NHL-Playoffs total verrückt
Topfavoriten verzweifeln und scheitern in 1. Runde

Die Playoffs in der NHL stellen die Hierarchie 
auf den Kopf. Das Favoritensterben könnte für schwindende Zuschauerquoten sorgen.
Publiziert: 26.04.2019 um 21:04 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2019 um 21:10 Uhr
In der NHL gehts in der ersten Runde drunter und drüber.
Foto: AP
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Dino Kessler

Chaos. Ein virtuelles Blutbad. Quasi als Schlussbouquet der ersten Playoff-Runde wird Titelverteidiger Washington in der zweiten Verlängerung des siebten Spiels eliminiert, dabei hatten die Experten die Carolina Hurricanes mit Nino Niederreiter höchstens als eine Art Durchlauferhitzer für die Caps mit Superstar Alex Owetschkin gesehen. Ein Sparringspartner, bevor die wirklich dicken Brocken kommen.

Der Titelverteidiger ist aber nur das letzte Opfer. Calgary und Tampa und Nashville (die anderen Divisionssieger neben Washington) schafften in der Summe drei Siege und wurden teilweise in die Verzweiflung getrieben.

Tampa erlebt nach einer Regular Season von historischer Dimension (62 Siege und 128 Punkte) vor dem Hintergrund der Erwartungshaltung einen schier unfassbaren Zusammenbruch.

Im Verlauf von sieben Tagen und vier Spielen verliert das Team von der Westküste Floridas gegen die Columbus Blue Jackets mit Verteidiger Dean Kukan das Selbstver­trauen, den Zusammenhalt und schliesslich jede Widerstandskraft.

Am besten lässt sich der Auflösungsprozess am Beispiel des russischen Ausnahmekönners Nikita Kutscherow illus­trieren. Der brillante Stürmer verpasst die wegweisende dritte Partie aufgrund einer Sperre wegen Bandenchecks und findet erst im letzten Spiel (3:7) Aufnahme in die Resultatspalten – nur hatte sich der Schwung da längst auf der Seite der Blue Jackets eingenistet.

Gut für die Liga?

Experten und Fans streiten sich jetzt über den Punkt, ob das ­flächendeckende Favoritensterben eine gute Sache ist für die Liga, eine abschliessend gültige Antwort kann aber nicht definiert werden. Fest steht nur, dass sich die Strategie der Blue Jackets, bei Transferschluss ­alles auf eine Karte zu setzen, ausgezahlt hat. Die Organisa­tion aus dem US-Gliedstaat Ohio steht zum ersten Mal überhaupt in der zweiten Runde.

Verheerende Auswirkungen hat das Chaos auch für viele Fantasy-Spieler, die meisten Playoff-Tableaus in den verschiedenen Tippspiel-Wettbewerben verwandelten sich schrittweise in Wüsten der Enttäuschung.

Erfolgreich war höchstens, wer grundsätzlich auf die Sensationen setzte und vielleicht aus Sentimentalität noch seinem bevorzugten Team die Stimme gab. Beim Tippspiel auf der offiziellen NHL-Seite erreichten unter Tausenden von Teilnehmern 44 die maximale Ausbeute von acht Richtigen.

Verlass war eigentlich nur auf die Serie zwischen Toronto und Boston, die wie von den meisten Experten vorhergesagt über die volle Distanz und wie zuletzt üblich an Boston ging.

In der mit teilweise unrealistischen Erwartungen gefüllten Blase der aufstrebenden Maple Leafs hat das erneute Ausscheiden gegen die Bruins eine gehässig geführte Grundsatzdiskussion ausgelöst, die vor keiner Instanz haltmacht. Jetzt müssen Sündenböcke gefunden werden.

Von Sportdirektor Dubas über Trainer Babcock bis zu Torhüter Andersen steht jeder Exponent der populären, aber notorisch erfolglosen Organisation (keine gewonnene Playoff-Serie seit 2004) unter Generalverdacht.

Besonders delikat ist die Situation für John Tavares. Der Superstar kam im letzten Sommer von den New York Islanders und wurde mit einem üppigen Vertrag über 77 Millionen Dollar bis 2025 und den Hoffnungen ausgestattet, die Maple Leafs wieder salonfähig zu machen. Nun steht Tavares vor dem Scherbenhaufen der Erwartungen.

Zu allem Übel setzte sich sein Ex-Team mit Meister-Trainer Barry Trotz hinter der Spielerbank (und mit Luca Sbisa auf der Tribüne) in kürzester Frist gegen die leicht favorisierten Penguins aus Pittsburgh durch.

In den neun Jahren mit Tavares als Hoffnungsträger hatten die Islanders keine Playoff-Serie überstanden. Etwas Genugtuung dürfte auch der 76-jährige Manager Lou Lamoriello empfinden: Der ausgebuffte aber knochentrockene Sport­direktor der Islanders hatte bis vor Jahresfrist in Toronto die Fäden in der Hand, dann liess man den ehemaligen Mathematiklehrer ziehen.

Auch Nashville ein Opfer

Die zumindest aus Schweizer Sicht grösste Sensation ist das Ausscheiden der Nashville Predators mit Captain Roman Josi. Beim heftigen Schlagabtausch mit den angriffslustigen Dallas Stars verfiel Nashville zunehmend der Ratlosigkeit.

Allein sind die Predators mit diesen Emotionen allerdings nicht: Calgary musste sich trotz der besten Bilanz in der Western Conference von Sven Andrighettos Colorado Avalanche überrollen lassen (der Kalauer muss sein).

Der wohl dynamischsten Angriffsformation der Liga mit Nathan MacKinnon, Gabriel Landeskog und dem Finnen Mikko Rantanen hatten die Kanadier nichts entgegenzusetzen, obwohl das Team aus Denver erst mittels Wildcard überhaupt die Playoffs geschafft hatte.

Nachdem die Hierarchie der Regular Season durch die teilweise chaotischen Resultate auf den Kopf gestellt wurde, dürften die Kritiker des eigensinnigen Playoff-Formats wieder härtere Töne anschlagen.

Mit fixen Tableaus innerhalb der beiden Conferences hat sich die NHL vom üblichen Standard entfernt, die Bestplatzierten in jeder Runde gegen die Nachzügler antreten zu lassen. Damit lassen sich zwar publikumswirksam lokale Rivalitäten pflegen – nur läuft die Liga damit Gefahr, in einer frühen Phase zugkräftige Mannschaften zu verlieren.

Quotenrenner fehlen

Die bevorstehenden Viertelfinals dürften der NHL im harten Kampf um die Gunst des TV-Publikums ein Dorn im Auge sein: Carolina spielt gegen die New York Islanders. Boston trifft auf Columbus. Dallas misst sich mit den St. Louis Blues und Colorado steht vor dem Duell mit den San Jose Sharks mit Timo Meier. Erfreulich ist das Chaos aus Schweizer Sicht: Zwei Schweizer Spieler stehen sicher im Halbfinal.

NHL-Ticker

Seit Anfang Oktober : Die NHL-Saison 2019/20 hat begonnen und krachen wieder die Banden, die Netze zappeln und es wird um alles gespielt. Alle News, Spielstände, Highlights und Videos gibts die ganze Saison über im NHL-Ticker.

Auch Schweizer Spieler kämpfen in der NHL um den Puck. So wie hier in der Regular Season Nico Hischier mit den New Jersey Devils.
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