So trauern Jorges Weggefährten
«Man hatte das Gefühl, er rede mit seinem Schnauz»

Einen der bekanntesten Schnäuze der Schweizer Fussballgeschichte gibt es nicht mehr. Die Reaktionen zum Tod von Artur Jorge.
Publiziert: 22.02.2024 um 20:00 Uhr
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Aktualisiert: 22.02.2024 um 21:04 Uhr
Der Schnauz: das Markenzeichen von Artur Jorge.
Foto: Blicksport
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Hans-Peter Zaugg: «Er hat niemandem vorgängig Bescheid gegeben»

Der Chef und sein Assistent: Artur Jorge (l.) und Hans-Peter Zaugg (M.).
Foto: Keystone

«Es gab zwei verschiedene Artur Jorge. Wenn ich mit ihm alleine war, dann hat er oft gelacht und Sprüche gemacht. Doch sobald die Mannschaft oder Journalisten anwesend waren, fühlte er sich nicht mehr wohl und wirkte verschlossen. Warum das so war? Möglicherweise war er damals nach seiner Hirn-Operation gesundheitlich noch nicht so weit, um diese Aufgabe als Nati-Trainer gut ausfüllen zu können.

Dass dadurch viele Leute das Gefühl hatten, er sei ein Komischer, kann ich rückblickend nachvollziehen. Er hätte einfach offener kommunizieren müssen. Auch, als er Alain Sutter und Adrian Knup für die EM 1996 ausgebootet hatte. Irgendwann fragte er mich: Was passiert, wenn ich die beiden mitnehme, sie aber nicht spielen lasse? Ich antwortete ihm, das käme nicht gut. Daraufhin meinte er nur: Dann lasse ich sie lieber zu Hause. Ich unterstützte danach diesen Entscheid, sagte ihm aber, er müsse das sauber kommunizieren. Wie er es dann aber den Spielern und Medien mitgeteilt hat, war eine Katastrophe. Er hat niemandem erklärt, dass die zwei nicht zu seiner Spielphilosophie passen, sondern einfach gesagt, dass er auf Sutter und Knup verzichten werde. Nicht einmal dem Delegierten der Nati hat er vorgängig Bescheid gegeben.

Als er Jahre später Trainer von ZSKA Moskau war, habe ich ihn wieder getroffen. Da war er ein ganz anderer Mensch als zu seiner Zeit als Nati-Trainer. Er hat mich umarmt und wir hatten spannende und lustige Diskussionen. Artur war ein feiner Mann und er hatte – auch wenn das damals einige nicht glauben konnten – sehr viel Ahnung vom Fussball.»

Hans-Peter Zaugg (71) war 1996 Assistent von Nati-Trainer Artur Jorge. Heute ist Zaugg Sportchef des FC Solothurn.

Sascha Ruefer: «Man hatte das Gefühl, er rede mit seinem Schnauz»

Legendär: Der junge Sascha Ruefer (mit Brille) und Artur Jorge.
Foto: Keystone

«Ich erinnere mich noch an den Tag, als die Bombe platzte. Es war kurz vor der EM 1996, Kaderbekanntgabe-Pressekonferenz im Grand Hotel Dolder in Zürich. Ich wurde als junger Radioreporter da hingeschickt, weil der legendäre Fredy Hunkeler, der hauptsächlich die Nati betreute, nicht hingehen konnte. So kam ich zum Einsatz und wurde Zeuge, wie Artur Jorge verkündete, dass Sutter und Knup für die EM nicht nominiert werden würden. Das haben die jüngeren Fans vielleicht gar nicht so auf dem Zettel – aber die Ikone Alain Sutter nicht aufzubieten, das war, wie wenn man heute Granit Xhaka zu Hause lassen würde. Jorge und die Nati, das war am Ende ein Missverständnis. Auch, weil seine öffentlichen Auftritte – er konnte kaum Englisch und überhaupt kein Deutsch – das Publikum zum Teil verdutzt zurückliessen. Wenn man mit ihm ein Interview hatte, hatte man das Gefühl, er rede mit seinem Schnauz, so nach innen gekehrt war er. Ich habe ihn Jahre später an einem Anlass getroffen, da war er ein anderer Mensch. Sehr gesprächig und mit teils lustigen Erinnerungen an seine Zeit in der Schweiz.»

Sascha Ruefer (52) stösst 1995 zum Schweizer Radio DRS und berichtet als jüngster Livekommentator von der Fussball-EM in England.

Kubilay «Kubi» Türkyilmaz: «Ich habe gute Erinnerungen an ihn»

Legendär: Kubi bejubelt seinen Penaltytreffer beim 1:1 gegen England im Wembley.

«Ich habe gute Erinnerungen an Artur Jorge. Er brachte eine total andere Mentalität in die Nati. Während Roy Hodgson alles bestimmen und entscheiden wollte, war Jorge da ganz anders. Er betrachtete uns als mündige Profis, denen man nicht alles vorschreiben musste. Jorge war einer, der sich so ziemlich um alles foutierte, was war. Wenn einer nicht in Form war, spielte er nicht. Basta. Egal, wie er hiess. Diplomat war der Portugiese gewiss nicht. Es war allerdings für ihn sehr schwierig, denn alle – Spieler und Funktionäre – fokussierten sich immer noch auf Hodgson, obwohl der längst weg war. So kriegte er nie eine echte Chance.»

Kubilay «Kubi» Türkyilmaz (56) lief 62 Mal für die Schweizer Nati auf und erzielte 34 Tore. Unvergessen bleibt sein Penaltytreffer an der EM 1996 im Wembley gegen England.

Stéphane Chapuisat: «Für mich schliesst sich ein Kreis»

Ohne Sutter und ohne Knup: Die Schweizer EM-Elf 1996.
Foto: foto-net / Kurt Schorrer

«Herzliches Beileid an die Trauerfamilie von Artur Jorge. Ich werde ihn in gebührender Erinnerung behalten. Es war für ihn damals als Nationaltrainer und Nachfolger von Roy Hodgson keine einfache Zeit. Er hatte Ideen, mit denen nicht alle gleich gut umgehen konnten. Aber wenn man seinen Werdegang anschaut, kann man nur den Hut ziehen: Artur konnte grosse Erfolge feiern. Mit der Trauerminute vor dem Spiel Sporting gegen YB schliesst sich für mich ein Kreis.»

Stéphane Chapuisat (54) absolvierte 103 Länderspiele für die Schweiz und erzielte 21 Tore. Mit der Nati qualifizierte er sich für die WM 1994, die EM 1996 und die EM 2004.

Stéphane Henchoz: «Er war sehr menschlich, angenehm, ruhig»

Henchoz (r.) und Quentin (l.) nehmen Englands Sheringham ins Sandwich.

Ich persönlich habe gute Erinnerungen an ihn. Ich war ein junger Verteidiger, als er ankam. Ich hatte gerade das Ausland, in Hamburg, entdeckt, und er liess mich spielen, mit ihm begann ich wirklich als Starter im Schweizer Team. Unter ihm habe ich mir die EM 1996 verdient. Was gegen ihn wirkte, glaube ich, waren seine mangelnden Kenntnisse des Schweizer Fussballs und die Tatsache, dass er nicht oft im Land war. Dieser Mangel an Wissen führte dazu, dass er sich nicht für Adrian Knup und Alain Sutter entschied. Es stimmt, dass die Beziehung zwischen der Schweiz und ihm nie reibungslos verlief. Innerhalb des Teams lief es gut, aber die Menschen um ihn herum, im Stab, halfen ihm nicht unbedingt bei seiner Aufgabe. Am Ende können wir ja sagen, dass es ein Besetzungsfehler war, dass er dort gelandet ist.

Er war sehr menschlich, sehr angenehm, sehr ruhig. Ich erinnere mich an eine lange Diskussion mit ihm in Lugano, wo wir im Trainingslager waren, wo er sich für den jungen Spieler und den Mann interessierte, der ich war. Es überrascht mich nicht, dass er das Etikett eines humanistischen Trainers trägt, ich konnte es selbst überprüfen. Ich hatte das Gefühl, dass er mich mochte, und das gab mir Selbstvertrauen.

Ich bin ein wenig traurig, dass er dieses Bild in der Schweiz hatte und diese Erinnerung hinterlassen hat. Meiner Meinung nach habe ich ein gutes Bild von ihm, auch wenn mir bewusst ist, dass man bei ihm von einem Besetzungsfehler sprechen könnte.»

Stéphane Henchoz (49) trug 72 Mal das Nati-Trikot und spielte bei den Europameisterschaften 1996 und 2004.
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