Federer, Schmid, Holdener und Co sind Trendsetter
Hauptjob: Profi-Sportler. Nebenjob: Unternehmer

Nach einer Karriere im Profi-Sport droht das grosse Loch. Aber es gibt immer mehr Athleten, die sogar mit eigenen Geschäftsideen schon während der aktiven Zeit an die Zukunft denken.
Publiziert: 17.11.2021 um 14:09 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2021 um 14:24 Uhr
Matthias Dubach, Christian Müller und Mathias Germann

Es ist aussergewöhnlich, dass am selben Tag gleich zwei grosse Figuren einer Einzelsportart ihre Rücktritte erklären. Aber am Mittwoch knallts bei den Langläufern doppelt: Neben Legende Dario Cologna (35) kündigt auch Teamsprint-Vizeweltmeisterin Laurien van der Graaff (34) ihren Abgang auf Ende Saison an.

Beide wissen noch nicht, was sie nach dem Karriereende machen werden. Das ist mittlerweile auch aussergewöhnlich! Denn immer mehr Sportler kümmern sich bereits während der Aktivkarriere darum, was nach dem letzten Rennen oder dem letzten Spiel eigentlich folgen soll.

«Es ist ein Trend, dass sich immer mehr Sportlerinnen und Sportler schon während der Karriere um ihr Leben danach kümmern», sagt Martin Zinser. Der langjährige SRF-Sport-Mann ist Co-Gründer von Sportlifeone, einer Dienstleistungsplattform mit acht unabhängigen Unternehmen.

Dick im Schuh-Business: Tennis-Ikone Roger Federer hat trotz noch laufender Aktivkarriere längst seine Zukunft aufgegleist.
Foto: Instagram
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Es geht um scheinbar simple Sachen wie Hilfe bei Steuerproblemen oder Jobsuche. Aber auch um Weiterbildungsmöglichkeiten, das Vernetzen und Profilerstellung – um herauszufinden, in welche Berufsrichtung es nach dem Sport überhaupt gehen könnte. Als Sportlifeone-Botschafter amten Hockeynati-Captain Raphael Diaz sowie die Ex-Fussballnati-Keeper Diego Benaglio und Pascal Zuberbühler.

Ein Job danach im Sport ist die Ausnahme

Eine ähnliche Plattform, die Sportlern den Weg ins Berufsleben erleichtert, ist Athlete Network. Dahinter stehen unter anderen Ex-Fussballstar Beni Huggel und Ski-Crack Niels Hintermann. Auch hier ist der Trend klar: Immer mehr Athleten wollen ihre Zukunft frühzeitig aufgleisen. Zinser sagt: «Eine deutliche Mehrheit der Athletinnen und Athleten müssen nach der Karriere ausserhalb ihres Sports arbeiten.»

Das gestiegene Bewusstsein für das drohende Loch nach dem Rücktritt führt aber auch dazu, dass sich immer mehr Sportler als Jung-Unternehmer versuchen. Eine eigene Geschäftsidee verfolgen, erste Business-Erfahrungen sammeln, Versuchsballone starten – immer mehr Athleten wagen sich schon während der Karriere in die Wirtschaft.

Beispiel Andy Schmid (38). Der Schweizer Handball-Superstar ist nach wie vor aktiv, hat aber mit Uandwoo schon ein Kleider-Label gegründet, mit «Mein Sprungwurf» ein Kinderbuch herausgegeben, mit «Learn Handball» eine Trainings-App für Kinder entwickelt und mit Fundoo ein Spendentool für Klubs inszeniert.

Handballer Schmid wirbelt seit zehn Jahren

Schmid sagt: «Gerade als Schweizer Sportler sollte man sich darüber Gedanken machen, weil die Fallhöhe nach dem Karriereende schon hoch ist. Ich selbst möchte nach der Karriere auf mehreren Beinen stehen. Eines wird die Betriebswirtschaft sein. Ein anderes der Handball, hoffentlich als Trainer.»

Der Bundesliga-Topspieler sorgte dafür, dass er auch ausserhalb der Halle am Ball bleibt. «Angefangen hat alles 2011, als ich mit zwei Handballkollegen ein Socken- und Unterwäsche-Label gegründet habe. Es ging mir damals darum, meinen Horizont zu erweitern und in einem betriebswirtschaftlichen Umfeld tätig zu sein. Statt eines Fernstudiums wollte ich lieber etwas Praxisnahes machen», schildert Schmid.

Auch die beiden Ski-Stars Wendy Holdener (28) und Michelle Gisin (27) wirbeln neben der Piste. Ans Karriereende denkt keine der beiden. Trotzdem sind sie als Teilhaberinnen beim Schwyzer Sportnahrungs-Start-up Nutriathletic eingestiegen. Aber die Ski-Stars investieren nicht nur: Sie arbeiten auch mit. Holdener: «Ich darf meinen eigenen Riegel machen, Michelle arbeitet an einem Pulver. Wir haben schon vorher mit ihnen zusammengearbeitet, wenn wir Hilfe bei der Ernährung brauchten, zum Beispiel für Zusatzstoffe. Dann bin ich eingestiegen. Michelle danach auch.»

Mit Nebenjob zum reichsten Fussballer der Welt

Schon als Fussballer hatte es Mathieu Flamini (37) weit gebracht. Profi bei Marseille, Arsenal, Milan, Crystal Palace und Getafe, Champions-League-Spiele und Nati-Partien für Frankreich. Aber neben seiner Karriere baute der Mittelfeldspieler ein beispielloses Unternehmen auf.

Mit einem Geschäftspartner gründet Flamini die Biochemie-Firma GF Biochemicals. Jahrelang wissen nicht mal seine Premier-League-Teamkollegen vom Projekt. Doch nach einem Durchbruch outet sich der Franzose mit seinem Nebenjob.

Seine in Italien ansässige Firma mit rund 80 Angestellten kann als einzige weltweit Lävulinsäure industriell herstellen. Dieser Stoff könnte in Zukunft das Benzin ersetzen – das Potenzial ist so gigantisch, dass Flamini Innovationspreise abräumt und eigentlich reichster Fussballer der Welt ist.

Aber er sagte in der «L'Equipe»: «Ich habe keine 30 Milliarden Euro auf dem Konto. Das ist nicht der Wert meines Unternehmens. Es ist die Summe des Gesamtmarkts, den wir angreifen wollen. Mir gings nie ums Geld, ich wollte etwas für die Umwelt tun.» (md)

Schon als Fussballer hatte es Mathieu Flamini (37) weit gebracht. Profi bei Marseille, Arsenal, Milan, Crystal Palace und Getafe, Champions-League-Spiele und Nati-Partien für Frankreich. Aber neben seiner Karriere baute der Mittelfeldspieler ein beispielloses Unternehmen auf.

Mit einem Geschäftspartner gründet Flamini die Biochemie-Firma GF Biochemicals. Jahrelang wissen nicht mal seine Premier-League-Teamkollegen vom Projekt. Doch nach einem Durchbruch outet sich der Franzose mit seinem Nebenjob.

Seine in Italien ansässige Firma mit rund 80 Angestellten kann als einzige weltweit Lävulinsäure industriell herstellen. Dieser Stoff könnte in Zukunft das Benzin ersetzen – das Potenzial ist so gigantisch, dass Flamini Innovationspreise abräumt und eigentlich reichster Fussballer der Welt ist.

Aber er sagte in der «L'Equipe»: «Ich habe keine 30 Milliarden Euro auf dem Konto. Das ist nicht der Wert meines Unternehmens. Es ist die Summe des Gesamtmarkts, den wir angreifen wollen. Mir gings nie ums Geld, ich wollte etwas für die Umwelt tun.» (md)

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Beim Kontakt hilft der Zufall mit. Die Ernährungstüftler sind in Einsiedeln SZ im selben Gebäude untergebracht wie der Kraftraum, wo Holdener trainiert. Als sie 2020 verletzt ist und wochenlang dort schuftet, kommt man ins Gespräch: «Wir haben viel übers Essen diskutiert.»

Jetzt sind Holdener und Gisin an der Firma von Verena und Piero Fontana beteiligt. Ist das schon ein Standbein für nach der Karriere? Holdener: «Ob es etwas für später ist, weiss ich noch nicht. Aber es ist cool, dass wir als Sportler eine solche Chance bekommen und etwas aufbauen können.»

Auch Andy Schmid sagt: «Bei der Auswahl meiner Projekte geht es nicht darum, ob sich damit die Zukunft meiner Familie sichern lässt. Ich lege einfach mal los und versuche, meine Möglichkeiten auszuloten. Beispielsweise beim Kinderbuch habe ich dann schnell gemerkt, was funktioniert und welche Fehler ich gemacht habe. Ich stürze mich aber nicht blind in irgendwelche Themen, sondern bleibe schon im Sportumfeld.»

Es geht den Sport-Unternehmern um eine Horizonterweiterung. Ein erstes Herauswagen aus der Sport-Blase. «Während der Karriere wird einem durch den Klub, den Trainer, den Verband oder den Manager vieles abgenommen», sagt Martin Zinser. Doch nach der Karriere sind die ganzen Leitplanken plötzlich weg.

Es geht um mehr als ums Geldverdienen

Ähnliche Beispiele von Nebenjob-Unternehmern gibts auch im Fussball. YB-Star Christian Fassnacht betreibt mit Cedici eine Kleidermarke. Ebenso der St. Galler Alessandro Kräuchi und Paderborn-Verteidiger Jasper van der Werff, ihre Modelinie heisst «Maison d'Estime». Bei Sions Guillaume Hoarau ist die Musik längst mehr als nur ein Hobby. Ex-Thuner Dennis Hediger baute sein Fitness-Unternehmen schon während der Karriere auf. Zwei Beispiele von früher? Sion-Legende Fernand Luisier errichtete ein Wein-Imperium. Und Nati-Trainer Murat Yakin hatte schon als Spieler erste erfolgreiche Schritte ins Immobiliengeschäft unternommen.

Und auch der Grösste mischt voll mit. Tennis-Superstar Roger Federer (40) hat fürs unausweichliche Karriereende längst die Weichen gestellt. Schlagzeilen machte vor allem sein Engagement als Investor bei On. Aber Federer ist auch am Sportvermarkter Team8 beteiligt, dazu kommen diverse Partnerschaften und seine Stiftung. Aber selbst der Maestro ist schon auf die Schnauze gefallen: Sein Parfüm «RF» wurde zum Flop.

Klar: Randsportarten-Athleten wissen ihre ganze Karriere lang, dass sie danach für den Lebensunterhalt ins Berufsleben einsteigen müssen. Aber gerade Multi-Millionär Federer zeigt, dass es bei Projekten für später um mehr geht als ums reine Geldverdienen. Es geht um eine neue Herausforderung im Leben danach.

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