Schockdiagnose mit 54 Jahren
FCS-Held ist an Alzheimer erkrankt

Für Martin Ogg ist nichts mehr einfach. Die Diagnose Frühdemenz hat sein Leben auf den Kopf gestellt. Der heute 55-jährige Ex-Spitzensportler kämpft gegen das Vergessen. Der Fussball und seine Partnerin geben ihm Halt, wobei er diesen täglich ein bisschen mehr verliert.
Publiziert: 27.12.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2023 um 14:34 Uhr

Martin Ogg weiss noch genau, was am 15. Mai 1994 im Berner Wankdorf los war: «Wir hatten viele Chancen, um ein Tor zu erzielen. Aber der Ball wollte nicht rein. Wir hielten als Aussenseiter eine Stunde lang gut mit, aber am Ende stand es 0:4. Das war ein bisschen hart.»

Martin Ogg stand damals beim Cupfinal gegen GC auf dem Platz, war der Abwehrchef des damaligen NLB-Ligisten FC Schaffhausen. Er war mit 26 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Fussballer: «Ich hatte eine bärenstarke Saison gespielt.»

2004 beendete er seine Karriere. Er verliess den Rasen als Held, als Schaffhauser Rekordspieler. Fast 400 Mal hat er sich das FCS-Trikot übergestreift. 27 Jahre lang hielt er dem Klub die Treue, kam als Junior, stand später zweimal im Cupfinal und führte das Team in seiner letzten Saison als umsichtiger Captain zum Aufstieg in die Super League. «Eine schöne Zeit. Fussball war mein Leben.» 

Der ehemalige Fussballer Martin Ogg (55) posiert beim Stadion Breite in Schaffhausen. Hier war seine fussballerische Heimat während 27 Jahren.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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«Plötzlich waren die Gläser verschwunden. Ich sah sie einfach nicht mehr.»
Martin Ogg
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Das Langzeitgedächtnis funktioniert prima, doch Ogg, inzwischen 55-jährig, weiss nicht mehr alles. Der Kopf spielt ihm üble Streiche. In einem Kafi in der Schaffhauser Altstadt erzählt er vom Abend zuvor. «Meine Freundin und ich waren zu Hause, ich wollte uns einen Drink machen, und plötzlich waren die Gläser verschwunden. Ich sah sie einfach nicht mehr. Es war kein guter Abend.»

Im Januar 2023 erhielt Ogg die Diagnose Alzheimer, da war er 54. Er habe zuerst gar nicht realisiert, was das bedeute, oder er wollte es nicht wahrhaben. Jedenfalls dauerte es eine Weile, bis er das Verdikt annehmen konnte, das für ihn wie ein Todesurteil klang. «Es fällt mir auch heute noch schwer, das so zu akzeptieren», sagt der frühere Spitzensportler. Trotzdem möchte er darüber sprechen, auch öffentlich.

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«Ich bin hier, ich will leben und Pläne machen.»
Martin Ogg
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Man macht sich als Nichtbetroffener ein Bild von einem Demenzkranken. Man glaubt, die Situation einschätzen zu können, mutmasst, weil man Filme wie «Honig im Kopf»,«Still Alice» oder «Vergiss mein nicht» gesehen hat. Oder man hat von den Schicksalen von Menschen wie Rudi Assauer, dem legendären früheren Schalke-Manager gelesen, oder von René Weller, dem Boxer, den die Demenzkrankheit am 22. August 2023 besiegt hat. Doch Martin Ogg will seine eigene Geschichte erzählen, will sie möglichen Vorurteilen entgegenhalten: «Ich bin hier. Es gibt mich. Und ich will leben und Zukunftspläne machen.»

Zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt, hat er während eines Onlinekurses als Versicherungsfachmann, als er den Weiter-Button nicht finden konnte, der die nächste Seite hätte aufmachen sollen. Er fragte seinen Chef, was denn da falsch sei, der hat ihn schief angesehen. Immer öfter brachte er danach seine Gedanken nicht mehr zusammen. Hatte unerklärliche Aussetzer. Einmal weinte er während eines Videocalls los. Einen offensichtlichen Grund gabs dafür nicht. Sein Arbeitgeber schickte ihn zu einem Psychologen, schliesslich wurde ein Burnout diagnostiziert und Ogg in Therapie geschickt.

Martin Ogg persönlich

Am 29. August 1968 wurde Martin Ogg in Frauenfeld TG geboren. Nach dem Umzug nach Neuhausen SH stiess er als Jugendlicher zu den Junioren des FC Schaffhausen, dem er insgesamt 27 Jahre die Treue hielt. Nach zwei Cupfinal-Teilnahmen (1988 und 1994) und dem Aufstieg in die Super League (2004) beendete Ogg seine Karriere als FCS-Rekordspieler. Er ist gelernter Bauspengler, arbeitete in der Versicherungsbranche und nach Ausbruch seiner Krankheit bis zuletzt noch Teilzeit als Magazinarbeiter. Im Januar wurde bei ihm Demenz diagnostiziert. Er lebt mit seiner Freundin in Schaffhausen und hat eine 26-jährige Tochter.

Beni Soland

Am 29. August 1968 wurde Martin Ogg in Frauenfeld TG geboren. Nach dem Umzug nach Neuhausen SH stiess er als Jugendlicher zu den Junioren des FC Schaffhausen, dem er insgesamt 27 Jahre die Treue hielt. Nach zwei Cupfinal-Teilnahmen (1988 und 1994) und dem Aufstieg in die Super League (2004) beendete Ogg seine Karriere als FCS-Rekordspieler. Er ist gelernter Bauspengler, arbeitete in der Versicherungsbranche und nach Ausbruch seiner Krankheit bis zuletzt noch Teilzeit als Magazinarbeiter. Im Januar wurde bei ihm Demenz diagnostiziert. Er lebt mit seiner Freundin in Schaffhausen und hat eine 26-jährige Tochter.

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Inzwischen ist er 100 Prozent arbeitsunfähig, darf nicht mehr Auto fahren und ist auf die volle Unterstützung der IV angewiesen. Die Tage sind manchmal lang. Er würde gern Sport treiben, wie er es früher getan hat, sich aufs Bike schwingen und durch die Wälder kurven. Doch ihm fehlt die Energie, und es wäre auch zu gefährlich. Trotzdem will er positiv bleiben, setzt sich Ziele, hat gerade drei Wochen Thailand gebucht, mit Flug in der Businessklasse. «Diesen Traum wollte ich mir noch erfüllen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.» Seine Freundin fliegt mit. So ist es geplant.

Die beiden haben sich im Sommer 2023 kennengelernt. «Hallo, ich bin Martin Ogg und habe Alzheimer», so habe er sich bei ihr vorgestellt. Sie wusste also vom ersten Satz an, was los ist. Es hat trotzdem gefunkt, die beiden sind seither ein Paar, wohnen zusammen in einem Schaffhauser Quartier, das zwischen Kantonsspital und Berformance Arena liegt, dem Stadion des FC Schaffhausen, wo Ogg nach seiner Karriere einst als Stadionmanager tätig war, aber nie selber auflief, weil der FCS zu Oggs Aktivzeit noch im kleinen, aber feinen Stadion Breite gespielt hatte.

Erhöhtes Demenzrisiko bei Fussballern

Eine 2023 veröffentlichte Studie aus Schweden stützt die Vermutung, dass Kopfbälle bleibende Schäden bei Fussballern hinterlassen. Verglichen mit der Normalbevölkerung haben Profifussballer ein etwa 1,5-faches höheres Risiko von Alzheimer oder an einer vergleichbaren Krankheit betroffen zu sein.

imago/Nordphoto

Eine 2023 veröffentlichte Studie aus Schweden stützt die Vermutung, dass Kopfbälle bleibende Schäden bei Fussballern hinterlassen. Verglichen mit der Normalbevölkerung haben Profifussballer ein etwa 1,5-faches höheres Risiko von Alzheimer oder an einer vergleichbaren Krankheit betroffen zu sein.

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Gabriela Beutler ist Pflegekraft, hat Erfahrung in der Altersbetreuung und hat auch Demenzbetroffene begleitet. Sie weiss also genau, was auf sie zukommt. Und trotzdem ist jetzt alles anders. «Wenn man einen Menschen liebt, ihm nahesteht, mit ihm zusammenwohnt und zusehen muss, wie es ihm immer schlechter geht, wie er immer mehr auf Hilfe angewiesen ist, dann tut das unheimlich weh.»

Die Zeit macht ihr am meisten Sorge. Wie viel davon bleibt noch für das gemeinsame Glück? «Wir machen keinen Bogen um das Thema Tod, wir sprechen darüber, auch wenn das schwierig und tieftraurig ist.» Sie werde oft gefragt, warum sie das tue, warum sie diese Beziehung eingegangen sei, dabei sei die Antwort doch ganz einfach. «Martin wird immer Martin sein, ein Mensch, den ich liebe. Egal, wie er sich verändern wird und was noch kommt.»

Personen mit diesen Eigenschaften erkranken eher an Alzheimer
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Zusammenhang mit Charakter:Personen mit diesen Eigenschaften erkranken eher an Alzheimer

Gabriela Beutler registriert, wie ihr Liebster immer mehr Mühe hat, auch bei einfachen Dingen. Sie erklärt ihm dann alles genau, oft auch mehrmals, schreibt Dinge auf Zettelchen, die ihm helfen, wenn er Mühe mit der Orientierung oder mit der Erinnerung hat. Es gibt bessere Tage, es gibt schlechtere Tage, und es gibt die ganz miesen, wo einfach nichts geht, wo er zu Hause manchmal fragt, wo er sei.

Das Kafi in der Altstadt füllt sich langsam, es kommen Leute von der Arbeit, Martin Ogg verstummt plötzlich, schaut auf zwei Frauen, die im Eingangsbereich stehen. Sie beachten ihn nicht, trotzdem fühlt er sich bedrängt. «Die beiden da», sagt er, «die schütteln den Kopf, regen sich furchtbar auf, dass wir hier sitzen und die Plätze besetzen.» Zwischendurch hat er diese Aussetzer, Sinnestäuschungen, Augenblicke, in denen der kognitive Bezug zur Realität verschwimmt. Oder er driftet ab, vergisst das Thema, dann wird sein Blick leer und weit, seine Körperspannung fällt.

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«Die meisten, denen ich es sagte, haben gut reagiert.»
Martin Ogg
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Martin Ogg hat eine 26-jährige Tochter. Er hätte gern mehr Kontakt zu ihr, gerade jetzt. Doch seine Krankheit steht im Weg, vermutet er. Es gäbe auch ehemalige Kollegen, die sich nicht mehr melden würden, die mit dem Thema wohl überfordert seien. «Doch insgesamt bin ich damit gut gefahren, dass ich im Frühjahr nach dem ersten Schock alle informiert habe, die mir wichtig sind. Die meisten haben gut reagiert.»

Im August hat ihn ein Freund nach England zu einem Spiel in der Premier League eingeladen. Das hat ihm gefallen, das möchte er wiederholen. Fussball schauen, gibt ihm Halt, ist ihm vertraut. Kürzlich hat er sogar mal wieder mitgespielt – zum Plausch in der Halle mit Freunden. Seine Mitspieler waren begeistert, wie gut das noch alles funktioniert hat. «Wir haben toll zusammengespielt», sagt einer. «Er liess sich vielleicht öfter als früher auswechseln, war aber voll da.»

Ogg will nicht zu fest an die Zukunft denken, «lieber den Moment geniessen», die Augenblicke festhalten, bevor er sie verliert, sich verliert, bevor die Nervenzellen im Gehirn immer mehr ihre Form und Funktionen verlieren und schliesslich nach und nach zerfallen.

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«Er soll die Jahre, die ihm noch bleiben, in einem würdigen Rahmen leben können.»
Gabriela Beutler
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Er fühle sich gut nach diesem Gespräch, sagt er, bevor er den Bus in Richtung seines Quartiers nimmt. Noch geht das alles, kann er allein unterwegs sein, kennt er die Richtung, erkennt Bekannte, kann Pläne machen und darüber reden. In Asien gibt es einen interessanten Markt, da wird für menschenwürdige Pflege für Demenzkranke zu einem erschwinglichen Preis geworben. Ein Geschäftsmodell, das sich durch den Pflegenotstand in Europa entfalten konnte. Es gibt da auch von Schweizern geführte Care-Resorts.

Martin Ogg und seine Partnerin haben bereits Informationen darüber gesammelt und wollen sich das Ganze auf ihrer Thailandreise im Frühjahr genauer anschauen. Denn Gabriela Beutler weiss, wie es in den hiesigen Heimen zugeht. «Es gibt zu wenig Personal, alle sind immer gestresst.» In Thailand oder Kambodscha gäbe es die Chance für eine Eins-zu-eins-Betreuung rund um die Uhr. «Wir müssen diese Möglichkeit einfach prüfen», sagt die 54-Jährige. «Martin hat das verdient. Er soll die Jahre, die ihm noch bleiben, bestmöglich betreut werden und in einem würdigen Rahmen leben können.»

Martin Ogg lächelt, als er beim Verabschieden noch ein Geheimnis verrät: Die beiden planen die Hochzeit. Ein bisschen nervös mache ihn das schon, schmunzelt er, aber es fühle sich auch verdammt gut an: «Fast so wie damals, an diesem Sonntag in Bern, in der Garderobe vor dem Cupfinal.»


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