Er spricht über seine Krankheit, das Drama in seiner Jugend und die Bayern
Wie Babbel unter dem Suizid seines Bruders litt

Markus Babbel über den frühen Tod seines grossen Bruders und wie er diesen beim Schreiben seiner Biografie verarbeitete. Über seine schwere Krankheit. Und über seine Zeit in England zwischen Publikumsliebling und Alkohol-Eskapaden.
Publiziert: 04.01.2024 um 12:02 Uhr
|
Aktualisiert: 26.01.2024 um 13:57 Uhr
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Emanuel GisiSportchef

Blick: Markus Babbel, als Sie noch ein Teenager waren, hat sich ihr älterer Bruder umgebracht. Erst nach dem Suizid von Robert Enke sprachen Sie öffentlich darüber. Dabei wirken Sie nicht wie der Typ, der Dinge in sich reinfrisst.
Babbel: War ich aber lange. Als mein Bruder Gerhard Suizid beging, war ich 17. Ich war noch nie mit dem Tod in Berührung gekommen und war völlig verloren. Wie soll man als Jugendlicher auch mit so etwas umgehen? Kommt dazu, dass ich meinen Eltern nicht zur Last fallen wollte.

Sie haben nicht mal mit Ihren Eltern darüber gesprochen?
Kaum. Ich habe ja gesehen, wie gross ihre Trauer war. Ich habe immer schon ein sehr inniges Verhältnis zu meiner Mutter gehabt, darum wollte ich nicht ihre Aufmerksamkeit einfordern, während es ihr so schlecht ging. Gleichzeitig hat man damals auch mit seinen Freunden nicht über solche Themen geredet. Das war in dieser Zeit, Ende der Achtzigerjahre, einfach nicht vorgesehen.

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Blick-Experte Markus Babbel hat in seinem Leben schon viel gesehen.
Foto: TOTO MARTI
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War das eine gute Verarbeitungsstrategie?
Natürlich nicht.

Haben Sie sich Vorwürfe gemacht, dass Sie Ihrem grossen Bruder nicht helfen konnten?
Nein. Ich hatte ja keine Ahnung, ich wusste nicht einmal, dass es Depression als Krankheit gibt. Zwischendurch war ich aber stinkig auf ihn. Richtig wütend.

Warum?
Wie konnte er uns so ein Leid antun? Das habe ich zunächst überhaupt nicht verstanden. Wir waren so ein gutes Team, Gerhard und ich. Wir hätten so viel zusammen erreichen können. Und dann hat er sich einfach vor einen Zug geworfen. Ich hatte keine Ahnung, welche Qualen er zuvor durchgemacht haben musste.

Als Robert Enke im November 2009 dasselbe tat, haben Sie Gerhards Schicksal öffentlich gemacht.
Das war nicht geplant. Ich war damals Trainer beim VfB Stuttgart, ein Journalist hat mir wohl einfach im richtigen Moment die richtige Frage gestellt. Da habe ich es erzählt, weil ich das Gefühl hatte, damit etwas bewegen zu können. Depression war im Fussball und in unserer Gesellschaft zu lange ein Tabuthema. Zu lange wussten viele Menschen nicht, wie dramatisch diese Krankheit ist. Mir war damals wichtig, dass wir nach dem Tod von Robert Enke nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Markus Babbel (51)

Markus Babbel (51) spielte für Bayern München, den HSV, Liverpool, Blackburn und Stuttgart. Als Trainer stand er für Stuttgart, Hertha Berlin, Hoffenheim, Luzern und die Western Sydney Wanderers an der Linie. Der Verteidiger wurde 1996 mit Deutschland Europameister, holte mit Bayern und Liverpool je einmal den Uefa-Cup. Viermal holte er den deutschen Meistertitel (3x Bayern, 1x Stuttgart). 2001 wurde bei ihm das Guillain-Barré-Syndrom, bei dem die Immunabwehr des Erkrankten gestört ist und körpereigene Nervenzellen angegriffen werden, diagnostiziert, weshalb er seine Karriere unterbrechen musste. Heute arbeitet er unter anderem für Blick als Fussball-Experte. Zuletzt erschien seine Autobiographie «It's not only football».

Markus Babbel (51) spielte für Bayern München, den HSV, Liverpool, Blackburn und Stuttgart. Als Trainer stand er für Stuttgart, Hertha Berlin, Hoffenheim, Luzern und die Western Sydney Wanderers an der Linie. Der Verteidiger wurde 1996 mit Deutschland Europameister, holte mit Bayern und Liverpool je einmal den Uefa-Cup. Viermal holte er den deutschen Meistertitel (3x Bayern, 1x Stuttgart). 2001 wurde bei ihm das Guillain-Barré-Syndrom, bei dem die Immunabwehr des Erkrankten gestört ist und körpereigene Nervenzellen angegriffen werden, diagnostiziert, weshalb er seine Karriere unterbrechen musste. Heute arbeitet er unter anderem für Blick als Fussball-Experte. Zuletzt erschien seine Autobiographie «It's not only football».

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Wie geht es Ihnen heute damit?
Ich habe gerade meine Autobiographie herausgebracht. Für das Buch musste ich mich noch einmal richtig tief mit dem Schmerz, mit der Verzweiflung, mit allem, was dieser Suizid damals ausgelöst hat, beschäftigen. Das war wie eine Therapie. Früher bin ich aufgeschreckt, wenn irgendwo einer von einer Brücke gesprungen ist, vieles ist wieder hochgekommen. Heute habe ich das Gefühl, dass ich meinen Frieden gefunden habe. Es war Gerhards Entscheidung, zu sterben. Die haben wir zu akzeptieren, so schmerzhaft es auch ist.

Ist der Umgang mit psychischer Gesundheit im Sport seit Enkes Tod besser geworden?
Viel besser. Junge Spieler sind besser betreut, sie reden auch untereinander und mit ihren Betreuern darüber, was sie beschäftigt. Es ist auch nicht mehr so, dass man mentale Gesundheit als gottgegeben anschaut. Auch daran kann man arbeiten, das wissen die Trainer heutzutage, während es früher halt hiess: «Der kann mit Druck nicht umgehen.» Und fertig.

Ein Ex-Profi, der nicht über die neue Generation schimpft?
Ich finde ja auch nicht alles gut. Aber wenn es um den Umgang mit der eigenen Psyche und übrigens auch mit dem eigenen Körper geht, sind sie einen grossen Schritt weiter als wir damals.

Babbel über die Bayern

Vor dem Testspiel des FC Basel gegen die Bayern schätzt Bayern-Insider Babbel (Ex-Bayern-Junior, später über 250 Spiele für den Klub) die Lage beim deutschen Rekordmeister ein. 

Wie ordnen Sie die Geschehnisse der vergangenen Monate an der Säbener Strasse ein?
Markus Babbel: Die Bayern machen im Moment keine glückliche Figur. Nehmen wir das letzte Transferfenster. Da wollte man einen Tag vor Transferschluss plötzlich noch einen Sechser holen, weil man merkte, dass der Kader nicht ausreicht. Der kam dann nicht, weil der abgebende Klub keinen Ersatz auftreiben konnte. So schlecht organisiert kennt man die Bayern eigentlich nicht.

Woran liegt das?
Es gibt keine Konstanz in der Führungsetage. Die Personalie Oliver Kahn als CEO hat überhaupt nicht funktioniert.

Warum?
Olli war zu Aktivzeiten Torwart. Ein Einzelkämpfer. Der hat früher die Woche über für sich trainiert und dann am Wochenende mit uns das Spiel bestritten. Er ist nicht der Typ, der eine Gruppe mitreisst. Das ist nicht seine Schuld, aber man hätte das sehen können.

Kahn und Ex-Sportchef Salihamidzic sind jetzt weg, die alten Granden Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge wieder da. Die Probleme aber auch immer noch.
Dass nicht alles von heute auf morgen wieder funktionieren kann, das ist auch klar. Der neue Sportdirektor Christoph Freund braucht noch etwas Zeit. Und Kalle und Uli scheinen mir nicht mehr in allen Fragen ganz so nah dran zu sein. Manchmal hat man den Eindruck, Trainer Thomas Tuchel muss sich zu allen möglichen Dingen äussern, weil ihm niemand den Rücken freihält, weder Präsident Hainer noch CEO Dreesen. Das war bei Nagelsmann schon so.

Zuletzt hat er sich mit den Experten Lothar Matthäus und Didi Hamann öffentlich gezofft. Das wirkte ein bisschen dünnhäutig.
Dünnhäutig? Wenn einer euch Journalisten mal ein bisschen Kontra gibt, gilt er gleich als dünnhäutig! Mir hat das gefallen. Da hat sich Thomas hingestellt und angesagt, dass er sich nicht alles gefallen lässt. Ich fand das Bayern-like. Top.

Wann wirds wieder ruhig in München?
Der Winter wird sicher noch einmal stürmisch, weil es auf dem Transfermarkt die Fehler des Sommers auszubügeln gilt. Und dann werden wir sehen. Irgendwann müssen Hoeness und Rummenigge den Klub ja endgültig übergeben. Im Moment ist vieles an der Säbener Strasse ungewiss. Das ist ungewohnt.

Vor dem Testspiel des FC Basel gegen die Bayern schätzt Bayern-Insider Babbel (Ex-Bayern-Junior, später über 250 Spiele für den Klub) die Lage beim deutschen Rekordmeister ein. 

Wie ordnen Sie die Geschehnisse der vergangenen Monate an der Säbener Strasse ein?
Markus Babbel: Die Bayern machen im Moment keine glückliche Figur. Nehmen wir das letzte Transferfenster. Da wollte man einen Tag vor Transferschluss plötzlich noch einen Sechser holen, weil man merkte, dass der Kader nicht ausreicht. Der kam dann nicht, weil der abgebende Klub keinen Ersatz auftreiben konnte. So schlecht organisiert kennt man die Bayern eigentlich nicht.

Woran liegt das?
Es gibt keine Konstanz in der Führungsetage. Die Personalie Oliver Kahn als CEO hat überhaupt nicht funktioniert.

Warum?
Olli war zu Aktivzeiten Torwart. Ein Einzelkämpfer. Der hat früher die Woche über für sich trainiert und dann am Wochenende mit uns das Spiel bestritten. Er ist nicht der Typ, der eine Gruppe mitreisst. Das ist nicht seine Schuld, aber man hätte das sehen können.

Kahn und Ex-Sportchef Salihamidzic sind jetzt weg, die alten Granden Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge wieder da. Die Probleme aber auch immer noch.
Dass nicht alles von heute auf morgen wieder funktionieren kann, das ist auch klar. Der neue Sportdirektor Christoph Freund braucht noch etwas Zeit. Und Kalle und Uli scheinen mir nicht mehr in allen Fragen ganz so nah dran zu sein. Manchmal hat man den Eindruck, Trainer Thomas Tuchel muss sich zu allen möglichen Dingen äussern, weil ihm niemand den Rücken freihält, weder Präsident Hainer noch CEO Dreesen. Das war bei Nagelsmann schon so.

Zuletzt hat er sich mit den Experten Lothar Matthäus und Didi Hamann öffentlich gezofft. Das wirkte ein bisschen dünnhäutig.
Dünnhäutig? Wenn einer euch Journalisten mal ein bisschen Kontra gibt, gilt er gleich als dünnhäutig! Mir hat das gefallen. Da hat sich Thomas hingestellt und angesagt, dass er sich nicht alles gefallen lässt. Ich fand das Bayern-like. Top.

Wann wirds wieder ruhig in München?
Der Winter wird sicher noch einmal stürmisch, weil es auf dem Transfermarkt die Fehler des Sommers auszubügeln gilt. Und dann werden wir sehen. Irgendwann müssen Hoeness und Rummenigge den Klub ja endgültig übergeben. Im Moment ist vieles an der Säbener Strasse ungewiss. Das ist ungewohnt.

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2001 folgte der nächste Schicksalsschlag. Sie erkrankten, mittlerweile Spieler bei Liverpool, am Guillain-Barré-Syndrom, einer schweren Nervenerkrankung, waren zwischenzeitlich halbseitig gelähmt. Wie haben Sie diese Krankheit besiegt?
Die Disziplin aus dem Fussball hat mir geholfen. Ich habe meine Physio-Übungen bekommen, sie ausgeführt und nach und nach Fortschritte gemacht. Ich war auch sehr gut betreut. Aber ich hatte Glück, dass ich wieder Fussball spielen konnte. Mein Arzt sagte mir am Anfang, dass Gehen sicher wieder möglich sei. Sport? Ungewiss. Profisport? Sowieso.

Sie waren damals innert kürzester Zeit Publikumsliebling in Liverpool geworden. Nach Ihrer Krankheit waren Sie sportlich nicht mehr derselbe.
Das ist das Einzige, was ich in meiner Karriere wirklich bedauere: Dass ich nur eine richtige Saison in Liverpool hatte. Dass ich dort so gut ankommen würde, konnte ich nicht ahnen. Von Bayern München war ich mir gewohnt, dass die Offensivspieler die Stars sind. Aber in England wurde auch eine geile Grätsche frenetisch gefeiert. Das war phänomenal, eine völlig neue Erfahrung für einen Verteidiger wie mich.

Sie sind dann von Liverpool nach Blackburn gegangen …
… und in einer anderen Welt gelandet. In Liverpool war Gérard Houiller der Trainer, da haben wir nach dem aktuellen Stand der Sportwissenschaft trainiert. Blackburn unter Graeme Souness dagegen war alte englische Fussballkultur.

Heisst?
Es wurde viel gesoffen. Wenn es nicht lief, gabs diese Kurz-Trainingslager: drei, vier Tage auf Mallorca oder so. Da hat sich die Mannschaft jeden Abend mit Alkohol weggeballert. Und alle mussten mitmachen, du durftest nicht gehen, bevor du nicht sternhagelvoll warst. Einzig mein türkischer Teamkollege Tugay war als Muslim davon dispensiert.

Klingt nicht nach Profi-Fussball.
Manchmal hat es sogar geholfen und die Mannschaft begann wieder zu gewinnen. Und ich gebe zu, dass mir das eine Zeit lang auch Spass gemacht hat. Gerade nach der schweren Krankheit wollte ich gewisse Dinge etwas lockerer nehmen.

Sie sind also auch da nicht zum Psychologen gegangen?
Nein. Ich hätte psychologische Hilfe gebraucht, aber so schlau war ich damals eben noch nicht. Kam dazu, dass mein Englisch nicht so gut war, um mit einem englischen Psychologen wirklich in die Tiefe gehen zu können. So habe ich in Blackburn auch neben dem Platz einiges mitgenommen. Ich habe da viel dafür getan, dass meine Leistung nicht mehr stimmen konnte.

Alkohol als Therapie?
Ich bin eine Zeit lang viel um die Häuser gezogen. In England hast du es als Fussballer sehr leicht, beim weiblichen Geschlecht anzukommen. Die Verlockungen waren gross und ich habe das eine Weile ausgenutzt. Aber ich habe irgendwann einmal gemerkt, dass mich das nicht ausfüllt. Darum wollte ich im Sommer 2004 weg aus England. Sonst hätte es mit mir nicht gut geendet.

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