So verrückt trainiert Maradona in Argentinien
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«Hand Gottes» wird heute 60:So verrückt trainiert Maradona in Argentinien

Heute wird er 60 Jahre alt
Das verkommene Leben des Diego Maradona

Genie und Wahnsinn: Nie lagen sie näher beisammen als bei Diego Maradona, der heute seinen 60. Geburtstag ganz alleine feiern muss.
Publiziert: 30.10.2020 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2020 um 00:52 Uhr
Martin Arn*

Um Diego Maradona zu verstehen, muss man nach Villa Fiorito fahren, wo er vor 60 Jahren zur Welt kam. Verändert hat sich dort nicht viel. Ungeteerte Strassen, Müllsäcke vor Backsteinhäusern. Corona-Masken trägt hier niemand. Zehn Masken kosten mehr als ein Kilo Rindfleisch.

20 Minuten würde die Fahrt dauern vom Flughafen in Buenos Aires. Doch der Taxifahrer lehnt ab. «Zu kriminell, zu gefährlich, viele Schlaglöcher.»

Wenn die streunenden Hunde aus dem kleinen Bach trinken, der durch Villa Fiorito fliesst, dann kotzen sie danach die Strassen voll. Hier also ist Diego Armando Maradona aufgewachsen.

Diego Maradona feiert Geburtstag.
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«Nur Gott ist grösser als Maradona»

Sein Elternhaus ist inzwischen ein Museum. Ausser zwei Dutzend Fotos von Diego gibt es nichts zu sehen. Keine Pokale, keine Medaillen. «Die würden ja doch nur geklaut», sagt Tito Campos, Diegos Jugendfreund, der immer noch in Villa Fiorito lebt.

Auf dem staubigen Platz nebenan spielen die Kinder Fussball. Sie tragen Trikots von Messi und Ronaldo. Maradona kennen sie nur vom Hörensagen. «Vergiss Messi», sagt Tito. «Diego ist der Grösste aller Zeiten. Nur Gott ist grösser als Maradona.» Er hat Diego nie mehr gesehen, seit dieser im Alter von 15 Jahren in die Hauptstadt zog und bei Argentinos Juniors seinen ersten Profivertrag unterschrieb.

Kung-Fu-Diego erkrankt an Hepatitis

1981 wechselte Maradona zu Boca Juniors. Im darauffolgenden Sommer hätte er der Superstar der WM in Spanien werden sollen. Doch in der Zwischenrunde verlor Argentinien gegen Italien und dann gegen Brasilien. Im Südamerika-Klassiker sah Diego nach einer wüsten Kung-Fu-Einlage Rot.

Auch sein Wechsel zu Barcelona nach der WM stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Eine Hepatitis setzte ihn für drei Monate ausser Gefecht.

60 Verletzte nach Massenschlägerei

Dann, in der Saison 1983/84, erlangte Andoni Goikoetxea (Übername: «der Metzger») von Athletic Bilbao zweifelhaften Ruhm, nachdem er Maradona den linken Knöchel brach. Maradona fiel erneut monatelang aus.

Als Diego zum Rückspiel gegen Athletic gerade wieder fit geworden war, initiierte er nach dem Schlusspfiff eine Massenschlägerei, wie man sie bis dahin im spanischen Fussball noch nie gesehen hatte. Spieler, Betreuer und Funktionäre gingen aufeinander los. Am Schluss zählte man 60 Verletzte.

Maradona wurde für drei Monate gesperrt und flüchtete nach Neapel.

Napoli dreht durch

Als Maradona am 5. Juli 1984 auf dem Rücksitz eines VW Golf durch die engen Strassen Neapels zum Stadion San Paolo gefahren wird, steht die Stadt Kopf.

80'000 schauen zu, wie Diego ein paar Mal den Ball jongliert.

Maradona holt mit Napoli zwei Meisterschaften. 1986 wird er mit Argentinien Weltmeister. Seine beiden Tore im Viertelfinal gegen England, das eine mit der linken Hand, das andere nach einem Sololauf, von dem viele sagen, es sei der schönste Treffer gewesen, der je bei einer Endrunde erzielt worden ist, sind Fussballgeschichte.

Prostituierte, Kokain und die Mafia

Maradona ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Vermutlich hätte er damals mit dem Ball am Fuss auch übers Wasser gehen können. Doch der Ruf wird grösser als der Mann. Maradona feiert von Montag bis Donnerstag wilde Koks-Partys mit Prostituierten und Champagner, oftmals erscheint er erst zum Abschlusstraining wieder in Fussballklamotten. Er umgibt sich mit Mafiosi, trägt Pelzmantel und jeden Tag eine andere Rolex.

«Verdammte Hurensöhne» beim WM-Final

Das geht solange gut, wie Napoli am Wochenende siegt. Und bis er die Italiener bei deren Heim-WM 1990 ausgerechnet im Stadion von Neapel aus dem Turnier wirft.

Im Endspiel gegen Deutschland haben Maradona und seine Argentinier das ganze Stadion gegen sich. «Verdammte Hurensöhne», sagt Diego zu seinem Nebenmann, als sich die Argentinier vor dem Anpfiff hinstellen für die Hymne, die von 74'000 Menschen gnadenlos niedergepfiffen wird.

Der Niedergang Gottes

Im März 1991 wird Diego nach einem Spiel gegen Bari erstmals positiv auf Kokain getestet. 15 Monate Sperre. Der Anfang vom Ende. Bei seinem Comeback 1992 in Sevilla hinterlässt Diego nur bei zwei Streifenpolizisten Eindruck, als er mit seinem Porsche bei Rot über die Kreuzung fährt und die Beamten daraufhin aufs Übelste beschimpft. Vor der WM-Endrunde 1994, nachdem Argentinien zuhause gegen Kolumbien mit 0:5 verloren hatte, setzt sich der damalige argentinische Präsident Carlos Menem persönlich dafür ein, Diego ins Nationalteam zurückzuholen.

Im Trainingslager vor der WM schiesst Maradona mit einem Luftgewehr auf Journalisten. Beim Turnier in den USA der nächste positive Dopingbefund, worauf Diego tränenreich mitteilt, man habe ihm «die Beine abgeschnitten».

Er kehrt noch einmal aufs Feld zurück. Für Boca Juniors, seinen Herzensklub. Das spektakulärste Bild aus dieser Zeit zeigt ihn, wie er seinen Teamkollegen Claudio Caniggia nach einem Tor auf den Mund küsst.

Plötzlich Nationaltrainer

An seinem 37. Geburtstag tritt er endgültig zurück. Doch stiller wird es nicht um ihn. Diego gerät völlig ausser Rand und Band. Im Jahr 2000 wäre er nach einer Überdosis Kokain und drei durchgefeierten Nächten beinahe gestorben.

Diego versucht sich als Trainer – mit überschaubarem Erfolg. Bei der WM 2010, als Coach der argentinischen Nationalmannschaft, kennt er Thomas Müller am Tag vor dem Viertelfinalspiel gegen Deutschland nicht. Argentinien geht 0:4 unter. Müller trifft in der 3. Minute zum 1:0.

Nur noch eine Karikatur seiner selbst

Nach erfolglosen Abenteuern als Trainer in den Arabischen Emiraten verschlägt es Diego vor zwei Jahren zum mexikanischen Zweitligisten Dorados de Sinaloa. Nun muss man wissen, dass dort das mächtigste Drogenkartell der Welt beheimatet ist. Diegos Monatsgehalt beträgt 50'000 Dollar, dazu ist er an den Trikotverkäufen der Dorados beteiligt, die natürlich allesamt seinen Namen tragen.

Zuvor, etwa bei der WM 2018, hatte man einen völlig desorientierten Diego gesehen, der auf dem VIP-Balkon Nigerianer und Südkoreaner beleidigte, und dem das aufgeschwemmte Gesicht im Sekundenschlaf wegnickte. Maradona ist eine Karikatur seiner selbst, dick wie ein Regenfass, trotz Magenband.

«Sie bringen ihn um!»

Dann gab es dieses Interview aus dem Auto, als Diego bei laufendem Motor vor sich hinlallte, und auch argentinische Reporter kaum ein Wort verstanden.

Der letzte Hilferuf kam vor einem Jahr, nach Maradonas 59. Geburtstag, von seiner Tochter Giannina, als Diego, umgeben von falschen Freunden, stockbetrunken im Wohnzimmer tanzte. «Sie bringen ihn langsam um, und er merkt es nicht», schrieb sie auf Instagram.

Ist «Polizist» Maradona trocken?

Inzwischen ist Diego Trainer beim argentinischen Erstligisten Gimnasia de la Plata. Die Einheiten leitet Maradona zumeist sitzend, selbst für kurze Strecken muss er den Golfkart nehmen.

Aber es gibt auch bessere Tage im Leben von Diego Armando Maradona. Im vergangenen Juli, als sein Team das Training wieder aufnimmt, erscheint Diego in einem schwarzen BMW, in dem er eine Polizeisirene und Blaulicht hat einbauen lassen. Er fährt quer über den Übungsplatz.

Zuletzt hiess es aus seinem Umfeld, Diego trinke seit Wochen keinen Alkohol mehr. Er sei körperlich und geistig frisch.

Geburtstag in Quarantäne

Zu seinem 60. Geburtstag am 30. Oktober hat sich Diego zwei Dinge gewünscht: Dass er ihn mit all seinen Kindern – es sind inzwischen mindestens elf, von zehn verschiedenen Frauen – verbringen kann. Daraus wird nichts. Diego ist in Quarantäne, weil einer seiner Bodyguards positiv getestet wurde.

Auch sein zweiter Wunsch dürfte nicht in Erfüllung gehen: «Ich möchte gegen England noch einmal ein Tor erzielen. Diesmal mit der rechten Hand.»

*Martin Arn war sechs Jahre Korrespondent in Argentinien. Auf ein Exklusivinterview mit Maradona im Jahr 2009, das 35’000 Dollar gekostet hätte, hat sein damaliger Chefredaktor dankend verzichtet.

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