Leipzig-Rangnick
«Plötzlich bot Manchester United 40 Mio. für Embolo»

Ralf Rangnick (58) erzählt im Exklusiv-Interview, dass man mit Breel Embolo eigentlich klar war. Und dass er die Traditions-Diskussion um Leipzig nicht versteht. «Du sagst ja auch nicht zu einem Kind: ‹Du hast keine Daseinsberechtigung, du bist erst 7.›»
Publiziert: 11.12.2016 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 05.10.2018 um 06:41 Uhr
Andreas Böni (Interview) und Sven Thomann (Fotos) aus Leipzig

SonntagsBLICK: Herr Rangnick, Sie holen hier bei RB Leipzig keinen Spieler über 23 Jahre und zahlen nicht mehr als 3 Millionen Euro Gehalt. Würden Sie auf Lionel Messi und Cristiano Ronaldo ver­zichten, wenn diese unbedingt zu Ihnen wollten?
Ralf Rangnick:
Ich antworte ganz kurz: Sie passen nicht zu unserer Philosophie. Die beiden sind zu alt und zu teuer für RB Leipzig.

Ernsthaft?
Wir sind schon schnell gewachsen, aber organisch. Das Gehaltsgefüge stimmt. Wir haben keine teuren Stars. Darum wäre es absurd, nur einen Gedanken daran zu verschwenden.

Sie holen keine Spieler mit Tattoos und Piercings und verbieten extravagante Frisuren. Warum?
Bei Verhandlungen verlange ich nicht, dass mir die Spieler ihren ganzen Körper zeigen (lacht). Und mit Kevin Kampl und Sadio Mané hatten wir in Salzburg zwei Spieler, bei denen sich die Haarfarbe beziehungsweise Frisur alle zwei Wochen stark veränderte. Wir wollen keine Spieler, die nur in dieser Hinsicht speziell sein und auffallen wollen.

Im Bullen-Stall: Ralf Rangnick posiert für SonntagsBlick im Spielergang.
Foto: Thomann Sven
1/4

Sie waren sich im Sommer mit Breel Embolo einig. Warum ist er nun auf Schalke?
Einig ist man sich erst, wenn die Tinte trocken ist. Aber sagen wir mal so: Wir waren sehr weit. Der Spieler und die Berater wollten zu uns, und wir waren uns mit ihnen, was den Vertrag von Breel angeht, einig.

Aber nicht mit dem FC Basel, der auf 30 Millionen Euro Ablöse beharrte.
Wir lagen nach der ersten Gesprächsrunde nicht mehr sehr weit auseinander. Unser Angebot war für unsere Verhältnisse schon sehr hoch. Wir wollten ein paar Tage ins Land gehen lassen, aber dann kam plötzlich ein angebliches Angebot von Manchester United über 40 Millionen. Ich sagte mir: Okay, wenn ein Verein so viel Geld ausgeben will für einen Spieler, dann bekommen die auch ein Angebot binnen einer Woche hin.

Passierte das nicht?
Als nach 14 Tagen von Manchester United immer noch kein konkretes Angebot vorlag, sind wir ausgestiegen. Wir wollten nicht weiter in der Beifahrer-Rolle sein.

40 Millionen von Manchester United – da klingt es unglaubwürdig, dass Schalke nur 21 Millionen Euro bezahlte, wie es in Deutschland gestreut wurde.
Wenn dem so ist, dann muss man Schalke gratulieren. Die Herren Heusler und Heitz waren in den letzten zehn Jahren aber vor allem eins: hervorragende Verkäufer. Ich bewundere die beiden dafür.

Also gehen wir mal davon aus, dass Schalke rund 27 Millionen Euro plus Nachzahlungen bezahlt hat. War Ihr Angebot so hoch?
Es war drunter. Breel hätte als Spieler und mit seiner Mentalität sehr gut hierher gepasst. Aber es ist alles gut so: Er ist bei Schalke, einem sehr guten Verein. Und wir haben Keita und Burke geholt, die sich beide bei uns prächtig entwickeln.

RB Leipzig schlägt viel Hass entgegen. Wie empfinden Sie das?
Davon spürt bei uns im Verein keiner etwas, zumal das faktisch anders ist. Wir sind neu und jung, das ist vielen verdächtig. Es ist ein Fakt, dass unser Klub erst sieben Jahre alt ist. Und man kann doch nicht immer alles an Tradition festmachen. Du sagst ja auch nicht zu einem Kind: «Du hast keine Daseinsberechtigung, du bist erst sieben Jahre alt.» Jeder wird älter, jeder schreibt seine Geschichte. Ich kann verstehen, dass viele Menschen Mühe mit uns hatten, weil wir in der 4. Liga mehr Geld als alle anderen zur Verfügung hatten. Heute aber bekommen wir – natürlich nicht von den Ultras, aber von den normalen Fans – durchaus Respekt für unseren Weg, den wir gehen. Das verdeutlichen auch unsere positiven Imagewerte sowie die stetig wachsende bundesweite Akzeptanz.

Dortmund-Boss Hans-Joachim Watzke pestete trotzdem: «Bei RB wird Fussball gespielt, um eine Getränkedose zu performen.»
Wir haben gegen Dortmund am zweiten Spieltag 1:0 gewonnen. Mit einem Augenzwinkern antworte ich: Dann wurden sie von elf Dosen geschlagen ... Im Ernst: Wir sind extrem dankbar für das Engagement von Red Bull, aber unsere tägliche Arbeit dreht sich nicht darum, eine Getränkedose zu performen.

Wie viel Einfluss nimmt Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz?
Gar keinen. Ich treffe ihn ab und zu, und wir telefonieren auch hin und wieder mal miteinander. Er ist ein grosser Fan dieser Mannschaft.

Wie wurden Sie eigentlich der grosse Macher von Leipzig und vorher auch Red Bull Salzburg?
Dietrich Mateschitz kam 2012 mit der Idee auf mich zu, mich als Trainer für Salzburg gewinnen zu wollen, was für mich nicht in Frage kam. Er kam im Helikopter zu mir geflogen, und wir redeten über vier Stunden miteinander. Er fragte mich: «Was würden Sie anders machen?» Und ich antwortete ihm: «Alles!» Das Durchschnittsalter der Salzburger Mannschaft, die wir damals vorgefunden haben, lag bei 29 Jahren, die Stammelf gar bei über 30. In der Zeit davor wurden auch des öfteren Spieler von Bayern München verpflichtet, die dort keinen Vertrag mehr erhalten haben, aber einen 3-Jahres-Kontrakt als letzten Vertrag bei Salzburg unterschreiben konnten. Ich sagte ihm, dass ich auf junge Spieler setzen würde, die ihren ersten oder zweiten Profi-Vertrag unterschreiben und für die das damit der nächste logische Karriere­schritt ist. So entstand während meiner Doppelfunktion als Sportdirektor diese Philosophie. Seit Sommer 2015 bin ich aber ausschliesslich für RB Leipzig tätig – wir haben das jüngste Team der Liga, und jeder ist hungrig. Und junge Menschen zu entdecken, passt zu Dietrich Mateschitz. Auch in der Formel 1.

Wo sehen Sie da Parallelen?
Zum Beispiel an der Auswahl der Fahrer. Sebastian Vettel wurde von Red Bull bereits mit zehn Jahren entdeckt und später der jüngste Werksfahrer. Herr Mateschitz zeigte mir auch den Gratulations-Brief zu Vettels elftem Geburtstag. Bei Max Verstappen wiederholt sich nun die Geschichte. Der Red-Bull-Weg ist anders. Und unser Weg soll auch volksnah sein. Ich finde, die Spieler in England sind von den Fans manchmal zu weit weg. Allerdings ist diese enge Bindung in Deutschland manchmal auch gefährlich.

Inwiefern?
Es kam ja schon vor, dass die Fankurve eines Traditionsklubs ihre Spieler dazu aufforderte, ihr Trikot auszuziehen und an sie zu übergeben, im Sinne von: Ihr seid es nicht wert unser Trikot zu tragen. Ein andermal wurde der Mannschaftsbus desselben Vereins nach einer Auswärtsniederlage mitten in der Nacht von Ultras auf einen Parkplatz rausbeordert und die Spieler zur Diskussion gezwungen. Solange ich hier in Leipzig Verantwortung trage, wird dies mit Sicherheit nicht passieren.

Reden wir über Trainer mit Schweiz-Bezug. Im Sommer hiess es, dass Marcel Koller ein Kandidat als RB-Trainer sei, Dietrich Mateschitz seinem Heimatland aber nicht den Team-Coach klauen könne.
Ich schätze Marcel Koller sehr. Aber ich habe mit ihm nie darüber gesprochen.

Sie besuchten 1985 mit Peter Zeidler die Uni in Stuttgart. Wer war der bessere Student?
Also erstmal herzliche Gratulation an Peter, dass er in Sion schon derart lange im Amt ist. Das ist ja nicht selbstverständlich ... (lacht) Wir kennen uns schon sehr lange. Er war definitiv in Französisch besser, das kann er nahezu perfekt. Er ist ein langjähriger Wegbegleiter von mir, wir waren schon Anfang der 90er-Jahre zusammen in Stuttgart. Es freut mich sehr für ihn, dass er beim FC Sion so erfolgreich gestartet ist.

Adi Hütter war mit Ihnen bei Salzburg. Wie sehen Sie ihn?
Adi Hütter ist mir aufgefallen, als er bei Grödig war, und ich sagte einem meiner engsten Mitarbeiter nach einem Drittel der Saison: «Dieses kleine Grödig wird am Ende Dritter und qualifiziert sich für die Europa League.» «Niemals», erwiderte der. Ich sagte: «Doch, der Trainer ist zu gut.» Grödig ist dann tatsächlich am letzten Spieltag Dritter geworden. Wir haben uns danach ein paar Mal getroffen und über Fussball ausgetauscht. Die Art, wie wir spielten, interessierte ihn und so wurde er dann letztendlich auch Chef-Trainer von Red Bull Salzburg. Und er macht nun auch bei den Young Boys einen richtig guten Job.

Hütter sagte zuletzt: «Er ist ein Workaholic, und ich bin überzeugt, dass er ein nächstes Projekt schon im Kopf hat.»
(lacht) Da hat er mich schon länger nicht mehr gesehen und weiss nicht, wie viele Aufgaben hier an meinem Amt bei RB Leipzig dranhängen. Als Workaholic würde ich mich nicht mehr bezeichnen, das war vielleicht vor sechs Jahren noch so.

Sie trafen sich zu Gesprächen mit Englands Verband, als man einen neuen Nationaltrainer suchte.
Ja. Das Treffen war allerdings in erster Linie dem Respekt gegenüber dem englischen Verband geschuldet.

Reden wir kurz über den Schweizer Markt. Wie man hört, waren Sie an Edimilson Fernandes vom FC Sion interessiert, bevor dieser zu West Ham ging.
Wir haben ihn angeschaut und hielten ihn in der zweiten Bundesliga für interessant. Aber am Ende haben wir dann auf andere Spieler gesetzt.

Auch Denis Zakaria von YB soll ein Thema sein.
Er ist gut, aber der Schritt zu uns käme im Moment wohl noch zu früh.

Letzte Frage: Was hat Leipzig mit Leicester gemeinsam?
Die ersten drei Buchstaben. Ich denke nicht, dass es realistisch ist, diese Saison Meister zu werden. Im Normalfall holt Bayern München den Titel. Zu Leicester fällt mir aber noch eine kleine Anekdote ein.

Um wen gehts?
Ein englischer Spielerberater sagte zu mir vor drei Jahren: «Ich hätte einen Spieler für Sie, der würde perfekt zu Ihrem Fussball passen. Aber er ist wahrscheinlich schon zu alt.» Es ging um Jamie Vardy, und weil er für uns tatsächlich schon zu alt war, holten wir ihn nicht. So wie er spielt, hätte er aber perfekt zu uns gepasst.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Persönlich

Ralf Rangnick (58), Englisch- und Sportlehrer, kickte selbst nur in der viertklassigen Ober­liga. Als Trainer ist er dafür notorisch erfolgreich: Aufstiege mit Ulm, Hannover und Hoffenheim. Coach in Stuttgart und auf Schalke, wo kein Trainer mehr Punkte im Schnitt holte als er: 1,89. 2011 erleidet er ein Burnout. Seit seiner Genesung 2012 ist er als Sportchef das Gesicht von RB Leipzig, führt den Klub von der 4. in die 1. Liga, 2015/16 ist er im Nebenamt Trainer. Führt drei Jahre lang auch die Geschäfte in Salzburg. Bilanz: 2 Meistertitel, 2 Cupsiege.

Ralf Rangnick (58), Englisch- und Sportlehrer, kickte selbst nur in der viertklassigen Ober­liga. Als Trainer ist er dafür notorisch erfolgreich: Aufstiege mit Ulm, Hannover und Hoffenheim. Coach in Stuttgart und auf Schalke, wo kein Trainer mehr Punkte im Schnitt holte als er: 1,89. 2011 erleidet er ein Burnout. Seit seiner Genesung 2012 ist er als Sportchef das Gesicht von RB Leipzig, führt den Klub von der 4. in die 1. Liga, 2015/16 ist er im Nebenamt Trainer. Führt drei Jahre lang auch die Geschäfte in Salzburg. Bilanz: 2 Meistertitel, 2 Cupsiege.

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?