Ist Schalke vor seinen Spielern eingeknickt?
9:11
«BLICK Kick» mit Marcel Koller:Ist Schalke vor seinen Spielern eingeknickt?

Gross nach Schalke-Aus
«Die grösste Enttäuschung meiner Karriere»

Offen und ehrlich bis zum Schluss: 401 Minuten nach seiner Entlassung spricht Christian Gross (66) im BLICK über seine Enttäuschung auf Schalke, die Freistellung und die Spieler-Meuterei.
Publiziert: 28.02.2021 um 18:00 Uhr
|
Aktualisiert: 28.02.2021 um 18:15 Uhr
Interview: Andreas Böni

Es ist eine kurze Nacht für Christian Gross. Der 66-jährige Trainer kehrt am Samstag mit Schalke nach dem 1:5 in Stuttgart nach Gelsenkirchen zurück und schläft im Stays Design Hotel nahe der Veltins Arena. Es ist morgens um 8.30 Uhr, als sein Handy klingelt.

Am anderen Ende der Leitung ist Sportvorstand Jochen Schneider. Er teilt Gross mit, dass der Aufsichtsrat von Schalke ihn freigestellt hat. Wie auch Schneider selbst muss der Trainer gehen. Zusätzlich werden Co-Trainer Rainer Widmayer, Konditionstrainer Werner Leuthard und Teamkoordinator Sascha Riether beurlaubt.

Fünfzig Minuten nach seiner Freistellung, morgens um 9.20 Uhr, verlässt Gross sein Hotel, läuft über die Brücke ins Stadion und räumt sein Trainer-Büro.

Christian Gross spricht im BLICK-Interview über seine Entlassung.
Foto: imago images/Sportfoto Rudel
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Um 15.11 Uhr telefoniert er mit BLICK, gibt ein Interview über seiner Freistellung.

BLICK: Herr Gross, wie geht es Ihnen so kurz nach diesem Hammerschlag?
Christian Gross:
Ich bin sehr enttäuscht. Zumal ich als Trainer immer noch das Gefühl habe, dass sich die Mannschaft entwickelt. Dass wir sportlich auf dem richtigen Weg waren und Fortschritte machen. Und ich nach wie vor überzeugt bin, dass Schalke den Abstieg noch verhindern kann.

Das ist optimistisch nach einem 1:5 in Stuttgart.
Ja, aber selbst in Stuttgart, wo das Resultat so brutal ausfiel, spielten wir phasenweise in der zweiten Halbzeit richtig gut. Wenn wir den Penalty zum 3:2 versenken, bin ich überzeugt, dass wir noch einen Punkt geholt hätten. Aber eben, irgendwie passt alles zusammen. Wir machten immer wieder zu viele Eigenfehler, parallel dazu zog es sich mit dem Verletztenpech wie ein roter Faden durch: Wenn Torwart Ralf Fährmann sich verletzte, fehlte auch die Nummer 2 Frederik Rönnow und so weiter.

Über Ihre Entlassung wurde am Sonntag mitten in der Nacht entschieden. Haben Sie es schon in der Nacht erfahren?
Nein, am Sonntagmorgen per Telefon von Jochen Schneider, der ja auch freigestellt wurde. Es war der Abschluss von zwei unglaublichen Tagen.

Am Freitag auf den Samstag berichtete «Sky», dass die Führungsspieler bei Schneider und Co Ihre Entlassung gefordert hatten.
Diese Meldung von der Revolte, vom Aufstand oder von was auch immer, brachte natürlich grosse Unruhe. Ich habe mich am Samstagmorgen mit Jochen Schneider unterhalten – er sagte mir explizit, bei ihm sei kein Spieler gewesen. Und ich habe auch die Spieler direkt angesprochen. Dass sie bei Problemen direkt zu mir kommen sollen. Es kann ja sein, dass einem mein Gesicht nicht gefällt, dass er mich nicht mag. Aber dann kann man es doch offen aussprechen, kein Problem.

Kam keiner bis heute?
Nein. Keiner.

Sead Kolasinac, Klaas-Jan Huntelaar und Shkodran Mustafi hätten Sie angeschwärzt, schrieb die «Bild»-Zeitung.
Ich weiss es nicht. Aber es gibt aber ja noch andere, die um die Mannschaft herum sind. Aber das spielt ja auch keine Rolle mehr.

Es scheint im Nachhinein fast so, als habe sich der eine oder andere Spieler noch weiter oben beschwert als nur bei Schneider. Das würde erklären, dass auch er wie alle anderen gleich freigestellt wurde.
Das ist nicht auszuschliessen. Es zeigt einfach, dass es im Umfeld einer Mannschaft Strömungen geben kann, die über das Fussballerische hinausgehen. Auch wenn ich klar sagen muss: Mir fehlten die Siege. Keine Frage.

Wie muss man denn das Gefüge auf Schalke verstehen? Ist es eine Schlangengrube?
Das ist noch schwierig zu beschreiben. Es ist das ganze Umfeld, das es nicht einfach hat, der Klub hat eine grosse Ausstrahlung und viele Strömungen. Und dann sind da die Fans, sie haben eine sehr starke Präsenz, auch wenn sie nicht im Stadion sind. Die Ergebnisse und Leistungen sind der Lebensinhalt vieler. Das spürt man täglich, und zwar nicht leicht. Es ist ein ständiger Druck da. Aber verrückt ist …

… ja, bitte.
Ich lernte als Spieler bei Bochum, mit den Menschen offen zu sein. Mit ihnen direkt zu sprechen, wenn ein Problem da ist und es dann ausdiskutiert. Dass dies dann nun mutmasslich ausgerechnet auf Schalke nicht der Fall war, das ist schade.

Was würden Sie anders machen im Nachhinein?
Ich würde im Winter nicht mehr die gleichen Spieler holen. Ich würde bei den Transfers versuchen, ein glücklicheres Händchen haben.

Sie meinen Huntelaar, Mustafi und Kolasinac? Das Trio, das sich angeblich über sie beschwerte?
Ich hätte gerne mit Huntelaar vorne gespielt. Aber er ist nach wie vor an der Wade verletzt und war auch in den Trainings nicht mit dabei. Sie sind ja erfahren, diese Spieler, aber ja, es lief nicht alles glücklich.

Gerade Mustafi und Kolasinac hatten ja auch kaum Spielpraxis.
Sie wären auch nicht verfügbar gewesen für Schalke, wenn sie oft gespielt hätten. Aber wie gesagt: Die Mannschaft halte ich nach wie vor für gut. Ich glaube auch, dass zum Beispiel die Reaktivierung von Nabil Bentaleb sich mittelfristig ausbezahlt. Er ist ein Spieler, welcher der Mannschaft ein ganz anderes Volumen gibt.

Sie nannten an einer Pressekonferenz Alessandro Schöpf «Massimo Schüpp» und Can Bozdogan «Kaan Erdogan». Aus diesen Versprechern wurde der Vorwurf, Sie hätten auch sonst die Spieler zum Teil verwechselt.
Abgesehen von Ihren beiden Beispielen ist mir das nicht bewusst.

Läuft eigentlich Ihr Vertrag noch oder ist er schon aufgelöst?
Ich bin freigestellt, mein Vertrag läuft bis Sommer.

Bekommen Sie eine Nichtabstiegs-Prämie, sollte sich Schalke wider Erwarten noch retten?
Schauen Sie, das ist nun nicht das Wichtigste. Aber dass Sie fragen, finde ich interessant.

Ist es die grösste Enttäuschung Ihrer Karriere?
So wie es gelaufen ist: Ja.

Bereuen Sie es, die Aufgabe angenommen zu haben?
Nein. Es war eine riesige Herausforderung. Weil mich das Mittelfeld wenig interessiert – in allen Belangen.

Sind Sie schon in der Schweiz?
Nein, ich werde am Montag oder Dienstag in die Heimat kommen.

Sie sind der erfolgreichste Schweizer Trainer aller Zeiten. So können Sie doch eigentlich nicht aufhören.
Es wäre kein Happy-End für meine Karriere. Und ich hatte viel Freude an der Arbeit mit den Spielern und bin jederzeit korrekt mit ihnen umgegangen. Darum: Lassen Sie mich erst jetzt mal diese Enttäuschung verdauen. Und dann schauen wir weiter.

Eine Träne für Christian Gross

Ein Kommentar von Andreas Böni, stv. Sportchef

Der Vorhang dieser unwürdigen Theater-Aufführung ist gefallen. Nach nur 63 Tagen hat Schalke Christian Gross und gleich noch vier weitere Führungspersonen inklusive Sportvorstand Jochen Schneider entlassen.

Gross ist dabei nicht mehr als ein Bauernopfer. Wenn eine Struktur es zulässt, dass eine Mannschaft in nur einer Saison schon den fünften Trainer bekommt, dann hat sie andere Probleme als den Coach.

Besonders bitter ist, dass einem von Christian Gross diese Bilder im Kopf bleiben, wie er einsam nach der 1:5-Klatsche in Stuttgart das Stadion verlässt.

Christian Gross führte GC und Basel in die Champions League. Er ist sechs Mal Schweizer Meister geworden, fünf Mal Cupsieger, holte auch in Saudi-Arabien und Ägypten Titel. 11 Mal wurde er in drei verschiedenen Ländern zum Trainer des Jahres gewählt. Zwischendurch rettete er Stuttgart vor dem Abstieg und führte den Klub dann sogar in die Europa League.

Nur zwei Mal scheiterte er: Bei YB und jetzt auf Schalke. Und irgendwie hofft man als Fussball-Nostalgiker, dass diese Schmach von Stuttgart und diese Bilder von Christian Gross nicht das letzte sind, was man von dieser grossen Trainerpersönlichkeit in dessen Karriere-Herbst zu sehen bekommt.

Das wäre ein unwürdiger Abgang. Und einer, den Gross nicht verdient hätte.

Ein Kommentar von Andreas Böni, stv. Sportchef

Der Vorhang dieser unwürdigen Theater-Aufführung ist gefallen. Nach nur 63 Tagen hat Schalke Christian Gross und gleich noch vier weitere Führungspersonen inklusive Sportvorstand Jochen Schneider entlassen.

Gross ist dabei nicht mehr als ein Bauernopfer. Wenn eine Struktur es zulässt, dass eine Mannschaft in nur einer Saison schon den fünften Trainer bekommt, dann hat sie andere Probleme als den Coach.

Besonders bitter ist, dass einem von Christian Gross diese Bilder im Kopf bleiben, wie er einsam nach der 1:5-Klatsche in Stuttgart das Stadion verlässt.

Christian Gross führte GC und Basel in die Champions League. Er ist sechs Mal Schweizer Meister geworden, fünf Mal Cupsieger, holte auch in Saudi-Arabien und Ägypten Titel. 11 Mal wurde er in drei verschiedenen Ländern zum Trainer des Jahres gewählt. Zwischendurch rettete er Stuttgart vor dem Abstieg und führte den Klub dann sogar in die Europa League.

Nur zwei Mal scheiterte er: Bei YB und jetzt auf Schalke. Und irgendwie hofft man als Fussball-Nostalgiker, dass diese Schmach von Stuttgart und diese Bilder von Christian Gross nicht das letzte sind, was man von dieser grossen Trainerpersönlichkeit in dessen Karriere-Herbst zu sehen bekommt.

Das wäre ein unwürdiger Abgang. Und einer, den Gross nicht verdient hätte.

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