Carlo Häfeli: Der Mann, der den FC Biel in den Abgrund stürzte
«Er hat richtig gut gelogen»

Der Zürcher Carlo Häfeli wollte mit Biel europäisch spielen. Stattdessen fuhr er den Klub mit Vollgas gegen die Wand.
Publiziert: 31.08.2023 um 00:38 Uhr
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Aktualisiert: 31.08.2023 um 07:40 Uhr
Martin Arn
Martin ArnReporter Fussball

Im Frühsommer 2015 lässt sich der Zürcher Anwalt Carlo Häfeli von seinem Chauffeur an den Bielersee fahren. Er hat um einen Termin beim preisgekrönten Bieler Filmemacher Mario Cortesi gebeten. Häfeli will sich ein Bild von der Stadt machen, deren Fussballklub er kurz zuvor als Mehrheitsaktionär übernommen hat. Häfeli kommt eine Stunde zu spät. Das Wasser, das ihm Cortesi reicht, lässt er stehen. Stattdessen kramt er einen A4-Block aus der Tasche und skizziert darauf, wie er Spieler von hier nach dort transferieren und damit ganz viel Geld verdienen will – mit einem Challenge-League-Klub, wohlverstanden!

Bevor sich Häfeli nach einer knappen Stunde wieder in den Fond seines Wagens setzt, will er von Cortesi noch wissen, ob ihm dieser eine Villa am Bielersee vermitteln könnte. Als Häfeli verschwunden ist, begibt sich Cortesi ins Büro seiner Assistentin: «Das kommt nicht gut», sagt er zu ihr. Cortesi wird recht behalten.

Spieler müssen die Garderoben selbst wischen

Häfeli lässt vor der Saison 2015/16 keinen Stein auf dem anderen: 22 neue Spieler kommen, 29 werden ausgemustert. Zum Kader gehören illustre Namen wie Jérémy Frick (heute Servette), Beg Ferati (Ex-Basel), der aufstrebende Mirlind Kryeziu (heute FCZ) oder Benjamin Kolloli und Antonio Marchesano, die beide später ebenfalls für den FCZ spielen. Trainer ist Patrick Rahmen. Der FC Biel spielt in der Challenge League ganz oben mit. Im Interview mit der Tageszeitung «Der Bund» fantasiert Häfeli von der Europa League und nennt Schalke als Vorbild.

Hier bin ich: Im Frühling 2015 übernimmt Carlo Häfeli beim FC Biel die Aktienmehrheit.
Foto: Urs Lindt/freshfocus
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Doch schon nach wenigen Monaten geht dem grössenwahnsinnigen Zürcher Anwalt das Geld aus. Die Dezemberlöhne werden verspätet ausbezahlt. Im Januar 2016 beträgt der Schuldenberg mehrere Hunderttausend Franken. Häfeli hat die Leasings für die vertraglich vereinbarten Autos und für die Mietwohnungen der Spieler nicht bezahlt. Der Textildruckerei Grafico schuldet er 30'000 Franken. Häfeli kann nicht einmal die Firma Faro bezahlen, die für die Reinigung der Garderoben zuständig ist. Die Spieler müssen nach dem Training die Garderoben selbst wischen. Häfeli beschwichtigt und verspricht neue Investoren. Trainer Patrick Rahmen mag sich dieses Trauerspiel nicht mehr anschauen und schmeisst hin.

Irrer Zehn-Jahres-Plan

Wegen der ausstehenden Lohnzahlungen interveniert die Disziplinarkommission der Liga. Dem FC Biel werden Punkte abgezogen. Ende Februar 2016, der FC Biel hat gerade zu Hause gegen Chiasso mit 1:2 verloren, bittet Häfeli zur Medienkonferenz und stellt einen Mann namens Marcel Michel als neuen Verwaltungsrat vor. Michel kommt aus der Erotikbranche. Erfahrung im Fussball hat er keine. In den Clubs, die er bis dahin geführt hatte, tanzten nackte Frauen an Stangen.

Und noch einen angeblichen Investor zaubert Häfeli aus dem Hut: Martin von Burg soll den vom Konkurs bedrohten Verein retten und innert Wochenfrist einen Check über 800'000 Franken ausstellen. Doch in Grenchen, wo von Burg zu Hause ist, schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, als sein Name fällt. Von Burg war in der Saison 1984/85 Sportchef beim FC Grenchen. Er hatte Spieler vom FC Basel mit horrenden Verträgen nach Grenchen geholt. Der FC Grenchen stieg zwar in die damalige Nationalliga A auf, doch Sportchef von Burg hinterliess einen Schuldenberg von 680'000 Franken.

Häfelis Zehn-Jahres-Plan («Wir wollen an die Schweizer Spitze und dann nach Europa») scheitert spätestens dann, als im März 2016 ein gewisser Zlatko Petricevic den Trainerposten in Biel übernimmt. Dem Kroaten eilt der Ruf eines Hochstaplers voraus. In Mexiko hatte er 2011 den Verantwortlichen des 1.-Liga-Klubs Queretaro das Blaue vom Himmel versprochen. Er wollte Spaniens Stürmer-Legende Raul verpflichten und Freundschaftsspiele gegen Real Madrid und Barcelona organisieren. Nach sechs Monaten war Petricevics Gastspiel in Mexiko zu Ende. Keines seiner Versprechen hat er eingehalten.

Auftritt des «Trainerclowns»

Sein erstes Training in Biel erinnert an die Sendung «Verstehen Sie Spass?». Zum Lachen ist da in Biel aber längst niemandem mehr zumute. Petricevic gibt Blick zunächst einmal ein 45-minütiges Interview, während die Spieler wartend auf dem Platz stehen. Dann lässt er Freistösse und Elfmeter trainieren, wobei auch er sich als Schütze versucht. Beim abschliessenden Spiel auf verkleinertem Feld mischt Petricevic ebenfalls mit. Er bewegt sich wie ein Tanzbär. Einmal fällt er nach einer misslungenen Pirouette hin und liegt wie ein Käfer auf dem Rücken. «Trainerclown» titelt Blick am Tag danach. Wenige Tage später ohrfeigt Petricevic den eigenen Physiotherapeuten bei einem Auswärtsspiel. Es ist der traurige Tiefpunkt. Am 27. April 2016 entzieht die Disziplinarkommission dem FC Biel die Lizenz. Der Klub wird in die 2. Liga regional zwangsrelegiert. Die Gegner heissen danach nicht Schalke, sondern Vicques, Franches-Montagnes und Courgenay.

Als sich im Juni die früheren Verwaltungsräte des FC Biel vor dem Wirtschaftsstrafgericht Bern verantworten müssen, weil sie den Konkurs verschleppt haben sollen, sagt ein ehemaliger Verwaltungsrat: «Ich habe Häfeli als brillanten Jongleur erlebt, als Verkäufer und als einen, der eine versteckte Agenda hatte. Er hat richtig gut gelogen.»

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