute. Solche kollektiven Momente sind wichtig: Man merkt, dass man im Kampf für mehr Gerechtigkeit nicht allein ist.

Auch Grossmütter werden laut

«Wir sind enttäuscht», sagt Regula Keller (71), Initiantin des Silber Teams, eines Zusammenschlusses älterer Frauen, der zum Frauenstreik 2019 gegründet wurde, zu der geplanten Frauenrentenaltererhöhung. «Uns betrifft sie zwar nicht direkt, weil wir schon alle pensioniert sind – aber wir sind natürlich solidarisch mit den jüngeren Frauen.» Es sei sehr problematisch, dass eine Gesellschaft nicht im Stande sei, Frauenlöhne gerecht zu gestalten, und dann eine solche Vorlage im Parlament durchgehen lasse.

Dieser Entscheid ist aber nur ein Grund dafür, dass die Seniorinnen auch am diesjährigen Frauenstreik teilnehmen werden. Sie fordern unter anderem Anerkennung für die von ihnen ein Leben lang geleistete unbezahlte Care-Arbeit und die 80 Millionen Stunden, die sie jährlich in die Betreuung ihrer Grosskinder stecken. Zudem wollen sie ihren Unmut über die «vielfache Diskriminierung» auf die Strasse tragen, die gerade alte Frauen erlebten.

Eine ältere Frau schwingt die Fahne des feministischen Streiks vor dem Bundeshaus am 14. Juni 2019.
Keystone

«Wir sind enttäuscht», sagt Regula Keller (71), Initiantin des Silber Teams, eines Zusammenschlusses älterer Frauen, der zum Frauenstreik 2019 gegründet wurde, zu der geplanten Frauenrentenaltererhöhung. «Uns betrifft sie zwar nicht direkt, weil wir schon alle pensioniert sind – aber wir sind natürlich solidarisch mit den jüngeren Frauen.» Es sei sehr problematisch, dass eine Gesellschaft nicht im Stande sei, Frauenlöhne gerecht zu gestalten, und dann eine solche Vorlage im Parlament durchgehen lasse.

Dieser Entscheid ist aber nur ein Grund dafür, dass die Seniorinnen auch am diesjährigen Frauenstreik teilnehmen werden. Sie fordern unter anderem Anerkennung für die von ihnen ein Leben lang geleistete unbezahlte Care-Arbeit und die 80 Millionen Stunden, die sie jährlich in die Betreuung ihrer Grosskinder stecken. Zudem wollen sie ihren Unmut über die «vielfache Diskriminierung» auf die Strasse tragen, die gerade alte Frauen erlebten.

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