Gastkolumne von Ludovic Magnin
«Wir bekamen Morddrohungen»

In emotionalen Worten beschreibt Ludovic Magnin im BLICK den Türkei-Skandal von 2005.
Publiziert: 16.11.2020 um 11:07 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2020 um 13:07 Uhr
Ludovic Magnin

«Das Spiel in der Türkei begann für mich in Stuttgart. Dort musste ich bei Giovanni Trapattoni betteln, dass ich mit nach Istanbul darf. Ich war gesperrt und wollte mit. Hätte mich der Mister nicht freigegeben, hätte ich meine Ruhe in Deutschland gehabt.

Es sollte anders kommen. Ich durfte im Cockpit landen und als wir in Istanbul auf den Boden kamen, standen da schon die Gepäckträger mit Schildern wie «Welcome to Hell». Da lachte ich noch, dann drei Tage lang nicht mehr.

Eier und Steine an den Bus

Ich stand mit Alex Frei am Zollschalter. Mindestens zwei Stunden lang. Bei ihm wechselte der Zollbeamte 15 Mal, bei mir drei oder vier Mal. Dann warteten wir Stunden auf die Gepäckstücke. Und als wir im Bus sassen, schmissen wir uns alle in den Mittelgang, weil Eier und Steine und was weiss ich in unsere Richtung flog. Wir hatten riesige Angst, dass sie den Bus stürmen, ich weiss, als ob es gestern gewesen wäre. Im Hotel habe ich mit meinem Zimmerpartner Raphael Wicky x-fach kontrolliert, ob die Türen richtig geschlossen sind. Wir überlegten, einen Schrank vor die Tür zu stellen.

Ludovic Magnin, Köbi Kuhn, Michel Pont, Raphael Wicky und Johann Vogel (v.l.) feiern nach dem Sieg in der Türkei.
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Dann kam das Spiel. Ich wollte im Stadion auf meinen Platz, aber die Sicherheitsleute sagten, ich dürfe nicht. Zu gefährlich. Ich schaute die ganze Partie in den Katakomben auf einem winzigen Fernseher des ZDF. Wir siegten durch ein grosses Spiel und ich gab dem ZDF ein Interview, als hinter mir die Schlägerei begann. Der Reporter gab zurück nach Deutschland, weil ein Kameramann geschlagen worden war. Weil er die Schlägerei filmen wollte.

Tränen bei Stéphane Grichting

Ich hastete zur Kabine, vor meinen Augen ist immer noch die Schiri-Türe, in 1000 Teile zerschlagen. Dann kam Stéphane Grichting mit Tränen in den Augen. Ich sah, dass er nur noch Blut pinkelte nach einem Schlag in den Unterleib … Ich wusste nicht mehr, was gerade passiert.

Irgendwie schafften wir es dann ins Hotel. Und feierten ohne Ende, sogar in Lederhosen. Dieses Bild hängt noch heute bei meinen Eltern an der Tür. Weil es mich mit wichtigen Leuten zeigt. Ich glaube, ich hätte nie Lederhosen angezogen sonst. Aber wir brauchten nach drei Tagen ohne Lachen ein Ventil. Wir mussten den Druck und die Wut im Bauch rauslassen. Wir tranken bis weit nach Mitternacht.

Morddrohungen gegen Magnin

Beim Rückflug war dann plötzlich der Schweizer Botschafter am Flughafen. Jetzt, wo wir qualifiziert waren. Dabei hätten wir ihn vorher gebraucht. Bei der Ankunft. Doch trotzdem waren wir froh, ohne Zoll und so nun ausreisen zu können.

Ich reiste mit Marco Streller über Zürich weiter nach Stuttgart. Wir dachten, der Wahnsinn sei vorbei. Als wir aber in Stuttgart das Gepäck holen, kommen dort türkische Arbeiter zu uns. Und sagen: Wir wissen, wo ihr in Stuttgart lebt, wir sind noch nicht fertig mit euch.

In der Tat war es so, dass wir nach einem Training ins Büro des Sportchefs mussten. Er sagte, es gebe Morddrohungen gegen uns. Ich hatte zuhause danach nur noch die Alarm-Anlage im Blick, ob sich auch wirklich niemand meiner Frau und meinen Kindern nähert. Es war nicht angenehm. Es ist eine Sache, die ich nie vergessen werden. Ich werde mich mein Leben lang daran erinnern.»

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