Keine Ich-, sondern eine Wir-AG
Dickenmann nimmt das Projekt St. Gallen unter die Lupe

St. Gallen sorgt mit dem Auftaktsieg gegen Meister Servette für das erste Ausrufezeichen der Saison in der Women's Super League. Aber kommt dieser Sieg wirklich überraschend? Ein Besuch bei der sportlichen Führung in St. Gallen.
Publiziert: 16.08.2024 um 20:00 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2024 um 07:58 Uhr
Lara Dickenmann

Stillstand ist Rückschritt, könnte ein Lebensmotto von Marisa Wunderlin (37) sein. Verbringt man Zeit mit ihr, wird man automatisch von ihrer positiven Energie angesteckt und kriegt Lust, mit anzupacken. Über YB, Lyon, den FC Zürich, Magglingen, der Challenge League und dem A-Nationalteam der Frauen geht sie Schritt für Schritt ihren Weg. Über Arbeit und Engagement, Wissen und Gemeinschaft. Sie geht voran, zieht andere mit, verkörpert den Zeitgeist des Schweizer Frauenfussballs wie wenig andere – wobei die Sinnhaftigkeit sie antreibt, nicht ihr persönlicher Erfolg.

Von aussen stellt man sich schnell die Frage: Wie schafft sie das alles? Antworten findet man im Kybunpark oder im Espenmoos, wo Wunderlin täglich zu finden und in ihrem Element ist. Beim FCSG ist allen klar, worum es geht: bodenständige, widerstandsfähige Arbeit für die Mädchen und Frauen in der Region. Und um Effizienz – im Frauenfussball noch mehr als bei den Männern. Denn die Ressourcen sind knapp. 

Sportchefinnen als Nebenjob

Die Arbeitsatmosphäre im Kybunpark ist freundlich, einladend, familiär. Die sportliche Führung besteht neben Wunderlin aus den beiden Sportchefinnen Sandra Egger und Patricia Willi, die beide hauptamtlich anderen Berufen nachgehen, weswegen am Mittwoch, dem einzigen Tag, wo alle vor Ort sind, es jeweils keine Zeit zu verschwenden gilt. Aufgaben und Rollen sind verteilt, Diskussionen werden vertraut, offen, aber auch kritisch geführt. Das geht, weil das «Warum» für alle dasselbe ist.

St. Gallens Cheftrainer Marisa Wunderlin.
Foto: freshfocus
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Vieles haben sie in den letzten drei Jahren auf und neben dem Platz gemeinsam auf die Beine gestellt. Die Frauen sind heute in die Vereinsstruktur der FC St. Gallen AG integriert, was dazu geführt hat, dass die Wege kürzer und die Wertschätzung grösser geworden sind. Mit dem Einzug in den Cupfinal 2023 und nun dem Auftaktsieg gegen Servette trägt die Arbeit auch auf dem Platz erste Früchte. Und mit Larina Baumann und Nadine Böhi haben zwei St. Gallerinnen unter Pia Sundhage den Sprung in die A-Nati geschafft.

Spielerinnen entscheiden mit

Es sind die Früchte einer strukturierten, harten Arbeit, bei der die Menschen im Zentrum stehen und flache Hierarchien herrschen. Es kann hier schon mal vorkommen, dass die Spielerinnen entscheiden, welches Pressing am Wochenende gespielt wird. «Wenn sie in den Prozess integriert sind, wird es zu ihrem Eigenen», sagt Wunderlin. Die Spielerinnen sind nicht da, um zu konsumieren, sondern beteiligen sich aktiv am Prozess der Weiterentwicklung, sei das ihr persönlicher oder der des Teams.

Spielerinnen Vertrauen geben, nicht die Allwissende spielen – gezielt haben Wunderlin und ihr Team eine Kultur aufgebaut, in der man es sich verdienen muss, Teil davon sein zu dürfen. Nicht jede passt hierher, aber hat man einmal verstanden, worum es geht, trägt jede dazu bei, dass das Ganze grösser ist als die Summe seiner Teile.

Die ehemalige Nati-Spielerin und gebürtige Altstätterin Jana Brunner (27) ist überzeugt vom Weg: «Es wird stark auf die individuelle Entwicklung jeder Einzelnen geschaut, an Stärken und Defiziten gearbeitet. So entwickelt sich jede weiter und so können wir als Team die nächsten Schritte gehen.» Brunner gehört dank ihrer Erfahrung zu den Führungsspielerinnen, die ein wichtiger Teil der Entwicklung sind. Im besten Fussballalter tragen sie die von der sportlichen Führung vorgelebte Kultur auf den Platz und in die Kabine. Schaut man dem Team bei der Arbeit zu, sind Struktur, Einsatz und Gemeinschaft als Fundament des Zusammenspiels sofort erkennbar. 

Ersichtlich ist aber auch, dass sie sich nicht auf dem bereits Erreichten ausruhen wollen. Dies ist erst der Anfang. Die ersten Früchte können zwar geerntet werden, aber im Zentrum steht weiterhin das Säen. Angespornt durch die persönliche Weiterentwicklung und dem gemeinsamen «Warum» wird die Integration im Verein weiter vorangetrieben. Das Ziel ihres Schaffens ist es, dass der Frauenfussball einmal auf allen Ebenen vertreten und dieser beim FC St. Gallen nicht mehr wegzudenken ist. 

Beeindruckt und inspiriert verlasse ich die grün-weisse Welt. Ich frage mich, wohin dieses Projekt noch führen wird. Und zu was es in der Lage ist, für sich und den Schweizer Fussball zu erreichen. Verdient hätten sie alles.

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Axa Women’s Super League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
FC Zürich
FC Zürich
5
9
13
2
Servette FC Chenois
Servette FC Chenois
5
8
12
3
Grasshopper Zürich
Grasshopper Zürich
5
11
11
4
FC St. Gallen 1879
FC St. Gallen 1879
5
8
10
5
FC Basel
FC Basel
5
7
9
6
BSC Young Boys
BSC Young Boys
5
2
7
7
FC Aarau
FC Aarau
5
-8
4
8
FC Rapperswil-Jona
FC Rapperswil-Jona
5
-11
3
9
FC Luzern
FC Luzern
5
-7
3
10
Frauenteam Thun Berner Oberland
Frauenteam Thun Berner Oberland
5
-19
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