«Es ist ein Spass und macht mir Freude!»
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Helden hinter den Kulissen:«Es ist ein Spass und macht mir Freude!»

Ehrenamtler erzählen von ihrer Leidenschaft – und ihren Zukunftsängsten
Sie sind jedes Jahr 2 Milliarden Franken wert

Sie halten unseren Sport am Laufen: Die Arbeit von Ehrenamtlern in Schweizer Vereinen ist unverzichtbar. Doch die Besetzung der einzelnen Jöbli bereitet so manchem Kopfzerbrechen für die Zukunft.
Publiziert: 08.11.2022 um 00:22 Uhr
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Aktualisiert: 15.11.2022 um 12:04 Uhr
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Marco PescioReporter Sport

Das Feierabend-Bier für den nächsten Einsatz ist verstaut, das Lagerräumchen mit all seinen Stöcken, Trink-Bidons und Arzneisachen aufgeräumt. Das nächste Spiel des SC Altstadt Olten ist erst in ein paar Tagen, doch Roland Moser (59) hat in der Eishalle schon alles vorbereitet. Nebenan hängt seine Frau Therese (60) die frisch gewaschenen Trikots auf, die im starken Kontrast zum üblichen Kabinen-Mief stehen: «Die Jungs freuen sich, wenn die Leibchen fein duften», sagt sie lachend.

Das Ehepaar Moser ist aus dem 2.-Liga-Eishockeyteam nicht mehr wegzudenken. Seit zehn Jahren ist die Mannschaft ihre zweite Familie. Sie sind alles: Getränkebereitsteller, Wäschewascher, Masseure, Traubenzückerlireicher, Verletzte-halbwegs-Zusammenflicker, Ins-Spital-Begleiter und wenn es sein muss sogar Psychologen oder Köche. Notabene für ein Amateurteam, das auf vierthöchster Stufe im Schweizer Eishockey spielt. Im Ehrenamt.

Schweizer Schnitt: Elf Stunden pro Monat

Die Mosers aus Strengelbach AG sind nur zwei von ingesamt 330’000 in der Schweiz, die auf Freiwilligenbasis in ihrer Freizeit Vereinsämter ausüben – und dafür in den meisten Fällen keinen Rappen sehen. Und wenn, dann nicht mehr als eine nette Anerkennung.

Roland und Therese Moser betreuen den SC Altstadt Olten schon seit zehn Jahren.
Foto: STEFAN BOHRER
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So wappnet sich Swiss Olympic für die Vereinszukunft

Wenns ums Ehrenamt geht, blüht Jürg Stahl regelrecht auf. Der Präsident von Swiss Olympic ist Vereinsmensch durch und durch: «Bei mir ist das quasi in Fleisch und Blut.» Er kommt aus dem Kunstturnen in den Kinderjahren, später aus der Leichtathletik, ist ausgebildeter J&S-Trainer und Kampfrichter, aber auch im lokalen Tennisklub immer wieder als Platzwart anzutreffen. Und im Turnverein – als aktives Mitglied der Männerriege – hilft er bei der Abendunterhaltung mit: «Da bin ich einfach nur der Tschüge.»

Stahl ist es ein persönliches Anliegen, dass es dem Schweizer Vereinssport gut geht. Das hat mit seinem Job zu tun. Aber eben auch damit, dass er weiss, wie stark die Sportlandschaft hierzulande abhängig von dieser Basis ist. Und weil er weiss, «wie schön dieser Ausgleich sein kann».

Stahl sagt, er sei stolz, dass die Vereinsarbeit in der Schweiz derart gut funktioniere. Gleichwohl wird auch er regelmässig mit den Problemen und Ängsten der Klubs konfrontiert. Nicht überall lassen sich Ehrenämtler einfach finden. Vereine bangen um ihr Programm. Oder schlimmstenfalls sogar um ihre Existenz. «Ich stelle fest: Dort, wo die Freiwilligenarbeit ein Erlebnis darstellt, funktioniert es. Mehr Mühe haben wir bei den wiederkehrenden Tätigkeiten – beispielsweise über mehrere Jahre hinweg.» Beim Job des klassischen Kassiers etwa.

Auch glaubt Stahl, dass die Erwartungshaltung an ein Ehrenamt zugenommen habe. Leiter würden im Schaufenster stehen, Fehler dürfe man sich kaum erlauben. Auch die Digitalisierung könne für einige ein Problem darstellen. Oder die gesellschaftliche Entwicklung hin zu jenem Punkt, an dem man sich bis zuletzt gerne alle Optionen offen lässt. Verpflichtungen? Lieber nicht. «Die Frage ist, was man stattdessen am freien Samstagmorgen macht? Viele merken erst dann, dass ihnen das Vereinsleben eben doch guttut», so Stahl.

Doch was tut Swiss Olympic, um den Problemen entgegenzuwirken? Um das Ehrenamt zu stärken, hat der Dachverband soeben die Supportinitiative «Mein Sportverein» lanciert und im Sommer den Lehrgang «Club Management» ins Leben gerufen. Führungsauftritt, Rechnungswesen, Prävention oder rechtliche Aspekte – im Kurs können sich Vorstandsmitglieder breit ausbilden lassen, um im Vereinsalltag gewappnet zu sein und den gestiegenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Zudem stellt Swiss Olympic in einer virtuellen Bibliothek zahlreiche Dokumente und Musterkonzepte zur Verfügung, an denen sich Klubs kostenlos orientieren können. Stahl: «Unsere Experten haben es im Rahmen dieser Ausbildungen geschafft, die zentralen Dinge leicht und verständlich rüberzubringen.»

Reicht das aus? Stahl selbst sieht nicht schwarz für das Ehrenamt in der Schweiz: «Man muss akzeptieren, dass eben nicht jeder Freiwilligenarbeit leisten mag. Das ist in Ordnung. Also pflegen wir diejenigen, die bereits Ämter innehaben, und versuchen, die Hemmschwelle bei potenziellen Kandidaten für ein Amt mit diesen neuen Tools abzubauen.» (mpe)

Swiss-Olympic-Präsident Jürg Stahl.
Sven Thomann

Wenns ums Ehrenamt geht, blüht Jürg Stahl regelrecht auf. Der Präsident von Swiss Olympic ist Vereinsmensch durch und durch: «Bei mir ist das quasi in Fleisch und Blut.» Er kommt aus dem Kunstturnen in den Kinderjahren, später aus der Leichtathletik, ist ausgebildeter J&S-Trainer und Kampfrichter, aber auch im lokalen Tennisklub immer wieder als Platzwart anzutreffen. Und im Turnverein – als aktives Mitglied der Männerriege – hilft er bei der Abendunterhaltung mit: «Da bin ich einfach nur der Tschüge.»

Stahl ist es ein persönliches Anliegen, dass es dem Schweizer Vereinssport gut geht. Das hat mit seinem Job zu tun. Aber eben auch damit, dass er weiss, wie stark die Sportlandschaft hierzulande abhängig von dieser Basis ist. Und weil er weiss, «wie schön dieser Ausgleich sein kann».

Stahl sagt, er sei stolz, dass die Vereinsarbeit in der Schweiz derart gut funktioniere. Gleichwohl wird auch er regelmässig mit den Problemen und Ängsten der Klubs konfrontiert. Nicht überall lassen sich Ehrenämtler einfach finden. Vereine bangen um ihr Programm. Oder schlimmstenfalls sogar um ihre Existenz. «Ich stelle fest: Dort, wo die Freiwilligenarbeit ein Erlebnis darstellt, funktioniert es. Mehr Mühe haben wir bei den wiederkehrenden Tätigkeiten – beispielsweise über mehrere Jahre hinweg.» Beim Job des klassischen Kassiers etwa.

Auch glaubt Stahl, dass die Erwartungshaltung an ein Ehrenamt zugenommen habe. Leiter würden im Schaufenster stehen, Fehler dürfe man sich kaum erlauben. Auch die Digitalisierung könne für einige ein Problem darstellen. Oder die gesellschaftliche Entwicklung hin zu jenem Punkt, an dem man sich bis zuletzt gerne alle Optionen offen lässt. Verpflichtungen? Lieber nicht. «Die Frage ist, was man stattdessen am freien Samstagmorgen macht? Viele merken erst dann, dass ihnen das Vereinsleben eben doch guttut», so Stahl.

Doch was tut Swiss Olympic, um den Problemen entgegenzuwirken? Um das Ehrenamt zu stärken, hat der Dachverband soeben die Supportinitiative «Mein Sportverein» lanciert und im Sommer den Lehrgang «Club Management» ins Leben gerufen. Führungsauftritt, Rechnungswesen, Prävention oder rechtliche Aspekte – im Kurs können sich Vorstandsmitglieder breit ausbilden lassen, um im Vereinsalltag gewappnet zu sein und den gestiegenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Zudem stellt Swiss Olympic in einer virtuellen Bibliothek zahlreiche Dokumente und Musterkonzepte zur Verfügung, an denen sich Klubs kostenlos orientieren können. Stahl: «Unsere Experten haben es im Rahmen dieser Ausbildungen geschafft, die zentralen Dinge leicht und verständlich rüberzubringen.»

Reicht das aus? Stahl selbst sieht nicht schwarz für das Ehrenamt in der Schweiz: «Man muss akzeptieren, dass eben nicht jeder Freiwilligenarbeit leisten mag. Das ist in Ordnung. Also pflegen wir diejenigen, die bereits Ämter innehaben, und versuchen, die Hemmschwelle bei potenziellen Kandidaten für ein Amt mit diesen neuen Tools abzubauen.» (mpe)

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Laut Zahlen des Schweizer Sportobservatoriums (Sportobs) beträgt der Zeitaufwand für eine ehrenamtliche Tätigkeit durchschnittlich elf Stunden pro Monat. Ein Wert, den die Mosers während der Saison locker in den Schatten stellen. Für eine einzige Auswärtsfahrt können gut sechs Stunden draufgehen, die sie neben ihren normalen Jobs stemmen. «Thesi» Moser ist im Kundendienst zweier Medienunternehmen tätig, «Roli» als Chauffeur bei der Blumenbörse Schweiz.

In Sachen Arbeitsaufwand bewegen sie sich auf der gleichen Stufe wie etwa Jugend- und Trainingsleiter, die in den Sportvereinen am meisten gebraucht werden, aber zunehmend auch immer schwieriger zu finden sind. Laut einer Online-Befragung des Sportobs im Jahr 2016 von 5335 Vereinsverantwortlichen ist die Gewinnung und Bindung von Ehrenamtlichen eine riesige Herausforderung. Die Mehrheit spricht von einem «mittleren bis sehr grossen Problem». Das betrifft querbeet alles: von Vorstand-Jöbli bis hin zu Trainerämtern oder Schiedsrichtereinsätzen.

Verpflichtungen? Nein, danke!

Auch Roland Moser bestätigt diese Entwicklung. Die Zukunft sei «schwierig, am Ende gehts ja meistens darum, etwas zu verdienen. Die meisten fragen sich: Warum soll ich etwas machen, bei dem ich gar kein oder nur sehr wenig Geld bekomme?»

Dasselbe sagt Stefan Kurth (63), Tierarzt aus Zweisimmen BE, der vor 25 Jahren Gründer des örtlichen Fussballvereins war. Auch ihn begleitet das Ehrenamt-Nachwuchsproblem seit geraumer Zeit: «Die jungen Menschen wollen oftmals keine Verpflichtungen mehr. Das Vereinsleben ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es gibt ein Überangebot in allen Dingen. Und die Leute möchten sich am liebsten bis zum Schluss alle Optionen offen lassen.» Jeden Samstag für einen Match verplant haben? Ist nicht für alle sonderlich sexy.

Seine Frau Sonja (55), die Teilzeit in der Tierarztpraxis sowie in der Koordination für Tourismus und Sport in Zweisimmen arbeitet, ist seit Jahren im Langlaufbereich tätig. Im Ehrenamt stampft sie zusammen mit anderen Freiwilligen Events und Wettkämpfe aus dem Boden. Beispielsweise das letzte Rennen von Ex-Spitzenlangläufer Dario Cologna im Frühjahr. Sie verweist darauf, dass gut und gerne auch mal Ferientage für grössere Projekte draufgehen: «Ein gutes Team zu haben, ist das Wichtigste. Doch ein solches zusammenzustellen, ist nicht einfach, diese Leute musst du erst einmal finden.» Hinzu käme, dass die Freiwilligenarbeit bei einem Event nun mal wirklich alles umfassen könne. Schmunzelnd erklärt sie: «Nicht jeder kann Cologna persönlich das Getränk einschenken. Jemand muss auch den Abwasch machen oder um fünf Uhr morgens das WC putzen.» Und wenn ein Verein Mühe habe, Nachwuchsleiter zu finden, könne es halt sein, «dass sein Programm ziemlich fest zusammenschrumpft».

Sonja Kurth bringts auf den Punkt: Ohne Freiwillige kein Sportangebot in der Schweiz –und damit auch kein Einstieg für spätere Olympiasieger oder Weltmeister.

Gratis-Arbeit ist dringend nötig

Hierzulande weisen 85 Prozent aller Sportvereine keinerlei bezahlte Mitarbeitende aus. Würden die ehrenamtlichen Leistungen finanziell erbracht, entspräche dies sage und schreibe 23’000 Vollzeitstellen. Mit einem Marktwert von rund zwei Milliarden Franken.

Immerhin: Etwas mehr als 15’500 Leute in der Schweiz werden für ihre Dienste in den Klubs zumindest teilweise entschädigt. Doch sie bilden klar die Ausnahme. Nach einem Aufschwung im Zuge einer stärkeren Professionalisierung zwischen 1996 und 2010 hat sich dieser Trend seither nicht fortgesetzt. Die Zahl der ehrenamtlichen Jobs ist wieder gestiegen. Heisst im Klartext: Gratis-Arbeit ist gefragt – und dringend nötig. Sie ist die Basis des Schweizer Sports.

«Wenn du beginnst, Geld auszuzahlen, ist das schnell einmal der Tod des Vereins», meint Stefan Kurth. Dann würde jeder kommen und etwas verlangen. Dabei sei das Suchen von Sponsoren und Gönnern schon anspruchsvoll genug.

In Zweisimmen ist dies vor einigen Jahren so weit gegangen, dass die Idee eines einzigen grossen Dorfvereins im Raum stand. Eine Zusammenlegung aller Sportvereine, damit man sich die Ressourcen an Leuten in den Vorständen hätte teilen können. Möglichst mit Lohnbezahlung. Doch die allgemeinen Bedenken waren zu gross. Das Vorhaben scheiterte an den unterschiedlich gefüllten Klubkassen und der Angst in den Vereinen, den eigenen Nachwuchs an eine andere Sportart zu verlieren.

So kämpft sich, nicht nur im Berner Oberland, jeder Verein selbst durch. Und ist auf Leute wie die Kurths oder die Mosers angewiesen. Sonja Kurth sagt, es brauche eigentlich ohnehin kein Geld, um Freude zu haben: «Ein gelungener Event entschädigt dich auch.» Und Roland Moser erzählt stolz die Geschichte eines Fasnachtsbesuchs, als er vom Captain der Eishockey-Mannschaft plötzlich gesammelte 120 Franken in die Hand gedrückt bekam: «Für dein Taxi nach Hause.»

Es ist dieser Zusammenhalt im Vereinsleben, der soziale Aspekt, den auch die Mosers und die Kurths mögen und der sie auch weiterhin motiviert zu helfen. Therese Moser meint: «Es würde uns etwas fehlen, wenn wir nicht mehr im Verein arbeiten würden. Wir hoffen beide, dass wir noch lange gesund bleiben und weitermachen können.»

Gemäss einer Umfrage von Swiss Olympic gibt bloss ein Prozent der Teilnehmer an, das Ehrenamt wegen einer finanziellen Entschädigung auszuüben. Der Rest tut dies «aus Spass», weil dem Verein etwas zurückgegeben werden soll, weil es als sozial sinnvoll angesehen wird oder weil die Arbeit im Kollektiv ihren Reiz ausübt.

«E höllegueti Sach»

Auch Sonja Kurth erfüllt es, wenn sie zusammen mit einer ganzen Reihe von weiteren Freiwilligen in Zweisimmen und Umgebung einen Wettkampf durchgeführt hat: «Auch wenn es zeitaufwendig war, sage ich danach oft: ‹E höllegueti Sach!›» Ihr Mann Stefan ist stolz, wenn er immer wieder die Gesichter seiner ehemaligen Fussball-Junioren antrifft, die mittlerweile selbst Väter sind. Und was das Zukunftsproblem im Ehrenamt betrifft, hat er einen rational-pragmatischen Ansatz – für den Fall, wenn beispielsweise Lösungswege wie Jobsharing (Stichwort: Co-Präsidium) auch nicht funktionieren: «Verknurren kann man sowieso niemanden. Ich denke, solche Probleme lösen sich von selbst. Das ist die Entwicklung der Gesellschaft. Gewisse Vereine gehen ein, dafür entstehen vielleicht wieder neue.»

In Zweisimmen und Olten ist das vorläufig aber kein Thema. Kurth freut sich auf den nächsten Fussballmatch. Und die Mosers aufs Feierabend-Bierchen in der Hockey-Kabine, die mit ihrem Geruch bezeugt: Da ist schon viel Arbeit geleistet worden.

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