Steffi Buchli testet den Formel-1-Simulator
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«Mir wurde richtig schlecht»:Steffi Buchli testet den Formel-1-Simulator

Ex-Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn über ihre Kritiker
«Diesen Männern ist nicht mehr zu helfen!»

Monisha Kaltenborn (49), die erste Teamchefin der Formel 1, ist heute Geschäftsführerin eines Start-ups, das Rennsimulatoren herstellt. «Selber Simulator fahren? Dazu habe ich keine Zeit.» Lieber schmiedet sie bei Hundespaziergängen Zukunftspläne.
Publiziert: 03.05.2021 um 11:14 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2021 um 11:47 Uhr
Monisha Kaltenborn ist seit 2019 Geschäftsführerin des Simulator-Racing-Start-ups Racing Unleashed. Das Unternehmen betreibt in der Schweiz vier sogenannte «Racing Lounges». Weitere Standorte sind Madrid und München.
Foto: Sven Thomann
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Steffi Buchli

Knallgelbes Kleid statt Astronautinnen-Anzug. Monisha Kaltenborn erscheint auf die Minute pünktlich. Die Simulatoren in der «Racing Lounge» sind gut besucht an diesem Dienstagnachmittag, es ist laut und betriebsam in den altehrwürdigen Industriehallen in Kemptthal ZH, wo sich Racing Unleashed eingemietet hat. Kaltenborn übernahm die Geschäftsführung 2019. Virtuelle Rennen am Bildschirm statt dröhnende Motoren auf der Rennstrecke. Sie habe schnell gemerkt, dass die Welten sich ergänzten. Sie sei daran herauszufinden, was die reale von der virtuellen Welt lernen könne und umgekehrt. Einmal mehr hat sie sich aufgemacht, neues Terrain zu entdecken. Getrieben von Neugier wollte das Mädchen Monisha einst zum Mond fliegen. Es blieb beim Kindheitstraum.

Warum haben Sie sich schliesslich für ein Jus-Studium statt für eine Astronautinnen-Ausbildung entschieden?
Monisha Kaltenborn: Österreich war ja nicht in einem Raumfahrtprogramm oder so. Ich sah keine Chance, mir diesen Traum zu erfüllen. Ich wollte dann Biochemie studieren. Ich war sehr gut in diesem Thema. Die Studiendauer hat mich abgeschreckt. Acht Jahre! Das war nichts für mich. Ich dachte, mit Rechtswissenschaften verbaue ich mir nichts. Man lernt, in Zusammenhängen zu denken, die richtigen Fragen zu stellen und sich in eine neue Materie einzuarbeiten.

Diese Fähigkeit konnten Sie gut gebrauchen in Ihren Anfangsjahren in der Formel 1. Wie war das damals, als Sie 2000 in die Rechtsabteilung von Sauber wechselten?
Beim Team selber war man überrascht, viele kannten mich damals noch nicht, obwohl ich das Dossier zuvor auf Seiten einer Anwaltskanzlei betreut habe. Für die Branche war das nicht sonderlich speziell, dass ich eine Frau war. Bernie Ecclestone (war bis 2017 Geschäftsführer der Formula One Group, Anmerkung der Redaktion) zum Beispiel hatte immer Frauen auf wichtigen Positionen. Das kannte man.

Monisha Kaltenborn wurde 2010 Geschäftsführerin von Sauber, nachdem Peter Sauber das Unternehmen von BMW zurückgekauft hatte. Zwei Jahre später löste die Österreicherin Peter Sauber als Teamchef ab. Kaltenborn war die erste Frau in dieser Rolle in der Formel 1. Medien warfen ihr vor, sie hätte kein Benzin im Blut.

«Damit konnte man mich nicht kränken. Die Journalisten haben mir immer wieder meine Ausbildung zum Vorwurf gemacht, mein Jus-Studium. Man hat dabei aber ausser Acht gelassen, dass grosse Figuren in der Formel 1 auch diese Grundausbildung hatten. Mosley, Montezemolo, Parr, Agnelli – alles Juristen. Das ist völliger Unsinn, mir das vorzuwerfen.»

Natürlich warf man Ihnen so indirekt auch vor, Sie hätten von Motorsport keine Ahnung.
So deutlich waren zum Glück nur vereinzelte Vertreter der Medien. Die sind damit nicht klargekommen, dass ich diese Rolle innehatte. Sie trauten mir nichts zu. Am Anfang hat mich das genervt. Irgendwann habe ich mir dann einfach gesagt: Diesen Männern ist nicht mehr zu helfen!

Als Teamchefin waren Sie für die sportlichen Leistungen zuständig.
Richtig. Man hat mich aber zu allem anderen befragt. Ich habe mich immer wieder gewundert. Niemand sprach mich auf die Leistungen des Teams an. Man befragte mich zu verbandspolitischen FIA-Themen, zu Ecclestone, zu Sponsoren … Kein Journalist wollte mit mir über den Sport sprechen. Es brauchte lange, bis sich dies änderte. Die sportliche Analyse ist ja nun wirklich keine Hexerei. Ich bin ein Zahlenmensch, es geht dabei um Zahlen und Zusammenhänge, ganz einfach. Mit einem halben Hirn kriegt man das hin!

Die Journalisten hatten also eine lange Leitung. Wie war denn Ihre Position gegenüber den anderen Akteuren in der Formel 1?
Meine Ernennung zur Geschäftsführerin und Teamchefin war für viele in der Branche nur noch eine logische Folge. Ich habe den Rückkauf von BMW zusammen mit dem Finanzchef und mit Peter Sauber geleitet. Wir mussten die Schliessung des Rennstalls abwenden. Wenn ich zurückdenke, waren wir als Team Meister des Krisenmanagements. Wir haben zusammen so viele heikle Situationen überstanden, haben sehr eng zusammengearbeitet. Ich habe diese Chance bekommen und habe sie genutzt.

Die Formel 1 ist nach wie vor eine Männerwelt …
Die Materie bringt es von Haus aus mit sich, dass der Frauenanteil relativ gering ist. Gefragt sind bei Rennställen Ingenieure, Techniker, Aerodynamiker. In diesen Bereichen hat es klassischerweise wenig Frauen. Ich hoffe, dass sich dies bald ändern wird.

Braucht es nach wie vor Mut, als Frau in eine Männerdomäne zu gehen?
Ja, weil du unter ständiger Beobachtung stehst. Wenn du als Frau einen Fehler machst, wirst du zurechtgestutzt. Man geht noch viel zu oft davon aus, dass du es nicht kannst, weil du eine Frau bist. Das sind veraltete Muster: Wenn etwas falsch läuft, ist die Frau schuld. Wenn es gut läuft, dann hat sie einfach ein gutes Team um sich. An diese Haltung musste ich mich gewöhnen.


Fehler hat man Kaltenborn in ihrer Ära so einige angelastet: Als Sauber vier (statt drei) Fahrer verpflichtete und in der Folge in Rechtsstreitigkeiten verwickelt war zum Beispiel. Natürlich war sie auch am Pranger, als der Rennstall das schlechteste Resultat in der Geschichte einfuhr. An die exponierte Stellung hat sie sich gewöhnt. Offenbar so gut, dass sie 2020 beschloss, in die nächste Männerdomäne vorzudringen: Monisha Kaltenborn sitzt im Präsidium von Rapid Wien, zusammen mit der ehemaligen Skirennfahrerin Michaela Dorfmeister.
«Wenn wir zusammen ein Spiel schauen, ist sie viel lauter. Ich bin eher zurückhaltend. Das war schon immer so. Ich kann innerlich kochen. Und man sieht mir nichts an. Meistens zumindest. Einmal bin ich als Teamchefin ausgerastet. Als unsere Fahrer Felipe Nasr und Marcus Ericsson sich in Monaco gegenseitig abgeschossen hatten. Da war mein Fluchen weitherum hörbar.»

Eine laut fluchende Monisha Kaltenborn ist schwer vorstellbar. Ihre Stimme ist leise, aber bestimmt. Sie wirkt zierlich und gleichzeitig unerschütterlich. Sie kam als achtjähriges Mädchen aus Indien nach Wien, weil ihr Vater dort einen Job annahm. Sie kam in eine deutsche Schule und musste sich in eine neue Kultur einleben. Prägend.
«Ich kam in eine Klasse, in der eine Sprache gesprochen wurde, die ich nicht verstanden habe. Ich habe ein halbes Jahr nur Zahlen verstanden, ansonsten kein Wort. Das war sehr fordernd. Wenn du das überstehst, haut dich so schnell nichts mehr um.»

Auch eine Pandemie zur Unzeit kann der Geschäftsführerin nichts anhaben. Die «Racing Lounges» waren wegen Covid monatelang geschlossen, einmal mehr ist Kaltenborn Krisenmanagerin, einmal mehr ist der Mut der Entdeckerin gefragt.
«Wir mussten unter Druck neue Geschäftsfelder ausloten. Dieser Druck treibt mich an. Ich habe so viele Ideen pro Tag. Zu viele, sagen meine Mitarbeiter. Seit ich einen Hund habe, ist es noch schlimmer geworden. Wegen den langen Spaziergängen. Da gehen mir so viele Dinge durch den Kopf.»

Und wie sehen die Sonntage bei Monisha Kaltenborn aus: Hundespaziergang oder Formel 1 vor dem Fernseher?
Da schaue ich schon meist rein. Imola war so richtig spannend. Meist sitze ich aber nicht das ganze Rennen vor dem TV. Ich erledige parallel gern noch andere Dinge.

Zu einer Fahrt am Simulator lässt sich Kaltenborn nicht hinreissen. Sie sei schliesslich auch in der Formel 1 nie selber gefahren. Für Übungsfahrten habe sie keine Zeit, und überhaupt überlasse sie das Steuer lieber den Gästen. Sagts und lädt mich mit einer freundlichen Geste dazu ein, Platz zu nehmen. Mich packt schon kurz nach dem Start der kindliche Eifer, und ich heize mit einem gefühlten Affenzahn über die Rennstrecke von Monza. Sie ist sich anderes gewohnt und wirft lächelnd ein: «In dieser Kurve können Sie ruhig ein bisschen später bremsen.»

Monisha Kaltenborn (49)

Monisha Kaltenborn (49) ist seit Juli 2019 Geschäftsführerin der Firma Racing Unleashed. Das Schweizer Start-up stellt Rennsimulatoren her und vertreibt diese in einem Franchising-System. Kaltenborn sitzt ausserdem im Vorstand des österreichischen Fussballklubs Rapid Wien. Die studierte Juristin arbeitete ab 2000 in verschiedenen Funktionen für Sauber, ab 2010 als CEO. 2012 wurde sie bei Sauber zur ersten Teamchefin der Formel 1 ernannt und wurde Miteigentümerin des Schweizer Rennstalls. 2017 endete ihr Engagement bei Sauber.

Monisha Kaltenborn (49) ist seit Juli 2019 Geschäftsführerin der Firma Racing Unleashed. Das Schweizer Start-up stellt Rennsimulatoren her und vertreibt diese in einem Franchising-System. Kaltenborn sitzt ausserdem im Vorstand des österreichischen Fussballklubs Rapid Wien. Die studierte Juristin arbeitete ab 2000 in verschiedenen Funktionen für Sauber, ab 2010 als CEO. 2012 wurde sie bei Sauber zur ersten Teamchefin der Formel 1 ernannt und wurde Miteigentümerin des Schweizer Rennstalls. 2017 endete ihr Engagement bei Sauber.

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Was ist eine «Racing Lounge»?

An den bisher vier Standorten in der Schweiz können Simulator-Fahrten gebucht werden. Einzelpersonen können virtuell gegeneinander antreten. Gefahren wird auf den Originalstrecken der Formel 1. Auch Profi-Rennfahrer nutzen die Simulatoren für zusätzliche Fahrtrainings.

An den bisher vier Standorten in der Schweiz können Simulator-Fahrten gebucht werden. Einzelpersonen können virtuell gegeneinander antreten. Gefahren wird auf den Originalstrecken der Formel 1. Auch Profi-Rennfahrer nutzen die Simulatoren für zusätzliche Fahrtrainings.

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