Vordenker Buno S. Frey gibt Entwarnung
«Die Welt wird immer besser»

Bruno S. Frey ist ein ökonomischer Vordenker. Er forscht über Glück, hat unkonventionelle Ideen zu den Flüchtlingsströmen und weiss, warum das Modell Schweiz die ganze Welt glücklicher und gerechter machen könnte.
Publiziert: 13.07.2018 um 18:52 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:41 Uhr
2,1% besitzen in der Schweiz so viel wie die restlichen 97,9 %. Doch Bruno S. Frey sagt, dass in der Schweiz der soziale Aufstieg noch möglich ist.
Foto: KEYSTONE/GAETAN BALLY
Silvia Tschui

Bruno Frey, warum ist die Welt so ­ungerecht?
Ist sie das wirklich? Die Statistik sagt anderes. Der Menschheit insgesamt geht es besser denn je, es gibt weniger ­Kriege, weniger Armut, weniger Seuchen als noch vor 100 Jahren.

Also gut, anders gefragt: Kann man heutzutage mit Arbeit überhaupt noch einen sozialen Aufstieg schaffen?
Natürlich, insbesondere hierzu­lande. Das ist eine der grossen ­Stärken der Schweiz, dass man sich hocharbeiten kann, wenn man sich anstrengt.

Global gesehen ist das aber nicht so, oder?
Das kommt darauf an, was Sie ­unter global verstehen – in China etwa erstarkt der Mittelstand ge­rade gewaltig. Global gerechnet hat statistisch die Ungleichheit der Menschen abgenommen, nicht zugenommen.

Okay, reden wir von den USA, ­England, westlichen Ländern. Dort gibt es doch neue Armut breiter Bevölkerungsschichten.
Da sieht es tatsächlich gar nicht gut aus, da sind die Lohnunterschiede sehr ungerecht.

Weshalb gibt es nicht längst eine Revolution?
Es gab ja eine: Die Wahl von Trump war eine Revolution unzufriedener Menschen. Nur sind sie auf jemand Falschen reingefallen: Ich sehe ­wenig in seiner Politik, was dem Mittelstand hilft. Das wird der Mittelstand auch irgendwann merken.

Warum gibt es denn in den USA und Grossbritannien solch ein Ungleichgewicht und bei uns nicht?
Zum einen liegt es an unserer ­direkten Demokratie und dem Födera­lismus – aber mehr dazu später. Zum anderen auch daran, dass dort Bildung kostenpflichtig ist und man für eine Kar­riere an ­einer Eliteuniversität gewesen sein muss. Das ist bei uns zum Glück ­anders: Von meinen Assis­tenten kommt kein einziger aus akademischem Elternhaus. Diese sozial-ökonomische Durchlässigkeit macht uns konkurrenzfähig, das muss unbedingt so bleiben.

Es gibt politisch aber andere ­Bestrebungen …
Bildung darf man nicht kaputt­sparen, das ist klar. Sie muss für alle gut, erschwinglich oder ganz gratis bleiben. Sie darf aber auch nicht durchakademisiert werden. Die Berufslehre und die Fachhochschulen müssen unbedingt weiter praktische Fähigkeiten lehren.

Aber es kommen solche ­Umwälzungen auf uns zu – die Digitalisierung wird doch ganz viele praktische Jobs ­abschaffen.
Und neue erschaffen. Das hat schon die Industrialisierung gezeigt. Wir Ökonomen machen uns keine ­Sorgen, dass uns die Arbeit ausgehen könnte. Ich sehe aber schon, dass man in 30, 40, 50 Jahren mehr ­Freizeit haben sollte. Generell ­sollte eine Flexibilisierung stattfinden, auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Menschen sollten auch länger arbeiten können.

Länger? Wirklich?
Ich erlebe überall, dass höchstausgebildete 65-Jährige, die gar nicht aufhören wollen, rausgeworfen werden. Das ist ein riesiger Verlust für die Gesellschaft.

Aber niemand stellt doch diese Leute ein!
Das ist wirklich eine gesellschaftliche Aufgabe. Es geht aber auch darum, bürokratische Hindernisse abzubauen, dass die Menschen ihren eigenen Fähigkeiten nachgehen können.

Sie appellieren also an die ­Eigenverantwortung?
Ja, verstärkt nach 65.

Abbau von Bürokratie, jeder ist für sich selbst verantwortlich – für mich klingt das fast nach ­Donald Trump.
Du meine Güte, nein! Ich habe ein Weltbild, das den einzelnen Menschen ernst nehmen soll, dass der einzelne Mensch nach seinen Stärken und Interessen und Fähigkeiten leben kann. Eine Gesellschaft soll dies fördern. Und das bedeutet den Abbau von Bürokratie. Das ist für mich der Inbegriff von liberal. Ich habe ein liberales Weltbild.

Aber in liberal oder neoliberal ­geführten Staaten werden die Menschen mit Zeitverträgen ­ausgenutzt, herrschen teilweise wie bei Amazon oder Uber sklaven­artige Zustände für Arbeitnehmer.
Ich denke Eigenverantwortung eben viel breiter, ich denke das auch politisch. Jetzt komme ich wieder zur direkten Demokratie und zum Föderalismus. Der sollte noch viel weiter gehen.

Das müssen Sie näher erklären.
Die staatliche Gewalt müsste bei viel kleineren Einheiten liegen. Konkret bedeutet dies, dass die Menschen an ihrem Wohnort auch für diesen verantwortlich sind und die Entscheidungen, was damit ­geschieht, im Kleinstquartier selbst verantworten. Teilweise könnten dies auch Genossenschaften übernehmen.

Also Müllabfuhr, Schulsystem, Abwasser, Einkaufsmöglichkeiten, Strom, Polizei, Strassenbeleuchtung – alles selbst organisieren?Genau! Sehen Sie, die Schweiz mit ihrem föderalistischen System ist weltweit eines der am besten funktionierenden Länder überhaupt. Bei uns geht wie gesagt das Einkommensniveau nicht so ausei­nander wie in angelsächsischen Ländern oder auch in Frankreich oder Deutschland. Das liegt mit ­daran, dass sich die Menschen engagieren und in ausgewogene politische ­Prozesse einbezogen sind. Zu dem, worüber man Verantwortung trägt, trägt man Sorge: Wenn alle mitbestimmen können, stellt sich ein Gleichgewicht ein. Dieses föderalistische System wäre noch kleinteiliger gedacht, noch viel erfolgreicher.

Ich kann mir da nur schon mit der Stromversorgung Probleme vorstellen: Wer baut sich schon freiwillig ein AKW ins Quartier?
Nun, dann würde die Gemeinschaft eben eine andere Lösung finden und Land bereitstellen, um darauf Solarstrom zu produzieren. Das ist genau die Flexibilität, die immense Vorteile mit sich bringen würde.

Womit würde das bezahlt?
Man müsste, ähnlich wie ein Gemeinderat, politische Einheiten ­bilden, nur noch kleinere, als dies bei Gemeinden der Fall ist. Diese politischen Einheiten würden ­Steuern erheben und diese selbst verwalten.

Machen Sie ein Beispiel?
Natürlich. Nehmen Sie einen beliebigen Schweizer See. Da müssten doch die anstossenden Gemeinden in den verschiedenen Kantonen eine Gemeinschaft bilden, um über die Kontrolle von Wasserqualität, Fischbestand, Naherholungsgebietspflege, Nutzung etc. zu entscheiden. Halt die, die es etwas ­angeht.

Was versprechen Sie sich sonst noch von dieser Kleinteiligkeit?
Lokale Arbeitsplätze, politische Identifizierung der Menschen mit ihrer lokalen Gemeinschaft, ein gestärktes soziales Gefüge. Es gäbe so auch keine solche Machtverteilung mehr auf der Seite global agierender Grosskonzerne. Ausserdem entstünden riesige Einsparungen auf Staatsebene, mehr Effizienz. Und schlicht: mehr Glück für die Menschen.

Stichwort Glück: Sie haben auch ökonomische Glücksforschung betrieben – ist Glück messbar?
Absolut. Menschen, die mitbestimmen können, die eine vernünftige Arbeit haben, die soziale Kontakte leben und in einigermassen stabilen politischen Verhältnissen leben, bezeichnen sich gemeinhin als glücklich. Die Schweiz ist in Um­fragen übrigens Spitzenreiter, was die Glücklichkeit der Bewohner ­betrifft.

Ja, die Schweiz gilt als Paradies – so sehr, dass viele hierherziehen wollen. Ich denke insbesondere an Flüchtlingsströme.
Unser Umgang mit Flüchtlingen ist schrecklich. Diese unfassbaren Tragödien im Mittelmeer. Und wenn sie da sind, warten sie monatelang auf Abklärungen, dürfen nicht ­arbeiten, verursachen unfreiwillig Kosten, die den Einheimischen wiederum sauer aufstossen. Da sind soziale Probleme vorprogrammiert. Dabei wäre es so einfach, diese ­Probleme ökonomisch zu lösen.

Einfach? Wie denn?
Es kommen ja diejenigen, die sich Schlepper leisten können. Nun könnte die Schweiz einfach sagen: Wer einen Anteilschein an der Schweiz erwirbt, für den organi­sieren wir den Flug, der kann ­kommen. So würden kriminelle Schlepperorganisationen ausgebootet – und die Tragödie auf dem Mittelmeer verhindert.

Flüchtlinge müssten sozusagen einen Eintrittspreis für die Schweiz zahlen?
Genau. Dafür dürften sie sofort ­arbeiten, Geld verdienen, müssten aber auch Steuern bezahlen. Und wenn sie wieder ausreisen wollen, würden sie das Geld zurücker­halten. Da hätten sie gleich einen Anreiz, in ihrem Heimatland wieder etwas aufzubauen. Es wäre ein Gewinn für die Schweiz, ein ­Gewinn für die Flüchtlinge, ein ­Gewinn für die Herkunftsländer.

Und die armen Kerle, die sich das nicht leisten können?
Sehen Sie, die schaffen es heute auch nicht hierher. Und es ist leider traurige Realität, dass man nie ­allen helfen kann.

Glauben Sie, dass wir den ­Lebensstandard in der Schweiz halten können?
Ja, die Schweiz war immer sehr inno­vativ. Wir hatten ja nichts, ­keine Bodenschätze, nichts. Die Schweiz hat sich dank einem ­güns­tigen politischen System, dank umfassender Bildung für alle und dank Innovationskraft zu einem der am besten organisierten Länder der Welt entwickelt.

Macht die Schweiz wirtschaftlich auch etwas falsch?
Ja, die Landwirtschaft zu sub­ventionieren und den Schweizer Arbeitsmarkt zu schützen. Auch Schwellen- und Drittweltländer müssen ihre Produkte verkaufen können.

Aber dann werden alle Bauern und Handwerker ­arbeitslos.
Nein, sie müssen einfach etwas ­anderes produzieren, ihre eigene Nische finden, auf eine spezielle Qualität setzen.

Das sagt sich leicht. Es ist aber doch nicht jedem gegeben, innovativ zu sein?
Innovativ zu sein ist natürlich nicht gottgegeben. Aber ein Land soll die Möglichkeit dazu bieten und nicht via Protektionismus und Subven­tionen, Schutzzöllen und Handelsbeschränkungen diese Anreize verhindern.

Sie haben in den 80ern mit ­Ihrem Buch «Umwelt­ökonomie» den Anreiz gegeben, dass ­heutzutage CO2-Abgaben ­Realität sind oder auch das ­Kyoto-Projekt – geht dieser ­Erfolg für Sie weit genug?
Ja, erstaunlich weit. Das ist jetzt eine unpopuläre Ansicht, aber ich bin überzeugt: Unsere Umwelt hat sich stark verbessert.

Wirklich?
Ja. Die Schweizer Seen sind so sauber, dass Fische kaum mehr etwas zu essen finden, die Luft ist auch viel besser. Und wenn Sie in den 80er-Jahren in Tschechien oder ­anderen osteuropäischen Ländern waren: Da war die Luft so schlecht, dass man kaum atmen konnte.

Das ist sehr eurozentrisch ­gesehen. Wie sehen Sie das in Schwellenländern?
Die wollen unseren Lebensstandard erreichen. Dabei entstehen natürlich Umweltverschmutzungen. Es ist aber überheblich und ­arrogant von uns zu sagen, sie dürften das nicht. Ich bin der Überzeugung: Die Umweltprobleme in den Schwellenländern müssen später gelöst werden. China ist dafür ein Paradebeispiel, es ist nach massiver Luft- und Umweltverschmutzung seine Probleme am Lösen.

Was wären für Sie die drin­gendsten umweltökonomischen Aufgaben heute?
Sicher der Klimawandel. Es gibt aber bereits eine Schweizer Firma, die CO2 aus der Luft filtert. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschheit das CO2-Problem lösen wird. Und die Plastikflut. Da kann man mit kleinen Ansätzen viel erreichen: Seit die Plastiksäckli fünf Rappen kosten, benutzt sie kaum mehr ­einer. Wir brauchen mehr solche Massnahmen, dann kommt das gut.

Sie wirken sehr positiv.
Absolut, die Welt wird immer ­besser. Ich mag die Menschen und bin selbst ein glücklicher Mensch: 10 auf der Skala von 1 bis 10.

Einflussreicher Ökonom

Bruno S. Frey (77) ist einer der renommiertesten Ökonomen der Schweiz. Der 76-jährige Basler ist als ständiger Gastprofessor an der Uni Basel ­tätig. Freys Spezialgebiet ist die Anwendung der Ökonomie auf nichtwirtschaftliche Bereiche; so hat er zum Beispiel zum Thema Glück geforscht. Frey hat über 20 Bücher ­verfasst, zahlreiche Preise und Ehrendoktorwürden ­empfangen und zuletzt mit Jana Gallus ein Buch über den ökonomischen Wert von Auszeichnungen («Honors versus Money. Economics of Awards», Oxford University Press, 2017) veröffentlicht.

Bruno S. Frey (77) ist einer der renommiertesten Ökonomen der Schweiz. Der 76-jährige Basler ist als ständiger Gastprofessor an der Uni Basel ­tätig. Freys Spezialgebiet ist die Anwendung der Ökonomie auf nichtwirtschaftliche Bereiche; so hat er zum Beispiel zum Thema Glück geforscht. Frey hat über 20 Bücher ­verfasst, zahlreiche Preise und Ehrendoktorwürden ­empfangen und zuletzt mit Jana Gallus ein Buch über den ökonomischen Wert von Auszeichnungen («Honors versus Money. Economics of Awards», Oxford University Press, 2017) veröffentlicht.

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