Vom Abgrund zurück auf die Fussballbühne
Das EM-Märchen um Slowenien-Star Josip Ilicic

Josip Ilicic, der slowenische Fussballstar, feiert ein emotionales Comeback bei der EM nach seinem Kampf mit psychischen Problemen.
Publiziert: 01.07.2024 um 08:07 Uhr
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Aktualisiert: 01.07.2024 um 14:28 Uhr
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Carlo Emanuele FrezzaReporter Fussball

«Es ist schwierig, meine Emotionen zu beschreiben.» Die Worte sind von Josip Ilicic (36). Der Slowene ist sichtlich gerührt, als er nach dem letzten Gruppenspiel gegen England mit den Journalisten spricht. Nicht nur, weil sich seine Nation erstmals in der Geschichte für die K.-o.-Phase der EM qualifiziert hat. Nein, vielmehr aus persönlichen Gründen.

Vor ein paar Jahren erschien Ilicics Karriere wegen psychischer Probleme als beendet. Umso überraschender war sein Aufgebot für die EM in Deutschland – nach über drei Jahren ohne Länderspiel. Und als wäre das nicht schon schön genug, feierte er gegen die «Three Lions» sein Debüt an einem grossen Turnier.

Ilicic war tief gefallen

«Als ich das Spielfeld betrat, gab es einen englischen Spieler, der mir ein Kompliment machte», verriet Ilicic gegenüber Sky Sport. «Er sagte mir, dass er mich für meinen durchgemachten Weg sehr respektiert, was mich glücklich macht.» Den Namen des Spielers wollte er nicht preisgeben. Nur so viel: «Ein Mittelfeldspieler von Arsenal.» Es muss also Declan Rice sein.

Emotionaler Moment: Josip Ilicic kommt zu seinem EM-Debüt.
Foto: Getty Images
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Ilicics Geschichte ist um die Welt gegangen. Als Anfang 2020 das Coronavirus grassiert, steht er bei Atalanta unter Vertrag und ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. In bester Erinnerung sind seine vier Tore beim 4:3-Sieg von Atalanta in Valencia im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League. Es war der 10. März 2020.

Coronavirus als Auslöser

Danach ist für «Il Professore», wie die Atalanta-Fans Ilicic nennen, nichts mehr wie zuvor. Bergamo gilt als Epizentrum der Seuche. Abgeschottet von seiner Familie in Slowenien sieht er, wie Militärtransporter die Leichen aus der Stadt transportieren, was in ihm alte Wunden aufreisst. Solche aus der Kindheit, als er mit seiner Familie während des Jugoslawien-Kriegs aus Bosnien nach Slowenien flüchtete und dabei seinen Vater verlor.

Ilicic fällt in eine Depression. «Mit jedem Tag gehts tiefer», schildert die «Gazzetta dello Sport». Als die Grenzen ein erstes Mal öffnen, geht er sofort zu seiner Familie in Slowenien. In Maribor tankt er neue Kraft und meldet sich wenige Monate später, als die nationalen Ligen im Spätsommer ihren Betrieb aufnehmen, zurück.

Das märchenhafte Comeback

Die Fussballgemeinde freuts. Doch Ilicic ist nicht mehr derselbe. Die inneren Dämonen kehren bald einmal zurück. Wieder flüchtet er nach Slowenien. Diesmal scheint es endgültig. Er gibt diesmal auch mental auf. Kurze Zeit später löst er einvernehmlich seinen Vertrag bei Atalanta auf. Die Sorgen sind gross.

Im Herbst 2022 bietet ihm der Klub aus Maribor an, wieder mit dem Fussballspielen zu beginnen. Er unterschreibt zwar, will aber nichts überstürzen. In erster Linie legt er seinen Fokus darauf, seine mentale Gesundheit wieder ins Lot zu bringen. Was ihm fern vom medialen Rummel tatsächlich gelingt. Nach mehreren Monaten nur mit Trainingseinheiten kommt er in der jüngst abgeschlossenen Saison regelmässig zum Einsatz. Und sammelt dabei fleissig Skorerpunkte. Acht Tore und elf Assists sind es am Ende.

Das Spiel der Spiele steht bevor

Ilicics Leistungen sind auch Nationaltrainer Matjaz Kek (62) nicht entgangen. Anfang des Jahrs kommt es zu ersten Gesprächen über eine Rückkehr in die Nationalmannschaft. Im Mai folgt dann die Berufung in den vorläufigen EM-Kader. Und in einem Testspiel gegen Armenien hämmert er nur drei Minuten nach seiner Einwechslung direkt mal die Kugel ins Netz.

Es war der ultimative Beweis dafür, dass der Offensivkünstler Ilicic zurück ist. Endlich. Schon immer träumte er davon, mit seiner Nationalmannschaft an einer Endrunde teilzunehmen. Das hat er sich als 36-Jähriger doch noch erfüllen können. Und mit dem Achtelfinal gegen Portugal steht ihm nun erst noch das bedeutendste Spiel der slowenischen Geschichte bevor. Egal, wie es ausgeht, den wichtigsten Erfolg hat er längst gefeiert: Er lächelt wieder. 

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