Foto: TOTO MARTI

Ex-Nati-Star Johan Djourou tritt zurück
«Mein Bauch sagte mir, dass die Zeit gekommen ist»

Mit 34 ist Schluss! Ex-Nati-Verteidiger Johan Djourou beendet nach einer letzten Saison in Dänemark seine Profi-Karriere. Im Exklusiv-Interview blickt der 76-fache Internationale zurück auf seine Stationen – und er spricht Klartext zu seiner Zeit in Hamburg.
Publiziert: 04.06.2021 um 17:08 Uhr
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Aktualisiert: 04.06.2021 um 17:26 Uhr
Johan Djourou gibt sein Debüt für die Nati im März 2006 in einem Freundschaftsspiel gegen Schottland.
Foto: AP
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Ugo Curty

Blick: Johan Djourou, wann haben Sie beschlossen, Ihre Fussballschuhe an den Nagel zu hängen?
Johan Djourou:
Ich habe sehr, sehr lange überlegt. Diese Zeit war intensiv, weil ich schliesslich eine schwierige Entscheidung treffen musste. Ich war fast mein ganzes Leben lang Fussballer! Ich hatte Angst davor, was nach meiner Karriere kommen würde, ich zweifelte. Ich habe mir eine Menge Fragen gestellt. Doch dann machte es irgendwann klick. Und ich fühlte in meinem Bauch, dass die Zeit gekommen ist.

Hatten Sie Angst davor, nach der Karriere weniger Wertschätzung zu erfahren?
Nein, denn die Fans schätzten nicht nur mich als Spieler, sondern auch meine Persönlichkeit. Auf der Strasse wurde ich von Leuten angesprochen, die nichts über Fussball wussten. Sie mochten die Art, wie ich aussah. Und privat ist meine Basis immer die gleiche gewesen: Meine Familie und Freunde kennen mich schon seit meiner Kindheit. Ich träumte früher davon, Fussballer zu werden, aber auch Rapper, Astronaut oder Basketballer konnte ich mir vorstellen. Dieser kleine Junge ist immer noch in mir.

Was denken Sie, wird den Schweizern von Ihrer Karriere in Erinnerung bleiben? Was wird von Johan Djourou bleiben?
Ich denke, bleiben wird mein Mut und meine Willenskraft. Man muss sich trauen, im Alter von 16 Jahren nach London zu gehen, ohne seine Familie. Wie viele Experten haben mich damals kritisiert? Dann ist da noch die Tatsache, dass ich keinen Titel gewonnen habe. Natürlich sind Trophäen wichtig, aber vor allem bin ich stolz darauf, dass ich mich als Spieler und als Mensch immer weiterentwickelt habe. Ob man einen Pokal gewinnt oder nicht – manchmal kommt es halt auf kleine Details an, wie unser Champions-League-Final gegen Barcelona in Paris 2006 gezeigt hat (1:2). Auch in dieser Saison können wir uns am Beispiel von Chelsea orientieren. Frank Lampard hat zwar nichts gewonnen, aber auch er hatte seinen Anteil am Sieg der Blues.

Wenn Sie den 16-jährigen Johan Djourou sehen würden, der jetzt seine Koffer für London packt, was würden Sie zu ihm sagen?
«Viel Glück!» Denn zu oft vergessen wir, dass die Karriere und das Leben im Allgemeinen uns immer wieder überraschen können. Die Realität ist mehr als die Fiktion. Ich würde ihm auch sagen, dass er an seinem Traum festhalten und nicht aufgeben soll. Als ich 16 war, wusste ich nicht, was mit mir passieren würde.

Welchen Rat hätten Sie damals gerne bekommen?
(Überlegt.) Dass Fehler menschlich sind. Meine und jene von anderen. Fehler ermöglichen einem, Fortschritte zu machen. In einer Mannschaftssportart, in einem solchen Wettbewerbsumfeld, ist es nicht leicht, Fehltritte zu akzeptieren. Wir neigen dazu, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Teams.

Also vergessen wir das menschliche Element?
Viel zu oft, ja! Das ist ein soziales Problem. Athleten sind leichte Ziele. Wir haben ein grosses Einkommen, also müssen wir gut in unserem Job sein. Punkt. Aber hinter dem Spieler steht ein Mensch, der auch ein Leben hat, mit Freuden, persönlichen Sorgen, Emotionen, einer Familie, und so weiter.

Man hat das kürzlich auch bei Tennis-Star Naomi Osaka gesehen. Immer mehr Menschen sprechen über die mentale Gesundheit von Sportlern. Haben Sie diese Veränderung zwischen dem Beginn und dem Ende Ihrer Karriere gespürt?
Ja, das habe ich. Ich war schon immer sehr nah an meinen Gefühlen. Aber zu jener Zeit wurde das als Schwäche wahrgenommen. Es war schwierig, zu sagen, dass man zum Beispiel vor einem Spiel Angst hatte oder gestresst war. Aber diese Angst ist völlig normal, sie ist menschlich. Glücklicherweise ändert sich die allgemeine Einstellung. Die Menschen, die Gesellschaft und die Medien beginnen, zu verstehen.

Ist es in der Spielergarderobe immer noch schwierig, diese verletzliche Seite zu zeigen? Gibt es so etwas wie ein Gebot, stark zu sein?
In der Welt des Sports im Allgemeinen, bei Männern und Frauen gleichermassen, gibt es dieses Bedürfnis, sich makellos zu zeigen, sein Gesicht zu wahren. Ganz egal, was passiert. Doch die sozialen Netzwerke haben einigen eine Plattform geboten, sich zu öffnen und sich zu äussern.

Es wird auch zunehmend akzeptiert, dass Sportler eigenständig kommunizieren und sozial engagiert sind.
Zu lange wurden Sportler als dumme Menschen gesehen, die auf ihre körperlichen Fähigkeiten beschränkt sind. Abgesehen davon mussten wir über soziale Themen, Politik und Gesundheitsthemen schweigen. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Wir sind ein Spiegelbild der Gesellschaft – wie zum Beispiel in letzter Zeit mit den Diskussionen und das Bewusstsein um Rassismus.

Ist das für Sie wichtig?
Ich bin mir immer treu geblieben. Ich habe immer viele Fragen gestellt und wollte die Dinge verstehen. Wenn ich in einer Situation war, die ich für unfair hielt, habe ich nicht geschwiegen. Leider habe ich dafür manchmal den Preis bezahlt. Etwa, als ich mein Captainamt in Hamburg verloren habe (Ende 2016, d. Red.). Ich war immer offen, doch der Trainer (Markus Gisdol, d. Red.) hat das nicht erwidert. Sie haben versucht, mich als Bösewicht in der Geschichte darzustellen. Dem Trainer gefiel es nicht, dass ich immer eine Antwort hatte, dass ich versuchte, zu verstehen, warum. All das hätte vermieden werden können.

Im Alter von 16 Jahren geht Johan Djourou nach London, zu Arsenal. Unter Trainer Arsène Wenger bekommt er seine Chance: Er bestreitet 144 Spiele für die Gunners (zwischen 2004 und 2014).
Foto: REUTERS
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Bei Ihrem letzten Verein, Nordsjælland in Dänemark, konnte jeder demokratisch über alles abstimmen, was die Mannschaft betraf. Wird die Meinung der Spieler an anderer Stelle zu wenig berücksichtigt?
Die dänische Erfahrung war fantastisch. Das hat meinen Glauben an den Fussball wiederhergestellt. Nach Sion und Xamax dachte ich, es wäre vielleicht an der Zeit, aufzuhören. Ich bin trotzdem nach Nordsjælland gefahren, um zu sehen, wie es dort ist. Nach drei Tagen war ich wieder in der Spur. Der Austausch, die Demokratie, wo jeder den Platz hat, seine Meinung zu sagen, zu argumentieren, zu diskutieren. Das ist fantastisch. In diesem Zusammenhang ist Kritik nur konstruktiv. Das habe ich noch nie gesehen!

Was ist die Rolle des Trainers in diesem Modell?
Alles! Weil er derjenige ist, der dieses System eingeführt hat. Es ist eine Philosophie, die über Ergebnisse hinausgeht und von der Fussballakademie bis zu den Profis gilt, für Männer und Frauen. Das ist innovativ. Alles ist transparenter und gesünder. Der Trainer hat etwas von seiner Macht an die Gruppe abgegeben und wir geben sie ihm zurück. Natürlich kämpft man für so jemanden dann auf dem Platz.

Ist diese demokratische Vision die Zukunft des Fussballs?
Davon bin ich überzeugt. Es ist der beste Weg, eine Gruppe von Spielern zu vereinen, unabhängig von Egos, Generationen, Gehaltsunterschieden, Hierarchien, Kulturen und so weiter. Ein 16-Jähriger, der noch nie zuvor auf höchster Ebene gespielt hat, sollte sich genauso gut ausdrücken können wie der internationale Star der Mannschaft. Seine Stimme hat den gleichen Wert. Alle setzen sich für ein gemeinsames Ziel ein. Das Kollektiv steht an erster Stelle.

Das Gemeinwohl steht über allem.
Das ist ein bisschen so. Zu oft denken wir im Fussball, dass die Person mit der meisten Macht, wie der Trainer oder der Sportdirektor, mehr weiss als die anderen. Aber das ist nicht immer der Fall. Es ist gefährlich, wenn eine Person einstimmige Entscheidungen für alle trifft.

Wie in einer Diktatur?
In einer Garderobe kann Diktatur eine oder zwei Spielzeiten lang funktionieren. Aber auf Dauer, für das Leben der Gruppe, ist das untragbar. Wenn einige Leute anfangen, sich schlecht zu fühlen und beginnen, zu streiten, wird die Rebellion wachsen und das Team wird auseinanderbrechen.

Sie haben bei Arsenal lange unter Arsène Wenger gespielt. Hatte er da schon diese egalitäre Vision?
Alles war weniger offen und ausdiskutiert als bei Nordsjælland, aber er zeigte ebenfalls diesen Wunsch, jeden zu integrieren, den Spielern eine echte Chance zu geben. Unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Gehalt. In diesem Sinne war er ein Kommunist, weil alle gleich behandelt wurden.

Haben diese Visionen einen Platz in der sehr kapitalistischen Welt des Fussballs?
Der Durst nach sofortigen Ergebnissen führt zu übermässigen Ausgaben. Es gibt keine Garantie, dass man diese auch wieder mal zurückbekommt. Man muss sich nur die Anzahl der Vereine ansehen, die sich verschuldet haben, um Titel zu gewinnen oder sich für Europa zu qualifizieren. Die Pandemie hat da nicht gerade geholfen. Das einzig praktikable Modell besteht darin, Spieler auszubilden, eine starke spielerische Identität zu haben und mit Transfers Geld zu verdienen. Man muss sich zum Beispiel nur Atalanta Bergamo anschauen.

Bergamo ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Ja, die europäischen Führungskräfte müssen das erkennen und nachhaltigere Systeme einführen.

Das Scheitern der Super League ist ein gutes Beispiel.
Das ist ein schwieriges Thema. Es war schön, diese Mobilisierung der Bevölkerung zu sehen. Die Fans haben echte Macht. Fussball ist und sollte das Spiel des Volkes bleiben. Aber der Hauptgrund, warum die Super League nicht vorankommt, ist rein wirtschaftlich. Mit den TV-Rechten, den Sponsoren und den Fans hat das nichts zu tun. Am Ende des Tages ist es nur ein Geschäft mit internationalen Ablegern. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass die Stadien leer geblieben wären, wenn die Super League zustande gekommen wäre. Ganz zu schweigen von den Einschaltquoten.

Persönlich

Johan Djourou, 34

Geboren am 18. Januar 1987 in Abidjan (Côte d'Ivoire).

Innenverteidiger, Rechtshänder, 1,92 m gross.

In der Nationalmannschaft:

76 Länderspiele für die Schweiz zwischen 2006 und 2018 (2 Tore).

Auf Vereinsebene:

  • Arsenal (2004 bis 2014, 144 Spiele)
    2007: Ausleihe nach Birmingham (13)
    2013: Ausleihe nach Hannover (16)
    2013 bis 2014: Ausleihe nach Hamburg (24)
  • Hamburg (2014 bis 2017, 78 Spiele)
  • Antalyaspor (2017 bis 2018, 18 Spiele)
  • SPAL Ferrara (2018 bis 2019, 6 Spiele)
  • FC Sion (2020, 2 Spiele)
  • Neuchâtel Xamax (2020, 5 Spiele)
  • FC Nordsjælland (2020 bis 2021, 12 Spiele)

Johan Djourou, 34

Geboren am 18. Januar 1987 in Abidjan (Côte d'Ivoire).

Innenverteidiger, Rechtshänder, 1,92 m gross.

In der Nationalmannschaft:

76 Länderspiele für die Schweiz zwischen 2006 und 2018 (2 Tore).

Auf Vereinsebene:

  • Arsenal (2004 bis 2014, 144 Spiele)
    2007: Ausleihe nach Birmingham (13)
    2013: Ausleihe nach Hannover (16)
    2013 bis 2014: Ausleihe nach Hamburg (24)
  • Hamburg (2014 bis 2017, 78 Spiele)
  • Antalyaspor (2017 bis 2018, 18 Spiele)
  • SPAL Ferrara (2018 bis 2019, 6 Spiele)
  • FC Sion (2020, 2 Spiele)
  • Neuchâtel Xamax (2020, 5 Spiele)
  • FC Nordsjælland (2020 bis 2021, 12 Spiele)
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