Die Leidensgeschichte von YB-Edelfan Bänz Friedli
So wird sein Lieblingsklub endlich wieder Meister

Luzern, Aarau, St. Gallen, Sion, Xamax, Servette, GC, Basel und der FCZ – alle wurden seit 1986 Meister, nur «wir» nicht. Ein Fan über die geschundene YB-Seele.
Publiziert: 05.11.2017 um 14:06 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 06:40 Uhr
Bänz Friedli
YB-Edelfan Bänz Friedli
Foto: Marco Zanoni

Wann entschuldigt sich «Blick»-Kolumnist Kubilay Türkyilmaz eigentlich bei Steve von Bergen? Dafür, dass er ihn schon vor dieser Saison in den Boden gestampft hat? Mit einem Innenverteidiger, dessen Verfallsdatum derart überschritten sei, könnten die Young Boys unmöglich die Meisterschaft gewinnen, schwadronierte Kubi.

Und was geschah? Von Bergen, der noch im Frühjahr oft einen Tick zu unpräzis agierte, fand just auf den Beginn der neuen Meisterschaft zu alter Form

zurück. Der YB-Captain spielt eine sehr gute Saison. Er ist ein Leader beim Leader.

Okay, wenn ich es von Türkyilmaz verlange, müsste ich mich eigentlich auch entschuldigen. Auch ich hatte Von Bergen diese Rückkehr nicht zugetraut. Und dass YB heute Sonntag Gelegenheit haben würde, den ewigen Meister Basel um satte zehn Punkte zu distanzieren, nach erst vierzehn Runden – wer mir dies vorausgesagt hätte, dem hätte ich noch im Juli geantwortet, er sei ein Phantast.

YB-Kapitän Steve von Bergen
Foto: imago

Ich sass im holländischen Städtchen Doetinchem vor einem Burger mit Frites und prostete mir selber zu, weil unsere Schweizer Frauen an der EM im Stadion De Vijverberg soeben die Isländerinnen so heroisch gebodigt hatten. Da erreichte mich aus der Heimat die Nachricht, YB habe zum Auftakt den FC

Basel geschlagen. Ach ja, die Young Boys gibts ja auch noch, dachte ich bei mir. Aber am Ende sind sie ja dann doch wieder nur Zweite. Wie 2004, 2008, 2009, 2010, 2015, 2016, 2017 … Wie immer.

«I bi jitz föifezwänzg Jahr positiv gsy»

Ein Zweckpessimismus, der uns YB-Fans ins Blut übergegangen ist. Die letzten 31 Jahre haben uns Skepsis gelehrt: 1986 der elfte und bisher letzte Meistertitel. Danach wurden alle Meister, Luzern, Aarau, St. Gallen, Sion, Xamax, Servette und GC, Basel und der FCZ – alle, nur «wir» nicht. Im entscheidenden Augenblick «veryoungboyste» YB es stets. Zweimal verlor unser Team eine Finalissima gegen Basel.

Nirgends wird die wunde YB-Seele so offenbar wie in einer Szene des Films «Meisterträume» von 2010. Im Herbst noch hatte YB mit 13 Punkten vorne gelegen. Grund genug für ein DokFilmteam, die Young Boys im Frühling zum Titel begleiten zu wollen, zum ersten seit Urzeiten. Es kam anders.

Die Schlüsselszene zeigt, wie die Materialwarte Minder Henä und Imboden Housi, trotz Pensionsalter zwei Bübchen für alles im YB-Tross, nach dem zweitletzten Spiel im Privatauto dem Mannschaftsbus hinterhertuckern. Ihr Dialog, von einer Kamera festgehalten, ist das Gespräch zweier alter Grantler. Ein Schlagabtausch, so kurios wie diejenigen der beiden Greise in der «Muppet Show». Es ist der 13. Mai 2010, YB hat auf der «Gersag» in Emmenbrücke gegen Luzern 1:5 verloren. Noch ist der Titel in der Finalissima gegen Basel möglich, aber Henä mag nicht mehr daran glauben. «Jitz bis doch mal positiv!», fordert Housi ihn auf. Antwort Henä: «I bi jitz föifezwänzg Jahr positiv gsy.» Sprich: YB wird es im allerletzten Moment vermasseln, wie 1993, wie 2008 …

Hängende Köpfe bei Yapi, Doumbia und Co. – YB verliert 2010 gegen Luzern mit 1:5.
Foto: KEY

Irrungen und Wirrungen der fussballfernen Geldgeber

Die Szene hat in YB-Kreisen mindestens so Kultcharakter wie der irre Big-Mac-Dialog von John Travolta und Samuel L. Jackson in «Pulp Fiction» unter Cineasten. Henä hat lange genug gelitten und will sich vor weiteren Enttäuschungen schützen. Viele Fans haben sie verinnerlicht, diese trotzige Skepsis. Selbst diesmal will mein Kumpel Dänu erst dann an den Titel glauben, «wenn YB zwei Runden vor Schluss acht Punkte Vorsprung hat». Auf den Einwand, sieben Punkte würden doch reichen, mault er: «Sicher isch sicher.»

Seit dem Einzug ins neue Stadion 2005 hinderten Irrungen und Wirrungen der fussballfernen Geldgeber die Young Boys am grossen Erfolg. 2010 etwa entglitt der sicher geglaubte Titel, weil der Verwaltungsrat dem Trainer Vladimir Petkovic verbot, Gilles Yapi einzusetzen. Der filigrane Stratege hatte schon im Winter bei Basel unterschrieben, stand aber noch im YB-Kader. Petkovic haderte, setzte Yapi mal ein, dann wieder nicht, verlor seine klare Linie und … siehe oben.

Derweil machte der FC Basel unter der Führung von Bernhard Heusler und Georg Heitz alles richtig. Alles, vom Ernährungsplan eines Juniorengoalies bis zur Vermarktung der ersten Mannschaft, war höchst professionell. Nicht so bei YB.

Bis «Wuschu» übernahm: Christoph Spycher, der Alt-Internationale, der so nett wirkt und so knallhart durchgriff.

Christoph Spycher ist seit September 2016 Sportchef bei YB.
Foto: Manuel Geisser

  In seinem allerersten TV-Interview gab er dem Verwaltungsrat, der ihn eben als Sportchef eingesetzt hatte, zu verstehen, dass er keine Einmischung in fussballerische Belange dulden würde. Zusammen mit Adi Hütter, dem besten Trainer seit YB-Gedenken, schaffte Spycher es binnen weniger Monate, Geld zu sparen und das Team dennoch erfolgreicher zu machen. Welch Spagat!

Spycher löste teure Rentenverträge aus der Ära Fredy Bickel auf, verjüngte die Equipe und bewies mit Zuzügen wie denjenigen der Torgaranten Assalé und Nsame – von den Fans längst zum «Sali-zäme-Sturm» eingebernert – eine gute Hand. Er verkaufte Zakaria und Ravet gewinnbringend, ohne dass das Spiel darunter gelitten hätte. «Wuschu», ein Teddybär mit Chefqualitäten. Sein grösstes Kunststück war, Guillaume Hoarau zwar nicht anzutasten, die Mannschaft aber vom verletzungsanfälligen Star unabhängig zu machen. Hoarau geniesst in der Bundesstadt nahezu Heiligenstatus, ihm wird jeder gerauchte Joint verziehen. Der Fanshop bietet ein Duschgel mit seinem Antlitz feil, Aufschrift «Torriecher». Doch die Tore schiessen andere. Hoarau hat erst neun Pflichtspiele absolviert, Christian Fassnacht deren 24.

Das Traumduo Hütter/Spycher

Hütter/Spycher – eine solch herausragende sportliche Führung hatte YB noch nie. Eine Kräfteverschiebung, denn: Gleichzeitig hat der FC Basel unter Beifall und Zustimmung seiner Vereinsmitglieder das eigene Erfolgsgefüge zertrümmert, die besten Torschützen entlassen, einen wackligen Neuanfang verfügt und damit dem Schweizer Fussball eine Spannung geschenkt, wie man sie seit acht Jahren nicht kennt. Dankeschön!

Der «Sali-zäme-Sturm» – Nsame (l.) und Assalé sind YBs Sturmgranaten.
Foto: freshfocus

Ach, YB … Es ist eine lange Geschichte mit uns beiden, seit der Vater einer Freundin mich 1977 mal auf die Wankdorf-Tribüne mitnahm. YB verlor gegen Servette, aber um mich wars geschehen. 1982 durfte ich im Matchprogramm, der «YB-Zytig», meine ersten Zeilen veröffentlichen, als 17-Jähriger.

Hunderte Male berichtete ich später für Radio und Presse über YB-Spiele. «E letschte Journi hockt no da u hacket no di letschte Zile i Computer, u dr Platzwart isch am Wüsche …» Die Strophe aus dem Züri-West-Song «Hüt hei sii wieder mal gwunne» könnte von mir handeln. Ich feilte auf Platz 52, Sektor D, jeweils so lang an meinen Texten, bis die Drucker nervös wurden und anriefen, ich solle vorwärts machen. Ich wollte es auch immer besonders gut machen! Nach einer Niederlage im gähnend leeren, vom Betonkrebs zerfressenen alten Stadion baute ich mal ein Hölderlin-Gedicht ein: «Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.»

Tristesse: Sie war das Grundgefühl jener YB-Tage. In Bern begann man, damit zu flirten. Bald war man vernarrt in die Rolle der ewigen Loser. Noch im Mai dieses Jahres – ehe die alte Saison auch nur abgeschlossen war – stand im Geleitwort der Mitgliederzeitschrift «YB Mag» schwarz auf hochglanzweiss, man werde «die Krösusse vom Rheinknie» auch 2017/18 ohnehin nicht gefährden können. Und ich dachte: «Himmel, Heiland! Dann bleibt doch gleich daheim, wenn ihr sowieso verlieren wollt …»

Ob den Young Boys der Coup heute gelingt? Es hängt auch davon ab, welches Gesicht der FCB zeigt. Er spielte diesen Herbst bald galaktisch, bald sackschwach. Und wir YB-Fans fürchten uns ein wenig davor, Wundertüte Basel könnte plötzlich auch national so tolle Leistungen erbringen wie in der Champions League. Aber, ehrlich gesagt, die Furcht vor Basel war schon grösser. Das Wichtigste für YB wird sein, sich von Grossmaul Renato Steffen nicht provozieren zu lassen und das eigene Spiel aufzuziehen. Neuerdings hat YB das Selbstbewusstsein des Leaders und gewinnt auch «hässliche» Matches.

«Da mussma ’an Mund abbutzn, die drei Bbunkte mitnehm’n und net imma glänzn!», sagte Adi Hütter nach dem glücklichen 1:0 in Sion ganz cool. Und hängte den Hinweis an, solche Spiele habe Basel letzte Saison gewonnen.

Wird YB ja doch nie Meister?

Meisterfeier am 24.Mai 1986 – Lars Lunde wird von den YB-Fans nach dem 4:1 in Neunburg bejubelt.
Foto: Andreas Blatter

Und wo war ich vor 11 488 Tagen, am 24. Mai 1986? Lange Jahre behauptete ich stets, ich hätte die Meisterfeier verpasst, weil ich im Gemeinderat gesessen habe. Blutjung war ich in die Exekutive von Wohlen bei Bern gewählt worden, für eine grüne Bürgerinitiative. Grün war ich vor allem hinter den Ohren. Vor einigen Monaten klärte eine alte Schulkollegin mich auf, das sei gar nicht möglich, YB sei an einem Samstag Meister geworden, und der Gemeinderat habe doch donnerstags getagt. Stimmt.

Offenbar hatte ich schlicht nicht daran geglaubt, dass es YB schon in der vorletzten Runde in Neuenburg schaffen würde, und blieb daheim. War ich denn schon damals ein Skeptiker?

Ironie des Schicksals: In meinem aktuellen Kabarett-Programm «Ke Witz!» ist immer wieder die Rede davon, dass YB ja doch nie Meister werde. Anscheinend klage ich das YB-Leid so intensiv, dass ein Kritiker befand, das Programm könnte genauso gut «YB forever!» heissen. Meine Tour dauert länger als die laufende Meisterschaft. Wenn geschieht, was ich noch gar nicht auszusprechen wage, müsste ich mein Programm abändern. Nichts täte ich lieber als das.

Bänz Friedli

Der Autor und Kabarettist Bänz Friedli (52) ist seit Kindsbeinen YB-Fan und berichtet davon in seinem aktuellen Programm «Ke Witz! Bänz Friedli gewinnt Zeit». Bekannt wurde Friedli mit seinen «Pendlerregeln» und als Kolumnist des «Migros-Magazins». 2015 wurde er mit dem bedeutenden Kabarettpreis «Salzburger Stier» ausgezeichnet. Soeben ist von ihm das Kinderbuch «Machs wie Abby, Sascha!» über ein fussballbegeistertes Mächen erschienen.

Der Autor und Kabarettist Bänz Friedli (52) ist seit Kindsbeinen YB-Fan und berichtet davon in seinem aktuellen Programm «Ke Witz! Bänz Friedli gewinnt Zeit». Bekannt wurde Friedli mit seinen «Pendlerregeln» und als Kolumnist des «Migros-Magazins». 2015 wurde er mit dem bedeutenden Kabarettpreis «Salzburger Stier» ausgezeichnet. Soeben ist von ihm das Kinderbuch «Machs wie Abby, Sascha!» über ein fussballbegeistertes Mächen erschienen.

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