Leverkusen-Trainer Gerry Seoane im Interview vor dem Saisonstart
«Wir haben die Pflicht, Bayern das Leben schwer zu machen»

Die Cup-Blamage bei Drittligist Elversberg war für Bayer Leverkusen ein Schock. Trainer Gerry Seoane sagt, wie es dazu kommen konnte, was die Bundesliga mit ihm gemacht hat - und wer Schweizermeister wird
Publiziert: 06.08.2022 um 08:57 Uhr
Alain Kunz

Der Start in die Saison 2022/23 ist Leverkusen gründlich misslungen. Im DFB Pokal scheidet Trainer Gerardo Seoane (43) mit seinem Team in der 1. Runde gegen das unterklassige Elversberg aus. Der Schweizer Trainer erklärt, warum man trotzdem mit Bayer rechnen sollte.

Erst der Kaltstart im Cup. Und nun zum Bundesliga-Start gleich der Signal-Iduna Park zu Dortmund. Von null auf hundert gewissermassen.
Gerry Seoane: Ja. Und dann in einem besonderen Stadion, was die Aufgabe zusätzlich erschwert. Aber es ist doch gut, dass es solch einen Knüller gleich zum Start gibt. Und wir können eine Reaktion zeigen auf das Spiel in Elversberg.

Perfektes Stichwort: Elversberg. Pokal-Out gegen einen Drittligisten. Was war da los?
Das war eine herbe Enttäuschung … mmh (Seoane sucht nach Worten) - und ein verdientes Ausscheiden, weil wir nicht annähernd unsere Leistung auf den Platz gebracht haben. Das hat eine tiefere Analyse und Aufarbeitung mit einiger Selbstkritik erfordert.

Gerry Seoane versteht beim Pokal-Aus gegen Elversberg die Welt nicht mehr.
Foto: Getty Images
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Ich gehe mal davon aus, dass sich das nicht abgezeichnet hatte …
Im Fussball zeichnet sich nicht alles ab. Mal macht man ein sensationelles Spiel nach einer schlechten Trainingswoche und mal einen miserablen Match nach einer Superwoche. Bei uns war zuvor auch nicht alles gut gewesen, aber die Signale waren doch sehr positiv. Gerade nach der Stabilisierung in der Rückrunde. So gesehen konnten wir mit einem solchen Ergebnis in Elversberg nicht rechnen.

Auf Social Media hat man viele Bilder aus der Vorbereitung gesehen, auf denen gelacht wird. Man hatte den Eindruck, dass bei euch wirklich alles stimmt.
Es freut mich natürlich immer, wenn die Spieler mit Spass und Freude an der Arbeit sind. Wir versuchen einen Mix hinzukriegen zwischen harter Arbeit und einem Teil, wo der Spass im Vordergrund steht. Aber diese Fotos und Videos sind natürlich immer Momentaufnahmen. Es sagt wenig aus, wenn man nicht alles sieht.

Sie haben gesagt, wenn man solch eine Leistung abliefert, hat man in der Vorbereitung vielleicht das eine oder andere etwas vernachlässigt oder übersehen. Das tönt sehr selbstkritisch.
Der Staff steht ja auch am stärksten in der Verantwortung nach einem derartigen kollektiven Versagen. Vielleicht haben wir nicht die richtigen Reize gesetzt, haben zu wenig Schärfe ins Training gebracht, um die Sinne noch mehr zu stärken.

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Apropos Schärfe. Das erinnert an jenen Mann, dem einst Moderator Waldemar Hartmann in einem der legendärsten TV-Interviews vorgeworfen hat, die Schärfe ins Gespräch zu bringen: Der damalige Bundestrainer Rudi Völler, der nun als Geschäftsführer Sport aufgehört hat. Was ändert sich, wenn solch eine Legende abtritt?
Rudi hat nicht nur für Bayer, sondern den ganzen deutschen Fussball sehr viel geleistet. Er hat es verdient, sich nun aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. Aber er bleibt uns erhalten, er ist nach wie vor im Gesellschafterausschuss und hat immer noch sein Büro im Stadion. So sehen wir ihn nach wie vor.

Gerry Seoane persönlich

Gerardo «Gerry» Seoane (42) wächst als Sohn spanischer Eltern im Kanton Luzern auf. Beim FCL schafft er den Sprung zu den Profis. Später spielt er auch für Sion, La Coruña, Aarau und GC. 2011 startet Seoane im FCL-Nachwuchs seine Trainerlaufbahn, im Januar 2018 übernimmt er bei den Profis – und führt sie innert weniger Wochen vom Abstiegskampf ins internationale Geschäft. Als Lohn ernennt ihn YB zum Nachfolger von Adi Hütter. Drei Meistertitel und ein Cupsieg sind die nationale Ausbeute in Bern. Und auch international erzielt er Achtungserfolge. Er führt YB erstmals in die Champions League. In der Europa League schaltet YB Leverkusen aus, was ihm die Tür zum Job bei Bayer öffnet. Er führt die Werkself in seiner ersten Saison souverän auf Platz drei und damit in die Champions League. In der zweiten wird er nach nur 12 Pflichtspielen(mit nur zwei Siegen) im Oktober 2022 entlassen. Auf die darauffolgende Saison übernimmt er Borussia Mönchengladbach, wo er bis zur letzten Runde um den Ligaerhalt zittern muss. Dieser gelingt, mit einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz.

Gerardo «Gerry» Seoane (42) wächst als Sohn spanischer Eltern im Kanton Luzern auf. Beim FCL schafft er den Sprung zu den Profis. Später spielt er auch für Sion, La Coruña, Aarau und GC. 2011 startet Seoane im FCL-Nachwuchs seine Trainerlaufbahn, im Januar 2018 übernimmt er bei den Profis – und führt sie innert weniger Wochen vom Abstiegskampf ins internationale Geschäft. Als Lohn ernennt ihn YB zum Nachfolger von Adi Hütter. Drei Meistertitel und ein Cupsieg sind die nationale Ausbeute in Bern. Und auch international erzielt er Achtungserfolge. Er führt YB erstmals in die Champions League. In der Europa League schaltet YB Leverkusen aus, was ihm die Tür zum Job bei Bayer öffnet. Er führt die Werkself in seiner ersten Saison souverän auf Platz drei und damit in die Champions League. In der zweiten wird er nach nur 12 Pflichtspielen(mit nur zwei Siegen) im Oktober 2022 entlassen. Auf die darauffolgende Saison übernimmt er Borussia Mönchengladbach, wo er bis zur letzten Runde um den Ligaerhalt zittern muss. Dieser gelingt, mit einem Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz.

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Führt diese Saison irgendein Weg vorbei an den Bayern?
Bayern München ist und bleibt das Mass aller Dinge. Sonst wird man nicht zehnmal in Folge Deutscher Meister. Dahinter gibt es einen äusserst ambitionierten Kreis von Klubs, der versucht, sich Jahr für Jahr im Kader und in der Struktur zu verbessern. Mit Dortmund als zweite grosse Kraft, dann Leipzig und zwei, drei Weitere, die versuchen, den Anschluss zu halten. Zu diesen gehören auch wir. Das Potenzial all dieser Klubs ist vor allem finanziell viel kleiner als das der Münchner. Aber wir stehen alle in der Pflicht zu sagen: Hey, wir wollen dem FC Bayern das Leben so schwer wie möglich machen.

Mehr nicht? Darf niemand ausserhalb Münchens den Anspruch haben zu sagen: Okay, wir wollen jetzt mal Meister werden?
Man geht in jedes Spiel mit der Idee und der Überzeugung, dass man es gewinnen kann. Der Sportgedanke ist doch jener, dass alles möglich ist. Demnach ist es auch möglich, dass irgendwann eine Mannschaft besser ist als der FC Bayern. Das war in anderen Ligen auch so, da wurden Meisterserien auch beendet. Es sehnen sich doch alle – Fans, Klubs – nach mehr Spannung. Aber wir wissen, dass dies eine ganz schwierige Aufgabe ist. Wir – und alle anderen Klubs – davon gehe ich aus, werden alles daransetzen, dass irgendwann ein anderer Meister gekürt wird.

Hat Sie das bayerische Sommertheater mit Hauptdarsteller Lewandowski auch amüsiert?
Nur am Rande, und auch nur über die Medien. Ich bin mit meinen Aufgaben genug beschäftigt. Und Bayern hat sich ja dennoch namhaft verstärkt.

Bei Euch hingegen lief ja transfermässig fast nichts.
Wir hatten den grossen Umbruch letzten Sommer. Jetzt haben wir mit Adam Hlozek einen jungen tschechischen Stürmer mit Riesenpotenzial geholt. Ein klassischer Bayer04-Transfer. Es ist ein tolles Zeichen, dass es gelungen ist, mit Patrick Schick und Florian Wirtz zu verlängern und Moussa Diaby zu halten, die alle letzte Saison super abgeliefert haben und auf dem Markt begehrt sind.

Apropos Wirtz: Wo steht er nach seinem Kreuzbandriss von Mitte März?
Der Verlauf ist gut. Wenn es so weitergeht, kann er möglicherweise im November nochmals eingreifen. Das Wichtigste ist aber, dass er in der Rückrunde zu hundert Prozent zur Verfügung steht.

Wie haben Sie sich verändert, seit Sie Bundesliga-Coach sind? Oder anders gefragt. Was hat der Job mit Ihnen gemacht?
Es ist natürlich alles grösser als in der Schweiz. Ein grösseres Trainer-Team plus Staff zum Beispiel bedeutet, dass man mehr Leute zu führen hat, was eine zusätzliche Aufgabe ist. Die mediale Arbeit ist auch grösser, weil viel mehr Medien täglich über den Klub berichten. Und es macht schon etwas mit dir als Trainer, wenn du in einer Top-Five-Liga jedes Wochenende ein wichtiges Spiel hast. Die Drucksituation ist dann schon höher als in der Schweiz. Und die Saison ist lang. Man geht auch mal durch schwierige Phasen. Und um aus diesen wieder herauszukommen, muss man es schaffen, mit Druck möglichst gut umzugehen. Natürlich färbt das auch auf den Trainer ab.

Apropos Schweiz: Wenn Sie in Richtung Super League gucken, wo schauen Sie näher hin: Bei YB oder beim FC Luzern?
Bei beiden gleich nah. Ich habe es letztes Jahr geschafft, bei beiden Klubs ein Spiel im Stadion zu verfolgen. Zusammen mit meinem Assistenten Patrick Schnarwiler versuche ich sowohl im Hotel wie auf den Fahrten immer mal eine Halbzeit vom einen wie auch vom anderen Klub zu schauen.

Als Luzerner werden Sie beim Ligaerhalt des FCL auch durchgeschnauft und Freude gehabt haben.
Ich war ja im zweiten Barrage-Spiel im Stadion. Es war eine tolle Leistung der Mannschaft in einem vollen Stadion. Es wäre schade gewesen um den FCL. Unter Mario Frick hat sich das Team in der Rückrunde toll weiterentwickelt. Der Sieg in der Barrage war nur eine Folge davon.

Und YB? Werden die Berner Meister?
YB ist der Übergang von der letzten Saison zu dieser gut gelungen. Die sportliche Führung mit Wuschu Spycher, Steve von Bergen, aber auch mit Trainer Raphael Wicky, der perfekt in das Konstrukt hineinpasst, macht einen sehr homogenen Eindruck. Durch die Veränderungen ist neuer Schwung hineingekommen. Wenn YB es schafft, sein Potenzial abzurufen, kommt niemand an den Bernern vorbei.

Schliessen wir ab mit dem Knüller vom Samstag gegen den BVB. Wie stark schätzen Sie die Borussen ein?
Einen Haaland kann man nicht eins zu eins ersetzen. Das ist klar. Mit Adeyemi und Haller haben die Dortmunder vorne sehr gute Spieler geholt. Ebenso hinten mit Süle und Schlotterbeck. Der BVB hat vom Kader her einen Schritt nach vorne gemacht. Auch wenn die Situation mit Haller auch uns sehr betroffen. Aber in Dortmund wurde einiges unternommen, um ganz vorne anzugreifen.

Bundesliga
Mannschaft
SP
TD
PT
1
Bayern München
Bayern München
3
8
9
2
Borussia Dortmund
Borussia Dortmund
3
4
7
3
RB Leipzig
RB Leipzig
3
2
7
4
1. FC Heidenheim 1846
1. FC Heidenheim 1846
3
4
6
5
Bayer Leverkusen
Bayer Leverkusen
3
3
6
6
Eintracht Frankfurt
Eintracht Frankfurt
3
1
6
6
SC Freiburg
SC Freiburg
3
1
6
8
Werder Bremen
Werder Bremen
3
1
5
9
Union Berlin
Union Berlin
3
1
5
10
VfB Stuttgart
VfB Stuttgart
3
0
4
11
FC Augsburg
FC Augsburg
3
-2
4
12
VfL Wolfsburg
VfL Wolfsburg
3
0
3
13
Borussia Mönchengladbach
Borussia Mönchengladbach
3
-1
3
14
TSG Hoffenheim
TSG Hoffenheim
3
-4
3
15
FSV Mainz
FSV Mainz
3
-1
2
16
VfL Bochum
VfL Bochum
3
-4
0
17
FC St. Pauli
FC St. Pauli
3
-5
0
18
Holstein Kiel
Holstein Kiel
3
-8
0
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