Foto: BENJAMIN SOLAND

Stade Lausanne Ouchy
Das verrückte Frühjahr des Challenge-League-Aufsteigers

Stade Lausanne Ouchy spielt erstmals in der Challenge League. Dabei stand der Klub Anfang Jahr vor dem Konkurs. Dann kam ein Uhren-Millionär, der Präsident von Nyon...
Publiziert: 27.06.2019 um 19:48 Uhr
Alain Kunz (Text), Benjamin Soland (Fotos)

Die Konstellation ist so speziell wie verrückt. Stade Lausanne Ouchy (SLO), der Klub, der als FC La Villa Ouchy 1897 eines der Gründungsmitglieder des Schweizerischen Fussballverbands war, steht kurz vor dem Aufstieg in die Challenge League. Und gleichzeitig ebenso kurz vor dem Konkurs. Es ist Mitte Februar 2019, «und wir wussten nicht, ob es den Klub in ein paar Tagen noch geben würde», erinnert sich Trainer Andrea Binotto.

Die hohen Ambitionen des damaligen Präsidenten Resul Sahingöz werden diesem zum Verhängnis. Der Vorstand schmeisst ihn raus, als er seine Versprechungen nicht einhält. Gut und recht. Doch wo das Geld auftreiben, um die Rückrunde zu finanzieren?

Denn es würde sich lohnen. SLO ist schon fast ein Challenge-League-Klub, hat elf Punkte Vorsprung auf Nyon und Yverdon. Binotto: «Es war eine kompli­zierte Zeit. Wir waren völlig im Ungewissen. Und ich musste mein Team so kurz vor Rückrundenstart irgendwie bei Laune halten.»

Der SLO-Retter: Vartan Sirmakes.
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Findet sich ein Retter? Man spricht von Lausanne-Besitzer INEOS, von Ex-Lausanne-Boss Alain Joseph. Doch es ist ein anderer, den niemand auf der Rechnung hatte. Vartan Sirmakes, CEO der Nobel-Uhren-Firma Franck Muller, die er zusammen mit Uhrmacher Muller 1991 gegründet hat.

Von der «Bilanz» auf 350 bis 400 Millionen geschätzt. Zum Vergleich: Sion-Boss Christian Constantin steht in der Liste der 300 reichsten Schweizer bei «bescheidenen» 250 bis 300 Millionen ...

Dass sich ein sportaffiner Millionär findet, um einen Klub zu retten, ist nichts Aussergewöhnliches. Dass es sich dabei um den Präsidenten des grössten Rivalen um den Aufstieg handelt, schon! Denn Sirmakes ist Boss von Stade Nyonnais, dem Verein, der zusammen mit Yverdon auf Platz zwei steht.

Mit Nyon wird Sirmakes nicht aufsteigen, das weiss er. SLO ist zu stark. Warum also nicht den Rivalen übernehmen? Yverdon-Präsident Mario Di Pietrantonio schäumt damals: «Da wird der Gerechtigkeit nicht Genüge getan! Ich glaube keine Sekunde an die guten Absichten von Sirmakes. Anders gesagt: Ich bin überzeugt, sein ultimatives Ziel ist nicht die Rettung von SLO.»

«Ich habe ein grosses Fussball-Herz!»

Wie auch immer. Sirmakes steigt ein. Zuerst fordert er von den Spielern eine Lohnkürzung von 20 bis 25 Prozent. Alle machen mit. Dann garantiert er das Budget bis Saisonende. SLO kann nach einer «fast perfekten Vorrunde» (Binotto) die Ernte einfahren, steigt souverän auf.

Und Sirmakes? Der sucht keine Ausflüchte. «Es sind zwei Dinge. Man muss Gelegenheiten zu nutzen wissen, wenn sie sich anbieten. Und die Gelegenheit aufzusteigen, bot sich mir. Also griff ich zu.»

Aber, und das betont er: «Sollte ein Verein mit so grosser Tradition einfach sterben? 600 Junioren – plötzlich heimatlos? Seit ich in Genf bin, und ich kam vor 45 Jahren hierher, ist Fussball ein Steckenpferd von mir. Ich habe die Zeiten von Schnyder, Pfister, Chivers und Co. bei Servette erlebt. Die klassischen Mäzene, Lavizzari und Weiller, Canal+. Und ich habe nach dem Niedergang von Servette Oscar Londono, Philippe Cravero und Aleksandar Bratic einen Job bei Franck Muller verschafft, als die keinen Lohn mehr erhielten. Bratic ist mittlerweile ein super Atelierchef geworden! Ich habe ein grosses Fussball-Herz!»

Und es sei wie so oft im Leben eine Frage der Ansicht: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Auch der Verband sah das Glas halb voll. Erstliga-Präsident Romano Clavadetscher sagte damals in «24 Heures»: «Als Erstes ist es immer gut, einen Klub mit so vielen Junioren zu retten. In den Statuten gibt es keinen Passus, der es verbietet, in einen anderen Verein zu investieren. Ja gar zwei Klubs zu präsidieren. Da gibts nur in der Swiss Football League Vorschriften.»

Die Rettung soll Sirmakes nicht viel gekostet haben: «SLO war ja nicht hoch verschuldet. Es war die Rückrunde, die eben nicht mehr finanziert war. Das tat ich und stellte den Klub wieder auf eine solide Basis.»

Heimspiele in Nyon statt Lausanne

Und nun? Im eigenen Stadion darf SLO nicht spielen. Das ist nicht Challenge-League-tauglich. Das Garderobengebäude des Sta­dions Juan-Antonio-Samaranch in Lausanne-Vidy direkt am See unten steht unter Denkmalschutz. «Bauliche Veränderungen wären kompliziert gewesen, aber nicht unmöglich», sagt Sirmakes.

«Dass wir nicht in Lausanne spielen dürfen, liegt aber vor allem an der Lichtanlage, die den Anforderungen der Liga nicht genügt. Und weil die Masten die stärkeren Lampen nicht getragen hätten, hätten wir die auch ersetzen müssen. Kostenpunkt: 800 000 Franken. Das war für uns nicht zu stemmen. Die Stadt Lausanne sagte auch Nein. Und weil die Stadt glaubte, dass die Pontaise eine Doppelbelastung nicht aushalten würde, mussten wir nach Nyon ausweichen.»

Nyon? Ins Stadion von Sirmakes’ erstem Klub? Speziell! «Es sind 35 Kilometer. Derselbe Kanton. Das ist doch nichts Spezielles. Und in Nyon hats eine der besten Licht­anlagen der Schweiz ...», sagt Sirmakes. Und lächelt.

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SLO-Trainer Binotto schaffte in 6 Jahren 3 Aufstiege

Aufstiegstrainer Andrea Binotto (48) ist ein bunter Hund: Mathe-Lehrer und Bruder von Ferrari-Rennchef Mattia. Genannt wird er: der Professor.

Mit ihm wurde alles anders: Andrea Binotto brachte SLO den Erfolg zurück.
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Plötzlich lacht er laut los. Die Frage nach seinem Auto ist es, die diesen kleinen Anfall auslöst. «Wissen Sie, ich habe es überhaupt nicht mit Autos. Ich fahre das hässlichste Auto, das es überhaupt gibt. Und mein Bruder Mattia ist Rennchef bei Ferrari. Die Leute lachen mich deswegen immer aus», sagt Andrea Binotto.

Und was fährt er? «Einen Fiat Multipla.» Geboren und aufgewachsen ist der Mann in Lausanne. Seine Familie stammt aus einer Kleinstadt in der Provinz Reggio Emilia, 50 Kilometer entfernt von der Ferrari-Zentrale in Maranello und von Parma.

Mattia ist nur ein Jahr älter als er. «Wir ticken ähnlich, wir haben die gesamte Jugend zusammen verbracht und haben engen Kontakt», sagt Andrea.

Nur spielen sehen hat Mattia, der berühmtere, das Team seines Bruders noch nie. «Der Formel-1-Kalender und jener des Fussballs sind nicht so kompatibel.»

«Ich habe Nein zur Sion-Offerte gesagt»

Als aktiver Fussballer ist Andrea keine Leuchte. Als Trainer startet er in der 4. Liga bei Concordia Lausanne. Als er 2012 SLO übernimmt, dümpelt der Verein in der 2. Liga inter umher.

Mit Binotto wird alles anders. SLO steigt auf und auf. 1. Liga classic, wie sie damals hiess. Promotion League. Und nun Challenge League. Drei Aufstiege in sechs Jahren.

Binotto macht mit seinem Genie seinem Spitznamen alle Ehre: der Professor! Kein Wunder ist der Mann begehrt.

Christian Constantin erinnert sich an jeden Trainer, der den FC Sion im Cup mal rausgeschmissen hat. Binotto gehört dazu, schafft den Coup 2017. «CC fragte mich an, Assistent von Stéphane Henchoz zu werden. Solch eine Offerte bringt einen schon ins Grübeln. Aber ich habe Nein gesagt. Ich glaube, ich hätte mich in der Haut eines Assistenten nicht wohlgefühlt.»

So bleibt er Trainer bei SLO und nimmt sich ein einjähriges Sabbatical von seinem Job. Seit 16 Jahren unterrichtet er nämlich im Gymnasium de la Cité in Lausanne Mathematik. Mit ungewöhnlichen Lehrmethoden. Nie sieht man ihn mit einem Buch oder einem Stapel Papier unter dem Arm, bei ihm ist Improvisation alles.

«Deshalb gehe ich ein bisschen als Karikatur durch», sagte er einst in «24 Heures», «aber ich verfolge ein klares Ziel damit, keine Lehrmittel mit mir mitzuschleppen: Ich versuche, Routine zu verhindern. Denn die droht permanent. Wenn ich die Kreide in die Hand nehme, frage ich mich, wie ich das Thema vermitteln will. Das zwingt mich dazu, dies jedes Mal auf eine neue Art und Weise zu machen. Das stimuliert mich. Und auch meine Schüler, denke ich.» Und seine Fuss­baller offenbar auch.

SLO: Ein Klub der ersten Stunde

Der FC La Villa Ouchy wird 1895 gegründet. Wie viele Teams zwischen Lausanne und Genf Ende des 19. Jahrhunderts entsteht er, weil sich angelsächsische Schüler und Lehrer von englischen Privatschulen zusammenfinden, die eine Mischung aus Fussball und Rugby spielen.

Im gleichen Jahr wird der Schweizerische Fussball­verband ins Leben gerufen mit den Gründungsmitgliedern Lausanne Football and Cricket Club, FC La Villa Ouchy, FC Neuchâtel Rovers, FC Yverdon, FC Excelsior Zürich, FC St. Gallen, Grasshopper Club Zürich, FC Basel, Anglo-American Club Zürich, FC Châtelaine Genève sowie Villa Longchamp Lausanne.

1897/98 spielt der Klub in der Serie A, steigt 1899 in die Serie B ab. 1916 verschwindet er, wird 1918 unter dem Namen FC Ouchy Olympic Lausanne wiedergegründet. Er spielt von 1922 bis 1944 in der 1. Liga, wird dann bis in die 4. Liga durchgereicht und steigt 1981 in die 2. Liga auf, wo er bis zur Fusion mit dem FC Stade Lausanne 2000 bleibt. 2014 steigt der Klub in die 1. Liga auf, 2017 in die Promotion League und nun 2019 in die Challenge League.

Das Stade de Vidy direkt am Genfersee wird 1923 eröffnet. Mehrmals will man das Stadiongebäude abreissen, entscheidet sich dann aber immer für eine Renovation. Die umfangreichste zwischen 1998 und 2001. Danach gibt man ihm den Namen Stade Juan-Antonio-Samaranch, nach dem IOC-Präsidenten, der in diesem Jahr nach 21 Jahren abtrat. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.

Ein Bild aus der 1. Liga: Der FC Ouchy Olympic Lausanne 1922.
zVg

Der FC La Villa Ouchy wird 1895 gegründet. Wie viele Teams zwischen Lausanne und Genf Ende des 19. Jahrhunderts entsteht er, weil sich angelsächsische Schüler und Lehrer von englischen Privatschulen zusammenfinden, die eine Mischung aus Fussball und Rugby spielen.

Im gleichen Jahr wird der Schweizerische Fussball­verband ins Leben gerufen mit den Gründungsmitgliedern Lausanne Football and Cricket Club, FC La Villa Ouchy, FC Neuchâtel Rovers, FC Yverdon, FC Excelsior Zürich, FC St. Gallen, Grasshopper Club Zürich, FC Basel, Anglo-American Club Zürich, FC Châtelaine Genève sowie Villa Longchamp Lausanne.

1897/98 spielt der Klub in der Serie A, steigt 1899 in die Serie B ab. 1916 verschwindet er, wird 1918 unter dem Namen FC Ouchy Olympic Lausanne wiedergegründet. Er spielt von 1922 bis 1944 in der 1. Liga, wird dann bis in die 4. Liga durchgereicht und steigt 1981 in die 2. Liga auf, wo er bis zur Fusion mit dem FC Stade Lausanne 2000 bleibt. 2014 steigt der Klub in die 1. Liga auf, 2017 in die Promotion League und nun 2019 in die Challenge League.

Das Stade de Vidy direkt am Genfersee wird 1923 eröffnet. Mehrmals will man das Stadiongebäude abreissen, entscheidet sich dann aber immer für eine Renovation. Die umfangreichste zwischen 1998 und 2001. Danach gibt man ihm den Namen Stade Juan-Antonio-Samaranch, nach dem IOC-Präsidenten, der in diesem Jahr nach 21 Jahren abtrat. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.

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TD
PT
1
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6
8
14
2
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6
2
10
3
Neuchatel Xamax FCS
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6
0
10
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6
2
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5
AC Bellinzona
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6
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8
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FC Vaduz
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6
1
7
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6
-4
7
9
FC Stade-Lausanne-Ouchy
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-1
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