Ex-Goalie Tosio zeigt als Golfclub-Boss seinen Kultsprung
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Vom Eis auf den Rasen:Ex-Goalie Tosio zeigt als Golfclub-Boss seinen Kultsprung

Hockey-Legende Renato Tosio
«Schon möglich, dass er mir das Leben gerettet hat»

Tod seines Bergsteiger-Freundes, Lust auf ein Comeback, Zoff mit Ralph Krueger: Renato Tosio (57) über seine Karriere und sein Leben.
Publiziert: 15.11.2022 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2022 um 12:48 Uhr
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Tosio, für viele sind Sie ein Ur-Bündner und eine Berner Legende. In Wirklichkeit sind Sie aber ein St. Galler.
Renato Tosio: Dieses Gespräch fängt ja gut an (lacht). Ich bin ein Puschlaver, weil mein Vater Alfredo von dort kommt.

Sie haben aber Ihre ersten Lebensjahre im sankt-gallischen Wil verbracht.
Ich bin dort zusammen mit einem älteren Bruder und einer älteren Schwester aufgewachsen. Als Nachzügler wurde ich natürlich schon ein bisschen verhätschelt. Wir lebten in einfachen Verhältnissen und wohnten an einer Hauptstrasse. Deshalb spielte ich immer hinter dem Haus an einem Bord.

Wäre aus Ihnen ein Hockeyspieler geworden, wenn Sie die ganze Jugend in Wil verbracht hätten?
Definitiv nein. Als ich acht Jahre alt war, wollte mein Vater zurück ins Bündnerland, am liebsten nach Poschiavo. Doch meine Mutter sagte, weiter als Chur käme sie nicht mit. Mein Vater nahm dann im Globus Chur eine Stelle als Abwart an.

Die Hockey-Legende Renato Tosio ist heute Geschäftsführer des Golfclubs Domat/Ems.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Wie kamen Sie in Chur zum Eishockey?
Es gab eine Wohnung, die eigentlich schon für jemand anderen reserviert war. Die sagten dann ab, und deshalb konnten wir dort an der Ringstrasse einziehen. Diese lag wiederum an einer Hauptstrasse, doch hinter dem Haus war gleich die alte Eisbahn. Irgendwann war ich täglich in der Eisbahn und konnte mich dort so richtig austoben.

Ihre Karriere hätte aber als Elite-Junior bereits wieder zu Ende sein können.
Es war beim Spiel zwischen Davos und Chur. Fredy Bosch rutschte mir mit seinen Schlittschuhen in den Hals. Ich spürte, dass mir etwas wehtat, drückte instinktiv meinen Kopf seitlich runter und fuhr zur Bank raus. Dort sagte ich dem Betreuer, dass ich Schmerzen hätte und hob den Kopf leicht an. Dann spritzte das Blut fontänenartig raus.

War es lebensbedrohlich?
Sagen wir es so: Zum Glück war Beat Villiger an diesem Spiel. Er kümmerte sich sogleich um mich und drückte seinen Finger in die Wunde. Es war trotzdem kritisch, aber ohne Beat wäre es oberkritisch gewesen, denn die Kufen hatten die Hauptschlagader nur um einen Millimeter verfehlt. Schon möglich, dass er mir das Leben gerettet hat. Ich musste danach zehn Tage im Spital bleiben.

Das ist Renato Tosio

Der Hockey-Goalie spielte während seiner ganzen Karriere nur für zwei Vereine: für den EHC Chur und den SC Bern. Mit den Churern stieg er zweimal in die NLA auf, mit den Bernern wurde er viermal Meister. Für die Nati kam er auf 183 Länderspiele (145 im Einsatz, 38 als Ersatz).

Heute ist er Geschäftsführer des Golfclubs Domat/Ems. Tosio ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Sein Sohn Maurin spielt beim EHC Chur.

Der Hockey-Goalie spielte während seiner ganzen Karriere nur für zwei Vereine: für den EHC Chur und den SC Bern. Mit den Churern stieg er zweimal in die NLA auf, mit den Bernern wurde er viermal Meister. Für die Nati kam er auf 183 Länderspiele (145 im Einsatz, 38 als Ersatz).

Heute ist er Geschäftsführer des Golfclubs Domat/Ems. Tosio ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Sein Sohn Maurin spielt beim EHC Chur.

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Später wurden Sie beim EHC Chur schnell einmal Stammgoalie. Am 4. März 1986 kam es in der NLB zum Aufstiegsspiel zwischen dem SCB und Chur.
Es war das dritte und entscheidende Spiel. Das Unglaubliche daran: Ich war damals in Fribourg mit der Nati im Trainingslager. Am Morgen trainierte ich noch dort, und am Abend fand in der Allmend der Showdown statt. Wir siegten 4:2 und stiegen auf.

Haben Sie diesem Spiel viel zu verdanken?
Ich denke schon, denn an jenem Abend gab ich in Bern meine Visitenkarte ab. Ein Jahr später stieg ich mit Chur wieder ab und wechselte dann zum SCB.

Sie bestritten beim SCB zwischen 1987 und 2001 unglaubliche 655 Spiele in Serie. Wann realisierten Sie eigentlich, was da für eine Serie am Laufen ist?
Das dauerte bestimmt über zehn Jahre. Doch irgendwann machten die Journalisten das zum Thema.

Am 26. Oktober 1993 wäre die Serie aber fast gerissen.
Das war wirklich knapp. Um 18.08 Uhr kam unsere Tochter Andrina zur Welt. Selbstverständlich war ich bei meiner Frau Nicole im Spital. Wir tranken anschliessend noch einen Kaffee zusammen. Gegen 19.30 Uhr entschieden wir, dass ich doch noch zum Spiel gehen werde. Und so stand ich ohne Aufwärmen um 20 Uhr im Tor.

Wie wild waren eigentlich die 80er- und 90er-Jahre im Schweizer Eishockey?
Da bin ich der Falsche, der diese Frage beantworten könnte. Ich war schon immer ein Familienmensch und trank fast keinen Alkohol. Und wenn wir Meister wurden und anschliessend die Zigarren rauchten, musste ich immer stark husten.

Ihre Schramme, die Sie sich einst mit dem SCB in Marrakesch im Trainingslager zuzogen, hat demnach nichts mit übermässigem Alkohol zu tun?
Nein, wir lagen nach einem anstrengenden Wüsten-Training im Bassin des Hotelkomplexes. Irgendwann hiess es: Wer kann zwei Längen tauchen? Ich war der Erste. Ich dachte schon, jetzt kommt dann bald die Wand. Doch da das Wasser sehr trüb war, sagte ich mir, ein Zug geht noch. Ich knallte dann mit dem Kopf voll in die Wand rein. Das Ergebnis davon: eine riesige Schramme, die genäht werden musste.

Für die Nati bestritten Sie 145 Länderspiele. Doch im April 1998 wurden Sie von Trainer Ralph Krueger rausgeschmissen. Wie kam es dazu?
Da muss ich kurz ausholen. Ich bekam damals eine Anfrage von Adler Mannheim. Die wollten mich für die Playoffs verpflichten. Ich frage deshalb Krueger, ob das für ihn okay sei. Er sagte mir, es wäre besser, wenn ich bei den Test-Länderspielen in Kanada dabei wäre. Also sagte ich Mannheim ab. Zwei Tage später unterschrieb dann übrigens Reto Pavoni bei den Adlern …

Wie ging die Story weiter?
Wir verloren alle drei Spiele in Kanada und reisten zurück in die Schweiz. Danach hätten wir am Ostermontag wieder einrücken sollen. Dann kam die Mannschaft zum Spielerrat, dem ich angehörte, und äusserte den Wunsch, lieber erst am Dienstagmorgen einzurücken. Also gingen wir zu Ralph und sagten ihm das.

Tosio bei seinem letzten Auftritt für den SCB 2001 im Berner Allmend-Stadion.
Foto: TOTO MARTI

Wie reagierte er darauf?
Er ist richtig explodiert und hat uns die Leviten gelesen. Danach hat er Fige Hollenstein und Sven Leuenberger gesagt, sie müssten erst gar nicht mehr einrücken. Doch mich liess er am Montagabend antanzen, und am Dienstagmorgen teilte er mir mit, dass er nicht mehr mit mir plane.

Waren Sie sauer?
Sagen wir es so, mein Liebling war Krueger sicherlich nicht. Doch ich war damals ja schon 34 und versuchte immer, aus jeder Situation etwas Positives rauszunehmen. Das Positive daran: Ich konnte mit meiner Familie früher in die Ferien gehen.

2012 sagten Sie: «Die Manipulation bei der Ausrüstung gehörte dazu.» Erzählen Sie!
Früher gab es ja noch keine Regelungen. So hat sich zum Beispiel Andy Jorns ein Leibchen angezogen, das bis zu den Knien ging, und es dort mit Riemchen an den Schonern festgemacht. Dadurch gab es zwischen den Oberschenkeln kein Loch mehr. Flog ein Puck dorthin, spickte er einfach gleich wieder zurück. Oder Patrick Schöpf soll neue Schoner jeweils mit dem Auto überfahren haben, damit sie breiter wurden.

Und was machten Sie alles?
Auch ich trug Beinschoner, die unten eigentlich deutlich zu breit waren. Oder stopfte bei den Schultern ein Pölsterchen mehr rein. Das war damals aber keine Manipulation, sondern eine Optimierung der Abwehrfläche. Irgendwann nahm das dann aber solche Ausmasse an, dass Regeln eingeführt wurden.

Sie sind gläubig. Haben Sie gelegentlich im Tor gebetet?
Es kam schon mal vor, dass ich während des Spiels sagte: «Merci, dass der Puck vom Pfosten wieder rausgesprungen und nicht ins Tor gekullert ist.» Als Goalie warst du oft hinten alleine. Da ich wusste, dass es dort oben jemanden gibt, gab mir das immer eine gewisse Sicherheit.

Sie traten 2001 zurück. Doch 2002 sagten Sie: «Ich tendiere zum Comeback.» Wie ernsthaft war diese Absicht?
Ich hatte damals von Lugano ein Angebot und machte mir darüber ernsthaft Gedanken, weil ich das Hockey schon brutal vermisste. Doch dann dachte ich: Das ist nicht vernünftig, du machst dir vielleicht alles kaputt, was du zuvor 14 Jahre lang aufgebaut hattest. Aber wissen Sie was? Mich würde ein Comeback noch immer reizen.

Wirklich?
Mich würde es reizen, ein Jahr lang zu trainieren und dann in einem Spiel beim SCB zu schauen, was noch möglich wäre. Ich bin mir aber bewusst, dass das total unvernünftig wäre.

Renato Tosio beim Schweizer All-Star-Spiel im Januar 1999.
Foto: BRIGIT SCHNEIDER / EX-PRESS

Fast jeder ehemalige Hockeyspieler sagt, dass er vor allem die Garderobe vermisse. Warum ist das so?
Für einen Aussenstehenden ist das kaum nachvollziehbar. Doch wenn du in die Garderobe reinkommst und den Gestank wahrnimmst, dann fühlst du dich zu Hause. Du hast dort unglaublich viel Zeit verbracht, nach den Sommertrainings, nach Siegen, nach Niederlagen. In der Garderobe musst du dich wohlfühlen. Das war übrigens mit ein Grund, weshalb ich nicht zum ZSC gewechselt bin.

Das müssen Sie jetzt erklären.
Ich hatte einst ein Angebot vom Zett, doch die hatten ja im Hallenstadion gar keine eigene Garderobe, weil sie dauernd Platz für andere Veranstaltungen machen mussten und ja nicht im Hallenstadion trainierten. Dieser Fakt war auch ein wesentlicher Grund, weshalb ich damals dem ZSC abgesagt hatte.

Heute sind Sie Geschäftsführer des Golfclubs Domat/Ems. Ihre erste Erfahrung als Golfer soll aber schwierig gewesen sein.
(Lacht.) Das war in der SCB-Zeit in Turku im Trainingslager. Ich schlug ab, schoss den Ball in die Fassade eines Restaurants, von wo aus er an meinem Kopf vorbei zurückflog. Der Ball war nachher weiter hinten als vorher.

Der Legende nach soll man Ihnen dann abends den Golfball in einer Pizza eingebacken serviert haben. Zusammen mit einer Rechnung über 450 Franken.
Das weiss ich nicht mehr, kann aber schon sein.

Heute sind Sie auch regelmässig in den Bergen unterwegs. Was gibt Ihnen die Natur?
Mich faszinieren die Natur und die Tiere, deshalb habe ich auch die Jagdprüfung gemacht. Etwas vom Eindrücklichsten war 2015 meine Bergtour über den Biancograt auf den Piz Bernina. Es war aber auch nicht ganz ungefährlich. Als ich wieder unten auf dem Morteratschgletscher ankam, rief ich meine Frau an und sagte: «Sollte ich jemals wieder eine solche Idee haben, dann binde mich zu Hause fest an.» Aber ganz ehrlich: Ich würde es nicht ganz ausschliessen, dass ich so etwas nochmals machen würde.

Sie waren damals mit dem Bergsteiger Norbert «Noppa» Joos unterwegs. Ein Jahr später verunglückte er tödlich.
Und zwar auf der gleichen Route, die wir bestiegen hatten. Ich kannte ihn sehr gut. Sein Tod hat mich extrem durchgeschüttelt und gezeigt, dass von der einen auf die andere Sekunde alles vorbei sein kann. Deshalb sollte man das Leben unbedingt geniessen.

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