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Del Curto bricht sein Schweigen
«Ich kann nicht mehr ich selbst sein»

Er ist charismatisch und leidenschaftlich. Tiefgründig und ehrlich. Solche Töne schlägt HCD-Trainer Arno Del Curto (62) auch im Interview an,als er Ursachenforschung betreibt.
Publiziert: 11.11.2018 um 01:21 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2018 um 22:47 Uhr
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Dino KesslerLeiter Eishockey-Ressort

Arno Del Curto, Sie haben vor ein paar Jahren vermutet, dass man Sie mal mit «Fackeln und Mist­gabeln aus dem Dorf jagen wird». Ist schon jemand aufgekreuzt?
Arno Del Curto: Nein, bis jetzt ist keiner gekommen.

Die Kritiker schlagen jetzt härtere Töne an. Zählt die Vergangenheit mit sechs Meistertiteln und 22 Playoff-Teilnahmen in Folge plötzlich gar nicht mehr?
Das ist normal. Immerhin darf ich noch selbst versuchen, die Wende herbeizuführen. Ohne diese Verdienste wäre es sehr wahrscheinlich schwieriger geworden.

Auch Ihr Präsident Gaudenz Domenig hat zwischen den Zeilen Kritik und Zweifel geäussert.
Das ist auch normal. Als Präsident ist das seine Aufgabe.

Schreit Arno Del Curto den HCD aus der Krise?
1/8

Haben Sie nicht mehr Unterstützung erwartet?
Die Unterstützung spüre ich, intern helfen wir einander. Aber es ist verständlich, dass sich der Präsident in dieser Situation Gedanken macht.

Die grosse Harmonie scheint da aber nicht mehr vorzuherrschen?
Mit Harmonie allein kommt man nicht aus einer Krise. Man muss nach Lösungen suchen, und daran arbeiten wir.

Vor allem die Heimspiele bereiten Sorgen.
Zu Hause oder auswärts, das spielt keine Rolle. Wir müssen uns verbessern. Aber: Wir haben das Budget runtergefahren und einige Spieler ziehen lassen. Nachdem wir Lindbäck verpflichtet haben (Der schwedische Torhüter kam kurz vor Saisonstart, die Red.), waren wir bezüglich Budget wieder im Plan. Die Frage ist nun, ob sich diese Strategie auszahlen wird.

Und?
Ich kann Ihnen keine abschliessende Antwort geben. Nach dem Spiel gegen den EVZ (1:8-Heimpleite, die Red.) musste man wohl sagen: Nein. Am Tag danach und dem Erfolg in Langnau sah das wieder anders aus. Lindbäck ist noch dabei, seinen Stil anzupassen. Unser Torhüter-Trainer Marcel Kull arbeitet hart mit ihm. Die Qualifikation dauert ja noch ein Weilchen.

War das nicht ein etwas grosses Risiko, so kurz vor Saisonstart einen Torhüter zu holen?
Vielleicht.

Ihr Goalie-Trainer Marcel Kull hat diesen Entscheid mitgetragen?
Er war sicher nicht zufrieden, weil er die beiden jungen Goalies (Senn und Van Pottelberghe, die Red.) in ihrer Entwicklung weiter unterstützen wollte.

Haben Sie ein grundsätzliches Ausländerproblem?
Lindbäck kam kurzfristig, das war sicher nicht gut, aber er wird Fortschritte machen. Rödin kam, als die Saison bereits lief, auch er wird sich steigern. Lindgren liess ich spielen, weil wir Mittelstürmer brauchten, aber es war zu früh für ihn. Prince (kam von den New York Islanders, die Red.) bekundet noch Mühe mit dem grösseren europäischen Eisfeld. Sandell wäre zu diesem Zeitpunkt der richtige Mittelstürmer gewesen, aber auch er hat sich verletzt.

Nygren spielt eigentlich gut, lässt sich durch die Krise aber auch verunsichern. Somit ging alles ein bisschen drunter und drüber. Ein grundsätzliches Ausländerproblem haben wir nicht, aber es kam einiges zusammen, was die Aufgabe mit der jungen Mannschaft erschwert.

Wurde die Lage unterschätzt?
Darüber habe ich nachgedacht. Früher ging es oft gut, selbst wenn wir Abgänge nicht kompensiert haben. Da haben wir gesagt: egal, weiter, weiter. Haben wir die Lage unterschätzt? Ich habe bereits früher gewarnt. Kommt alles auf einmal wie jetzt, sind schnelle Korrekturen unmöglich. Brechen so viele Baustellen gleichzeitig auf, ist das für eine unerfahrene Mannschaft nicht einfach.

Was meinen Sie mit «viele Baustellen»?
Wir haben zusätzlich unsere Spielweise angepasst, mit Augenmerk auf die Defensive. Es dauert, bis das sitzt. Sehr defensiv, dafür waren wir nicht auf Anhieb bereit. Wir begannen in der Regel gut, verloren den Faden, wenn es gegen uns lief. Nun haben wir es hoffentlich drauf, bei einem Rückstand geduldiger zu bleiben und nicht sofort alles nach vorne zu werfen.

Sehr defensiv – das passt nicht zu Ihnen. Tempo, vorwärts, Zug aufs Tor, das ist doch Ihr Credo?
Jetzt passt es, weil es sein muss. Je nachdem, wie sich die Mannschaft weiterentwickelt, kann man auch das System wieder anpassen.

Die neue Sportkommission wird aus Personen gebildet, die schon lange beim HCD sind. Stichwort Betriebsblindheit. Ist Hilfe von aussen nicht gefragt?
Die Sportkommission ist eine temporäre Massnahme, die dieses Ziel verfolgt.

Sie waren eine One-Man-Show.
Nein. Ich habe nie eigenmächtig Transfers getätigt, ich habe dem VR Vorschläge unterbreitet. Dass ich Vorschläge bringe, lag auf der Hand, da ich längere Zeit Trainer und Sportchef im Doppelamt war.

Aber Sie haben bestimmt, wer infrage kommt.
Das war immer ein interner Prozess, dabei wurden vorgängig viele Gespräche geführt. Und das ging lange Zeit immer gut.

Del Curto, die One-Man-Show?

Sie haben die Spieler ausgesucht.
Wenn man gleichzeitig Trainer ist, hat man schon eine Vorstellung, welche Spieler passen. Glücklicherweise waren wir recht erfolgreich, es war nicht immer einfach, Spieler nach Davos zu bekommen.

Jetzt ist es noch schwieriger.
Das ist schon länger so. Dario Simion (ist seit dieser Saison beim EVZ, die Red.) zum Beispiel wollte bereits letztes Jahr ins Unterland, aber ich konnte ihn damals noch über­reden. Von einem Spieler, der nicht glücklich ist, kann man keine Höchst­leistung erwarten. Für mich stand immer der Klub im Vordergrund, nicht meine Person.

Aber ...
... da müssen wir schon vorsichtig sein, neue Spieler benötigen auch etwas Zeit. Hischier? Wird gut. Der durfte bisher noch nie Verantwortung tragen, das muss er erst lernen. Meyer? Spielte bei Bern jeweils nur wenige Minuten pro Spiel. Das ist ein Torschütze, der wird seinen Weg machen. Bader? Spielt jetzt schon einen guten Part und wird immer besser, spielt bereits Powerplay. Pestoni? Wir waren die Einzigen, die ihn genommen haben. Und jetzt ist er Top­skorer bei uns.

Bleibt Ihnen für die Entwicklung der Jungen überhaupt noch Zeit? Wenn der Panikknopf gedrückt wird, steht ein neuer Trainer da.
Das spielt doch keine Rolle, dann muss halt der weitermachen. Bis dahin schaue ich, dass die Jungen vorwärtskommen. Payr, Barandun, Baumgartner, Frehner und so weiter – die sind 18. Und es gibt noch mehr. Das ist ein vielversprechendes Team für die Zukunft, das aber Zeit braucht. Der missratene Start macht allerdings alles sehr schwierig.

Glauben Sie, Sie können das durchziehen?
Vielleicht hat der da oben gesagt, jetzt stellen wir die mal auf die Probe und schauen, was passiert.

Wer ist der da oben? Präsident Domenig?
Nein, der liebe Gott.

Hätte der Präsident nicht schon früher für professionelle sportliche Strukturen sorgen müssen? Jetzt ist das in der Not passiert.
Welche Not?

Der schwache Saisonstart.
Die flankierenden Massnahmen wären auch getroffen worden, wenn die Lage besser wäre. Der HCD muss sich weiterentwickeln, ich mache nicht nochmal 22 Jahre.

Es gibt Spieler beim HCD, die sich bei Journalisten über Sie beklagen. Sie hätten die Mannschaft verloren, heisst es.
Wenn eine Mannschaft so platziert ist, gibt es immer Beeinflussungs­versuche von allen Seiten. Und: Eine Mannschaft am Tabellenende ist immer von Unruhe umgeben. Am Ende des Tages muss jeder in den Spiegel schauen können. Ich kann es.

Sind Sie weich geworden?
Weich? Nein. Ich habe versucht, meinen Stil zu ändern. Man kann heute nicht mehr so mit den Spielern sprechen wie früher.

Sie sollen sich doch nicht ändern. Sie sollen sich selbst bleiben. So mögen die Leute Sie.
Mag sein, aber das ist, wie gesagt, nicht mehr möglich.

Dulden Sie keine Dissidenten?
Wie meinen Sie das?

Darf man zu Ihnen ins Büro kommen und Training oder System kritisieren?
Aber natürlich. Die Frage ist seltsam. Ich habe ständig Spieler bei mir in der Garderobe, mit denen ich über alles Mögliche spreche, Sportliches wie Zwischenmenschliches.

Hatten Sie jemals den Eindruck, die Mannschaft spielt gegen Sie?
Nein. Ich habe gesehen, wie die Mannschaft einbricht, aber da war kein böser Wille im Spiel. Hundertprozentig sicher sein kann man aber nie. Berufsethik, Verantwortung gegenüber Fans, Sponsoren, Arbeitgeber und sich selbst sind nicht bei jedem gleich ausgeprägt. Das ist nicht nur im Sport so, sondern auch in der Privatwirtschaft.

Ist beim HCD etwas zerstört worden, als Reto von Arx seine Karriere an den Nagel gehängt bekam?
Hm. Ich habe gespürt, dass sich im Umgang mit ein paar Spielern etwas verändert hat. Einige konnten das gut verarbeiten, andere weniger. Spieler, die Reto auch jetzt noch nahestehen. Ist das erstaunlich? Nein. Das ist ganz normal.

Muss Andres Ambühl immer noch Verteidiger spielen?
Nein, das muss er nicht. Ausser, wenn mir die Verteidiger ausgehen. Ambühl kann Verteidiger spielen.

Aber er will kein Verteidiger sein.
Wahrscheinlich nicht. Aber er muss aushelfen, wenn Not am Mann ist. Wie zuletzt in Langnau, als zwei Verteidiger ausgefallen sind.

Beat Forster.
Was ist mit ihm?

Auch ein Abgang mit Nebengeräuschen.
Wir konnten uns Forster nicht mehr leisten.

Erzählen Sie mehr.
Da gibt es nichts zu erzählen.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass Sie nächstes Jahr nicht mehr in Davos sind?
Ja. Nach dem 1:8 gegen Zug. Und das darum, weil zuvor Anzeichen der Besserung erkennbar waren. Zuvor beim Spiel in Rapperswil (2:1 nach Penaltys, die Red.) und im Training. Nach diesem Heimspiel habe ich überlegt, was da los ist. Natürlich sind wir nicht mehr so stark wie früher, aber dieser erneute Einbruch hat mich überrascht.

Was wird sein, wenn die nächste Zeit keine Besserung bringt?
Ich bin noch nie davongelaufen. Meine Loyalität zum HCD war immer stärker als sämtliche Angebote. Auch, als ich bei St. Petersburg zugesagt und dann im Sinne des HCD wieder abgesagt habe. Sollte keine Besserung eintreten, werden wir zusammensitzen und uns finden.

Ihr Primarschullehrer Curo Mani hat mal gesagt, dass Sie wohl mal als Staubsauger-Verkäufer arbeiten werden. Wäre das was, wenn es schiefgehen sollte?
(Lacht.) Er sagte das, weil ich mir bei ihm eine bessere Note erschwatzt hatte. Aber warum sollte ich Staubsauger verkaufen? Da mache ich lieber etwas anderes.

Was denn?
Glauben Sie mir, ich kann mich für vieles begeistern.

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Persönlich

Ein Fussgelenkbruch war es, der die Spielerkarriere von Arno Del Curto beendete, als der Stürmer erst 21 Jahre alt war. Seinen ersten Trainerjob angelte sich der Engadiner 1979 bei Wallisellens Junioren als Feuerwehrmann. Nach Stationen wie Buochs, Reinach, Küsnacht, Herisau, dem ZSC, Bülach und Luzern wurde der 62-Jährige 1996 Trainer des HC Davos. Eine Ära wird eingeläutet, die immer noch ­andauert. Einzigartig in der ­Geschichte unseres Hockeys.

Seit 1996 Trainer des HC Davos.
National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
1
3
3
2
SC Bern
SC Bern
1
2
3
2
ZSC Lions
ZSC Lions
1
2
3
4
EV Zug
EV Zug
1
1
3
4
Lausanne HC
Lausanne HC
1
1
3
6
HC Lugano
HC Lugano
2
1
3
7
EHC Kloten
EHC Kloten
1
1
2
7
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
1
1
2
9
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
1
-1
1
10
HC Davos
HC Davos
2
-3
1
11
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
1
-1
0
12
EHC Biel
EHC Biel
1
-2
0
12
SCL Tigers
SCL Tigers
1
-2
0
14
HC Ajoie
HC Ajoie
1
-3
0
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