Nati-Coach Fischer vor der Heim-WM
«Möchte, dass wir wie die Top-Nationen denken»

Vor der Heim-WM 2020 spricht Patrick Fischer unter anderem über die Schweizer NHL-Stars, sein Standing als Nati-Coach und den «WM-Heimnachteil».
Publiziert: 09.02.2020 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 18.02.2020 um 14:33 Uhr
Dino Kessler

BLICK: Patrick Fischer, am Horizont kündigen sich grosse Ereignisse an. Was löst mehr Vorfreude aus, die Weltmeisterschaft im Mai oder die Geburt des zweiten Kindes im Juni?
Patrick Fischer: Ich freue mich auf beides, aber ein Vergleich ist da nur schwer zu ziehen. Die Schwangerschaft meiner Partnerin begleite ich jeden Tag, ich erlebe diesen Prozess nun viel bewusster als beim ersten Mal. Im Jahr 2001 war ich mit 25 sehr jung – damals wurde mein Sohn Kimi geboren –, musste eine schwere Knieverletzung verdauen und hatte deshalb viele Dinge gleichzeitig im Kopf. Die WM löst aber schon jetzt Gedankenspiele aus, wie es sich im Hallenstadion anfühlen wird, ob wir es schaffen werden, die Fans und die Sport­nation in Euphorie zu versetzen.

Wie stark hat sich Ihre persönliche Perspektive verändert?
Die Verletzung hätte damals das Ende meiner Karriere bedeuten können, ein schwieriger Moment und ein heftiger Rückschlag. Gleichzeitig wartete das Glück im Bauch meiner damaligen Frau Mara, ich war hin- und hergerissen zwischen Sorgen und Begeisterung. Nun kann ich diesen Weg viel bewusster geniessen, dazu kommt das Alter und damit auch etwas Gelassenheit. Mit 25 ist man rastlos, teilweise verwirrt, auf der Suche nach sich selbst und weiss nicht so recht, wo es hingehen soll, besonders wenn gleichzeitig eine Verletzung die Karriere bedroht.

Als Sie als Nati-Coach begonnen haben, sprachen Sie von Mut, Ehrgeiz, einer Medaille und vom Bestreben, der Mannschaft Ihren Stempel aufzudrücken. Dafür gabs auch viel Kritik.
Kritik ist ein Nebengeräusch, das beim Sport einfach dazugehört. Und natürlich macht man sich angreifbar, wenn man Visionen verbreitet. Das Bestreben, unser Spiel zu öffnen, kreativ und mutig zu sein, musste sich ja erst mal auch in den Köpfen der Spieler festsetzen.

Patrick Fischer ist seit Dezember 2015 Cheftrainer der Schweiz.
Foto: keystone-sda.ch
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Ein präziser Eingriff in die Schweizer Mentalität?
Für mich war Stockholm, als Assistent von Sean Simpson, ein prägendes Ereignis. Ein paar Siege in Folge – und wir sind geflogen. Wir konnten plötzlich Topnationen wie Tschechien oder die USA dominieren, ihnen unser Spiel aufzwingen – alles eine Frage der Denkweise und der Mentalität. Wir haben damals nicht gewonnen, weil wir Glück hatten, sondern weil wir unsere Qualität ausgespielt haben und mutig waren. Gleichzeitig haben wir als Nation auch an Ansehen gewonnen, weil unsere Feldspieler wie Josi, Streit oder Niederreiter in Übersee tragende Rollen spielen konnten.

Wie abhängig ist die Schweizer Nationalmannschaft von den NHL-Stars?
Im Gegensatz zu den Topnationen verfügen wir nicht über ein bei­nahe unendliches Reservoir an Spitzenkräften. Die Kanadier könnten mehrere Teams mit NHL-Stars ausrüsten, das können wir nicht. Wir haben ein paar Ausnahmekönner, die im High-End-Bereich den Unterschied ausmachen können. Gleichzeitig waren wir in Paris (WM 2017, die Red.) ohne viele NHL-Spieler in der Lage, Kanadier und Tschechen zu schlagen.

Ob Roman Josi dabei ist oder nicht, macht aber einen grossen Unterschied aus.
Absolut. Josi verkörpert die Weltklasse, das ist ein Kompliment für die Eishockey-Nation Schweiz. Gleichzeitig ist es schön, zu erleben, wie motiviert die NHL-Spieler sind, für die Schweiz zu spielen, da muss man nicht mal fragen. Kevin Fiala kam im letzten Frühling zur Mannschaft, obwohl ihm ohne laufenden NHL-Vertrag die Absicherung fehlte. Diese Einstellung ist die beste Werbung für die Nationalmannschaft.

Wachsen die Spieler aus der nationalen Meisterschaft jeweils an den Spielern aus der NHL?
Ich will das so ausdrücken: Die Spieler aus der National League haben diese Mentalität schon übernommen und sind selbst in der Lage, Spielen auf internationalem Level den Stempel aufzudrücken. Enzo Corvi war in Kopenhagen einer der besten Mittelstürmer des Turniers, Tristan Scherwey wurde von allen Seiten für seine Dynamik bewundert. Wir haben Spieler in der Liga, die ein neutraler Zuschauer nicht von NHL-Spielern unterscheiden kann.

Wie viele NHL-Stars braucht man, um Weltmeister zu werden?
Scheinbar keinen. Die Finnen haben es im letzten Jahr in Bratislava ohne geschafft. Es ist also möglich, vor allem auf den grösseren internationalen Eisfeldern.

Sie haben drei Mal in Folge die Viertelfinals erreicht. Bedeutet das, dass wir keine Angst mehr vor diesem einen wegweisenden Spiel gegen einen Gegner wie Lettland mehr haben müssen?
Die Top-6-Nationen hatten zuletzt eine Viertelfinal-Quote von 100 Prozent. Das heisst für uns, wir dürfen uns keine grossen Fehler erlauben. In Paris haben wir Kanada geschlagen, in Kopenhagen waren wir darauf angewiesen, dass Russland gegen die Slowakei den Job macht. Die Slowaken haben bei ihrer Heim-WM grossartig gespielt und den Viertelfinal trotzdem verpasst. Ein Selbstläufer ist das Erreichen der K.-o.-Runde für uns nie, aber wir sind nun in der Lage, in wegweisenden Spielen genauso dominant und selbstsicher aufzutreten wie gegen die Besten. Erfreulich ist, dass wir nun in der Lage sind, auch K.-o.-Spiele gegen Topnationen zu gewinnen, da haben wir schon Fortschritte gemacht.

Die letzte WM in der Schweiz ging etwas in die Hose. Erst überschatteten Personaldiskussionen die Vorbereitung, danach war von einem Heimnachteil die Rede ...
In den letzten 33 Jahren haben nur die Schweden im eigenen Land den Titel geholt. Irgendwie scheint es nicht so einfach zu sein. Ich sehe das Heimspiel allerdings als Vorteil. Wir spielen gerne zu Hause, in unserer Kultur mögen wir laute Stadien, leidenschaftliche Unterstützung, das ist nicht bei jeder WM der Fall. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass man sich verkrampft, weil man es zu gut machen will. Es wird unsere Aufgabe als Trainer sein, das zu verhindern.

Sie sind inzwischen ziemlich populär.
(Schaut überrascht.) Gerade stürmisch ist es um mich nicht geworden, ich kann mich in Zürich oder zu Hause im Seetal genau gleich frei bewegen. Es ist doch normal, dass man mit einer Silbermedaille beliebter ist als ohne. Mein per­sönliches Image stand nie im Vordergrund, sonst hätte ich mich kaum so offensiv geäussert, von Medaillen und Selbstbewusstsein gesprochen, sondern versucht, mit irgendwelchen Durchhalteparolen meinen Hintern zu retten. Ich möchte, dass wir Schweizer Hockeyspieler denken wie die Spieler der Topnationen. Warum sollte man irgendwo hinfahren, um nicht zu gewinnen? Ralph Krueger war der Erste, der von einer Medaille gesprochen hat, leider hat er das nicht geschafft. Er hat zu seiner Zeit schon versucht, unsere Mentalität positiv zu beeinflussen.

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