Otto Pfister über seine wilde Trainerkarriere in Afrika
«Diktator Mobutu liess mich mitten in der Nacht abholen»

Wenn Otto Pfister (84) zurzeit vor dem TV den Afrika-Cup verfolgt, kommt nicht nur Fernweh auf, sondern auch ganz viele Erinnerungen.
Publiziert: 23.01.2022 um 20:47 Uhr
Michael Wegmann

In diesen Tagen sitzt Otto Pfister (84) regelmässig vor dem TV und schaut sich die Spiele des Afrika-Cups an. Ihm müssen diese wie eine Reise in die eigene Vergangenheit vorkommen. Denn der Wahlschweizer hat in seiner langen Trainerkarriere in zwölf (!) verschiedenen afrikanischen Ländern gearbeitet.

Pfisters Nomadenleben als Trainer beginnt 1972: Als der damalige Spielertrainer von Chur vor 50 Jahren als Nationaltrainer in Ruanda unterschreibt, ist er gerade mal 34-jährig. Nicht nur die Temperaturen, auch die politische Lage im kleinen zentralafrikanischen Land machen ihm zu schaffen.

Der schreckliche Völkermord, in dem 1994 innert 100 Tagen mehr als eine Million Menschen getötet werden, ist zwar noch Jahre entfernt. Der Konflikt zwischen der damaligen Hutu-Regierung und der Tutsi-Minderheit wird aber schon damals offen gelebt. «Ich habe zusehen müssen, wie sich die Menschen gegenseitig ihre Hütten angezündet haben», erzählt Pfister.

Der afrikanische Kontinent hat es Trainer Otto Pfister besonders angetan, da coachte er in zwölf verschiedenen Ländern.
Foto: EDDY RISCH
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Angst um sein eigenes Leben hätte er aber keine gehabt, sagt der Deutsche – «vielleicht auch, weil ich noch jung und ein wenig naiv war». Dass es unter diesen Umständen nicht einfach ist, ein Nationalteam zu leiten, ist offensichtlich. «Ich musste immer darauf schauen, dass ich ein ausgeglichenes Verhältnis von Hutus und Tutsis im Team hatte.» Pfister konzentriert sich auf seinen Job, mischt sich nicht in die Politik ein.

So wird er es auch in Zukunft halten – egal, wo auf dieser Welt er arbeitet. «Von Geld, Politik und Religion habe ich immer die Finger gelassen», sagt er. Wie auch von Voodoo-Praktiken und Zauberei, die in Afrika auch heute noch weitverbreitet sind.

Voodoo-Praktiken in Senegal

Als er Anfang der 80er drei Jahre als Nationaltrainer Senegals arbeitet, sieht er, wie ein Medizinmann seinem Goalie ein rotes Wässerchen zum Trinken gibt, damit dieser kein Tor kriegt. Das Zaubermittel hilft nicht, Senegal verliert. Pfister lacht und sagt: «Als ich den Mann fragte, weshalb das Getränk nicht gewirkt habe, sagte er: ‹Da gibts nur eine Möglichkeit: Der Goalie hat sich zuletzt in seinem Leben nicht korrekt verhalten.›»

Ab 1987 trainiert er für zwei Jahre die Nationalmannschaft der Demokratischen Republik Kongo, die damals noch Zaire heisst und noch alles andere als eine Republik ist, sondern von Diktator Mobutu, einem der grössten Despoten der Welt, beherrscht wird. Und weil Mobutu auch der grösste Fan der Nationalmannschaft ist, ist deren Erfolg immens wichtig für sein Prestige.

Mobutu bezahlt seinem Nationalteam vor dem entscheidenden Afrika-Cup-Qualifikationsspiel gegen Senegal ein vierwöchiges Trainingslager in Argentinien, weil dem grossen Maradona-Fan danach ist. Oder er lädt Trainer Pfister zum Essen ein, wenn er übers Team reden will.

Nicht immer ist es aber angenehm: Vor einem Spiel gegen Angola lässt Mobutu Pfister mitten in der Nacht von Soldaten abholen. Der Coach wird in einem Jeep ins Regierungsgebäude gefahren, wo der Diktator ihm mitteilt, dass er das Spiel besser gewinnen sollte, weil José Eduardo dos Santos, der Regierungschef von Angola, nicht sein bester Freund sei. Pfister: «Seither kann ich nur schmunzeln, wenn Trainer in der Schweiz oder Deutschland von Druck reden.» Trotz allem ist Pfister erfolgreich und qualifiziert sich mit dem Land für den Afrika-Cup.

Ein Spiel wird zur Staatsaffäre

1978 in Obervolta, seit 1984 heisst das Land Burkina Faso, ist er gar froh, dass sich die Regierung einmischt. Als bei einem Spiel gegen die Elfenbeinküste der gegnerische Goalie einen seiner Stürmer unglücklich trifft und dieser blutend zu Boden geht, artet das Spiel in eine Massenschlägerei aus. Fans beider Lager stürmen den Platz, gehen aufeinander los. Pfister: «Das Theater ging dann noch weiter: Unsere Fans belagerten danach zwei Tage das Teamhotel der Elfenbeinküste.» Das Spiel wird zur Staatsaffäre. «Zum Glück haben sich dann die beiden Staatschefs friedlich geeinigt.»

In Ghana Anfang der 90er-Jahre hat er eine andere Mission. Er soll eine starke Nachwuchsauswahl aufbauen. «Da hatte ich komplett freie Hand.» Also fährt er mit einem Bus durchs Land und sichtet junge Fussballer. Rund 250 Buben kriegen ein Aufgebot. Aus diesen wählt er in einem Sichtungsverfahren 25 Spieler aus.

Über ein Jahr bereitet er das Team in einem Fussballcamp vor – tägliches Training, Schule, geregelte Mahlzeiten. «Es war eine super Zeit», schwärmt Pfister. Und eine super erfolgreiche. Er wird mit der U17 von Ghana erst Afrikameister, dann 1991 gar sensationell Weltmeister. Es ist der erste Weltpokal für den Kontinent. «Es war der absolute Wahnsinn. Hunderttausend Menschen haben uns empfangen, dann tourten wir mit dem Bus eine Woche durchs Land. Alle jubelten uns zu.»

Von Superstar Eto'o getröstet

Danach übernimmt Pfister die A-Nationalmannschaft, die er 1992 in den Final des Afrika-Cups führt. Dieser geht im Penaltyschiessen gegen die Elfenbeinküste verloren. Trotzdem ist er ein Volksheld. Nach ihm werden in Ghana Strassen und gar ein eigener Modestil benannt. «Otto Pfister Style» nennt man die Art, die Hose weit unter der Hüfte zu tragen.

16 Jahre später steht Pfister erneut im Final des Afrika-Cups. Doch als Trainer von Kamerun verliert er diesen denkbar knapp mit 0:1 gegen Ägypten. In Erinnerung geblieben ist Pfister auch, wie sein damaliger Superstar Samuel Eto’o ihn danach im Hotelzimmer zu trösten versucht. «Er sagte zu mir: ‹Nimm es nicht so schwer. Wenn du in so einem Elend wie viele von uns Spielern aufgewachsen bist, ist eine Finalniederlage nicht so schlimm.› Das hat mich tief beeindruckt und ist mir geblieben.» Wie so vieles, was er erleben durfte.

Eto’o ist nur einer von vielen afrikanischen Fussballstars, die Pfister trainiert. Da sind auch die Ghanaer Samuel Kuffour, Abédi Pelé oder Anthony Yeboah, der Togolese Emmanuel Adebayor oder die kamerunischen Cousins Alex und Rigobert Song. Pfister nennt sie alle noch heute liebevoll «meine Buben».

Und wer gewinnt in diesem Jahr den Afrika-Cup? Pfister: «Ich tippe entweder auf Nigeria oder Marokko.» Bei all den Bildern aus Afrika kommt bei ihm auch ein wenig Fernweh auf. «Es juckt mich immer wieder», sagt der 84-Jährige Globetrotter, der 33 Jahre als Trainer auf dem afrikanischen Kontinent tätig war.

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