Jung, frisch, unterhaltsam
Haucht Skater Nagelsmann dem DFB neues Leben ein?

Julian Nagelsmann bestreitet in den nächsten Tagen seine ersten Partien als deutscher Nationaltrainer. Mit dem 36-Jährigen ist im Umfeld des DFB Zuversicht eingekehrt. Und doch gibt es kritische Stimmen.
Publiziert: 10.10.2023 um 19:40 Uhr

Wie Julian Nagelsmann (36) am Montagvormittag an den Flughafen Frankfurt gereist ist, ist nicht endgültig überliefert. Zumindest hatte der neue Bundestrainer kein Longboard unter dem Arm, als er vor dem Abflug der Belegschaft des Deutschen Fussballbunds (DFB) nach Boston der versammelten Medienschar Auskunft gab.

Imagekorrektur des DFB

Der 36-Jährige ist gut ein halbes Jahr nach seiner Entlassung bei Bayern München zurück im Fokus der Öffentlichkeit - so sehr, dass selbst das gewählte Verkehrsmittel für eine Anreise zumindest im Boulevard genügend Stoff für Schlagzeilen liefert. Als Nagelsmann im September als Nachfolger des entlassenen Hansi Flick (58) vorgestellt wird, kommt die längere, breitere Version eines Skateboards, ein bevorzugtes Fortbewegungsmittel (siehe Video unten aus seiner Bayern-Zeit) Nagelsmanns, jedenfalls auch zur Sprache, und als Sportdirektor Rudi Völler (63) seinen neusten Mitarbeiter fragt, was denn so ein Longboard eigentlich sei, sagt Nagelsmann mit einem breiten Grinsen: «Erklär’ ich dir später.» Und sorgt für Gelächter im Saal.

Hier fährt Nagelsmann mit dem Skateboard ins Training
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Cooler Bayern-Coach:Hier fährt Nagelsmann mit dem Skateboard ins Training

Es ist eine Episode, die zeigt, wie sich der DFB in der Öffentlichkeit präsentieren will: jung, frisch, unterhaltsam. Nach der schwersten Krise seiner Geschichte, dem neuerlichen Ausscheiden in der Vorrunde an der WM in Katar sowie nur einem Sieg und vier Niederlagen 2023, sah sich der vierfache Weltmeister nach einem 1:4 gegen Japan am 10. September gezwungen, mit Flick erstmals überhaupt einen Nationaltrainer zu entlassen.

Julian Nagelsmann steht vor seinen ersten Aufgaben als DFB-Trainer.
Foto: imago/Schüler
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Unter dem 58-Jährigen, der mit Bayern München sechs Titel in einer Saison gewonnen hatte, schien dem deutschen Team die Selbstverständlichkeit des Gewinnens abhandengekommen zu sein, eine Eigenschaft, die sich so verfestigt hatte, dass sie gemeinhin als «Teil der deutschen DNA» angesehen wurde. Es herrschte zunehmend Ratlosigkeit, und im Umfeld des DFB schwirrte diese Frage, die mehr Angst als Zuversicht schürte: Wie wird dieses Team an der Heim-EM 2024 abschneiden?

Zentrale Rolle für Rückkehrer Hummels

Als Nagelsmann in Frankfurt vor den Medienschaffenden steht, schlägt das Pendel wieder deutlich mehr Richtung Zuversicht aus. Was mit Nagelsmanns jovialer Art zusammenhängt, aber auch mit dem Projekt, das er umreisst. Diese ersten zwei Länderspiele unter seiner Führung am Samstag gegen die USA und dann in der Nacht auf Mittwoch gegen Mexiko sollen die Möglichkeit bieten, die Spieler zu sichten. Und mit der Zeit soll aus der Mannschaft wieder eine homogene, selbstbewusste Einheit werden.

Dass auch der bald 35-jährige Mats Hummels nach zweijähriger Absenz vom Nationalteam ein Teil davon sein soll, erklärt der Trainer so: «Mats ist exzellent im Spielaufbau, hat immer den Mut, Bälle ins Mittelfeld zu spielen. Er ist gut im Coaching, hat ein gutes taktisches Verständnis. Wir brauchen Spieler, die viel sprechen, die meine Ideen verstehen und auf die anderen übertragen können. Er soll die anderen Jungs mitführen.»

Es sind Worte, die plausibel klingen, wenn sie von Nagelsmann kommen. Schliesslich gilt er seit seines unerwartet schnellen Aufstiegs zum Bundesliga-Trainer 2016 bei Hoffenheim, das er vor dem Abstieg bewahrte, als grösstes deutsches Trainertalent. Und doch gab es kritische Stimmen, als DFB-Sportdirektor Völler, der zuletzt gegen Frankreich (2:1) kurzfristig an die Seitenlinie zurückgekehrt war, seine «Wunschlösung», den «Glücksfall» Nagelsmann, vorstellte.

Das Fachmagazin «11 Freunde» stellte die Frage in den Raum, ob es für einen «akribischen Tüftler» wie Nagelsmann ausreicht, nur alle paar Monate mit Spielern zusammenzuarbeiten. Und ob ein Trainer, dessen Team bei Bayern München defensiv anfällig war, wirklich in der Lage sein würde, eine verunsicherte deutsche Abwehr zu stabilisieren. Nagelsmann sei «zwar der beste Trainer, der auf dem Markt war, doch dummerweise der Trainer, der am schlechtesten zur aktuellen Aufgabe passt».

Unverständnis für den Spielort

Inwieweit diese Einschätzung zutrifft, wird sich erst mit der Zeit überprüfen lassen. Offensivspieler Thomas Müller ist jedenfalls überzeugt von seinem Coach: «Julian hat sehr viele Pläne in der Schublade, und ich glaube, dass er da auch einen passenden finden wird für diese Mannschaft», sagte der 34-Jährige, der wieder Teil eines Kaders ist, das bei diesem Zusammenzug mit 26 Spielern ungewöhnlich gross ist.

Doch Nagelsmann möchte damit die Belastung der Überseereise minimieren und sicherstellen, dass alle Spieler in anderthalb Wochen wieder fit und gesund zu ihren Teams zurückkehren. Dass die DFB-Auswahl ausgerechnet in den USA zwei Testspiele austragen muss, hat in Anbetracht der ohnehin eng getakteten Klub-Spielpläne allenthalben für Unverständnis gesorgt. Die vier Akteure Borussia Dortmunds werden nur einen Tag nach ihrer Rückkehr bereits wieder in der Bundesliga gefragt sein.

Völler sagt, es sei gut, sich vor der WM 2026 in den USA zu zeigen. «Ausserdem kann so eine Tour eine Gruppe zusammenschweissen, das gilt nach dem Trainerwechsel umso mehr.»

In Deutschland träumen sie für die kommende EM vom «Sommermärchen 2.0», wie es Nagelsmann in Anlehnung an die Heim-WM 2006 genannt hat. Seine Arbeit dafür beginnt über 6000 Kilometer fern der Heimat. (SDA)

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