Sport in Kriegszeiten
Für einmal hat die Fifa den Ton getroffen

Der Sport kann sich Diskussionen in Kriegs- und Krisenzeiten immer weniger entziehen. Das zeigt gerade der Konflikt in Israel und dem Gaza-Streifen, schreibt Oliver Görz im Newsletter Steilpass.
Publiziert: 19.10.2023 um 14:54 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2023 um 19:47 Uhr
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Oliver GörzBlattmacher Sport

An der Frage, ob Sport und Politik strikt voneinander zu trennen sind, scheiden sich seit jeher die Geister. Die Olympische Bewegung kennt diese Diskussion nur zu gut, ihre Geschichte ist gesät von Boykotten, Boykott-Drohungen und Ausschlüssen in Folge politischer Auseinandersetzungen. Auch der Fussball – das haben nicht zuletzt der Ukraine-Krieg und die WM in Katar gezeigt – kann sich dieser Fragestellung immer weniger entziehen. 

Wir als Gesellschaft sind in unserer Haltung dabei recht wankelmütig. In Kriegs- und Krisenzeiten werden die Rufe nach einem klaren politischen Statement des Sports regelmässig lauter. Wenn’s gerade nicht so passt, wird Sportlern hingegen gerne mal gesagt, sie hätten doch bitte weitgehend unpolitisch zu sein. 

Fifa-Präsident Gianni Infantino findet für einmal die richtigen Worte.
Foto: DUKAS
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Schon 1936 war die Stimmungslage alles andere als einhellig. Damals forderten Menschen in vielen Ländern der Welt das Fernbleiben ihrer Sportler von den Nazi-Spielen in Berlin. Doch am Ende liessen lediglich Spanien und die Sowjetunion ihre Athleten zu Hause. An der Spitze jener, die sich erfolgreich gegen den Boykott stemmten, stand damals ein gewisser Avery Brundage, seinerzeit Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der USA. Jahrzehnte später war der Mann IOC-Präsident – und fiel als solcher immer wieder durch seine rassistisch geprägte Geisteshaltung auf. 

So war es Brundage, der die aus Protest gegen Rassismus zum Himmel gereckten Fäuste der afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei Olympia 1968 als «geistig verwirrte Aktion gescheiterter Charaktere» verunglimpfte. Auf sein Drängen hin wurden die beiden Medaillengewinner vom US-Team suspendiert und aus dem olympischen Dorf geworfen. Vier Jahre später demonstrierte der oberste Sportfunktionär erneut seine Macht, als er nach dem Olympia-Attentat von München, bei dem palästinensische Terroristen elf israelische Athleten und Trainer ermordeten, alle Bedenken vom Tisch wischte und die Fortsetzung der Spiele verkündete: «The Games must go on.»

München 1972 als Dogma

Weiter, immer weiter, nur nicht innehalten – das ist seit jenen traurigen Tagen im September 1972 zu einer Art Dogma des Sports geworden. Umso beachtlicher ist, was am Montag in Brüssel beim EM-Qualispiel zwischen Belgien und Schweden passierte. Als Spieler und Trainer beider Teams in der Halbzeit informiert wurden, dass zwei schwedische Fans durch einen offenbar islamistisch motivierten Attentäter erschossen worden seien, gab es für sie nur eine Entscheidung: das Spiel abzubrechen. Nicht etwa aus Sicherheitsbedenken, denn die gab es laut den Verantwortlichen vor Ort nicht. Nein, schlicht aus Erschütterung über das Geschehene und Mitgefühl für die Opfer. 

Der Krieg in Israel und dem Gaza-Streifen ist nun also der jüngste Konfliktherd, an dem auch der Sport wieder in seiner politischen Haltung gefordert ist. Und hier prallen – ebenso wie ausserhalb des Sports – Welten aufeinander. Die islamische auf der einen sowie die jüdische und christliche auf der anderen Seite. So musste der Fussball in den letzten Tagen erleben, wie namhafte Spieler über die sozialen Medien mit Schuldzuweisungen in Richtung Israel und der unkritischen Verbreitung islamistischer Propaganda Öl ins Feuer gossen. 

Einige reagieren, andere nicht

Klubs wie Nizza und Mainz zogen sofort Konsequenzen und suspendierten ihre Spieler Youcef Atal beziehungsweise Anwar El Ghazi. Bei anderen wie Tunesien-Star Noussair Mazraoui vom FC Bayern steht eine Reaktion des Klubs noch aus. Dagegen hat der französische Weltfussballer Karim Benzema trotz seines unmissverständlichen Anti-Israel-Post nichts zu befürchten, er spielt schliesslich seit dem Sommer bei Al-Ittihad in Saudi-Arabien. Dafür dürfte der Ausnahme-Kicker bei vielen zumindest in Europa in seinem Ansehen in die unterste Schublade gerutscht sein.

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Den Ton getroffen hat indes – für einmal – die viel gescholtene Fifa, die sich in einem offenen Brief ihres Präsidenten Gianni Infantino vor einigen Tagen zu Wort meldete. Der Fussball stehe «absolut solidarisch zu den Menschen in Israel und Palästina», schrieb der Walliser. Wobei mit Menschen keine Terroristen gemeint sein dürften, weshalb die Aussage wohl im Sinne der gesamten Fussballwelt ist. Und Infantino ergänzte einen bemerkenswerten Satz: Der Fussball zeige, «dass es möglich ist, Menschen in einem Umfeld des gegenseitigen Respekts zusammenzubringen und so Frieden und Versöhnung zu fördern». Der Fussball quasi als Vorbild für die Politik. Politischer kann Sport nicht mehr sein.

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