«Kultur der Anerkennung fehlt»
Die GC-Legenden und ihr Vermächtnis

GC steckt in einer tiefen Krise. Die neusten Änderungen der amerikanischen Besitzer haben bei Fans und Klublegenden für Unmut gesorgt.
Publiziert: 25.08.2024 um 21:06 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2024 um 21:27 Uhr
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Carlo Emanuele FrezzaReporter Fussball

Der Fussballfan liebt Traditionen. Er hängt an den Farben und den Liedern seines Lieblingsklubs. Er verehrt die Spieler, die sich für das Trikot zerreissen und zerrissen haben. Der Gang ins Stadion, das für ihn wie ein zweites zu Hause ist, fühlt sich auch beim tausendsten Mal speziell an. Noch bedeutsamer ist all das, wenn ein Fan persönlich gerade schlechte Zeiten durchmachen muss. Der Lieblingsklub dient nun mal auch als ein Stück Halt im Leben. Besonders intensiv ist die Liebe aber auch dann, wenn es dem Klub nicht gut geht.

Dem Grasshopper Club Zürich geht es schon lange nicht mehr gut. Egal, wem er gerade gehört oder ihn präsidiert. Der Rekordmeister mit 27 Titeln und Rekordcupsieger (19 Titel) ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Er hat nicht mal mehr ein eigenes Stadion – sein Zuhause. Umso mehr ist das Umfeld auf identitätsstiftende Merkmale angewiesen, damit man sich an ihnen festhalten und sich von ihnen führen lassen kann.

Die heikle Aufräumaktion bei GC

Doch bei GC fehlen inzwischen auch die. Mitten in diesem Sommer haben die amerikanischen Besitzer aus Los Angeles, die erst Anfang Jahr von den Chinesen übernommen haben, eine drastische Entscheidung getroffen: der Bruch mit der Vergangenheit. Hymne weg, Kult-Song weg, aufblasbarer Riesenheugümper weg. Man wolle sich von Vergangenem und den damit verbundenen unrealistischen Erwartungen lösen, so die Begründung. Dass nicht auch noch die beiden Sterne über der Brust entfernt wurden …

Die Zürcher Grasshoppers können längst nicht mehr an die vergangenen Höhenflüge anknüpfen.
Foto: Pius Koller
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Unter all diesen Massnahmen leiden aber nicht nur die Fans. Nein, auch die Legenden tun es. Jene, die an der Geschichte von GC viele Seiten – gar riesige Kapitel – daran mitgeschrieben haben. Einer davon ist Raimondo Ponte (69) – 430 Spiele für GC, dreifacher Schweizer Meister sowie zweifacher Cupsieger: «Klar ist mir das alles nicht egal. Aber ändern kann ich es nicht. Das müssen sie selber wissen.»

Auch Klublegenden sind von Änderungen betroffen

Aus Pontes Worten liest sich ein Stück Gleichgültigkeit heraus. Es ist eine der stärksten negativen Emotionen, die ein Mensch spüren kann. Gefallen kann und darf sie also niemandem. Vor allem nicht einem Fan, der sich an die Zeiten mit Ponte im Hardturm selbst erinnert oder sich durch Erzählungen des Vaters in den Spielwitz Pontes verliebt hat.

Ponte ist eine echte Klublegende. Doch auch vor ihnen machen die Änderungen bei GC keinen Halt. Das musste der Aargauer beim letzten Heimspiel gegen Luzern höchstpersönlich erfahren. Vor dem Letzigrund hiess es plötzlich, er müsse neu Eintritt zahlen. Keine Gratis-Tickets für Legenden. «Ich selber hab es trotzdem irgendwie reingeschafft», sagt er. Andere verdienstvolle Ex-Spieler hätten weniger Glück gehabt.

Immerhin war das alles ein grosses Missverständnis, wie GC auf Anfrage erklärte. Es sei ein neues «Legenden-Programm» in Arbeit, wie es Mike-David Burkhard, der neue Leiter des kommerziellen Bereichs, nennt. «Der GCZ mit seiner 138-jährigen Geschichte ist privilegiert, viele legendäre Spieler im Klub gehabt zu haben. Dies ist uns bewusst, und wir werden diese auch wertschätzen», sagt er.

«Keine Kultur der Dankbarkeit»

Das mit der Wertschätzung ist aber so eine Sache, findet Kubilay Türkyilmaz (57) – 99 Spiele für GC, 63 Tore und zweifacher Schweizer Meister. Es sei nicht nur bei GC ein Problem. «In der ganzen Schweiz haben wir keine Kultur der Dankbarkeit und Anerkennung für verdiente Ex-Profis wie in anderen Ländern», meint der heutige Blick-Kolumnist.

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Identifikationsfiguren seien für alle Klubs wichtig, erzählt Türkyilmaz. Aber besonders für so grosse Klubs wie GC, wenn sie sich in einer solchen Negativspirale befänden. «Es ist einer der grössten Fehler, die GC in den vergangenen Jahren begangen hat. Abgesehen von Marco Schällibaum gibt es im Klub heute keinen Referenzpunkt für den Fan mehr. Jemand, der für GC steht und nach aussen die grosse Geschichte des Klubs repräsentiert.»

«Dann wäre es perfekt»

Türkyilmaz findet es umso tragischer, dass GC nicht mehr in Schweizer Händen ist. «Zu meiner Zeit gab es Werner H. Spross. Doch wo sind die Investoren heute? Gibt es wirklich niemanden mehr in der Grossstadt Zürich, der das führen will?» Den amerikanischen GC-Besitzern müsse man deshalb nur danken, meint er.

«Wenn die Amerikaner jetzt auch noch wüssten, wie viel der Klub eigentlich bedeutet, dass es nicht nur ums Gewinnen, sondern genauso um die Bedeutung des Trikots und die Geschichte des Vereins geht. Dann wäre es perfekt», stellt Türkyilmaz fest.

Sulser gibt den Amerikanern Zeit

Ähnlich ergeht es Claudio Sulser (68) – 324 Spiele für GC, 156 Tore, vierfacher Schweizer Meister, einmaliger Cupsieger. Der frühere Stürmer hat sich am Freitag mit einigen anderen Ex-GC-Spielern zum monatlichen Lunch getroffen. «Klar sprechen wir dann auch über das heutige GC. Niemand ist da froh über die Entwicklung der letzten Jahre. Im Gegenteil. Wir sind traurig darüber. Auf und Abs gehören im Leben und im Sport dazu. Aber wo GC heute ist, gehört es nicht hin.»

Aus Sulsers Worten ist leicht zu erkennen, wie fest er an GC hängt. «Wenn du so viele Jahre für einen Klub spielst, dann ist das normal. Man identifiziert sich mit dem Klub. GC war mein Verein.» Nach Zürich für ein Spiel schafft es der Tessiner heute aber nur noch selten.

Das liege aber nicht an den Besitzern, stellt Sulser klar. Ihnen macht er auch keinen Vorwurf für die gegenwärtige Situation – ganz im Gegenteil. «Ab und zu kommt ein GC-Repräsentant an unsere Lunchs. Das finde ich gut. Man muss ihnen Zeit geben. Sie haben Ideen und wollen sie umsetzen. Wichtig ist aber, dass sie die Leute involvieren.»

GC bleibt für immer

Dass man eine traditionelle Hymne entfernt, spricht aber nicht gerade dafür, dass man auf die Fans hört. Sulser denkt anders. «Ich fand sie auch schön und höre sie gerne. Doch eine Hymne ist kein Must-have. Für mich persönlich ist es legitim.» Viel wichtiger sei, was auf dem Platz passiere und welche Typen das Trikot überstreifen, ergänzt er. «Ich spielte früher für die Fans. Für GC.»

Eine Herangehensweise, die zwar so simpel ist, im heutigen Fussball aber zu oft vergessen geht. Aus finanziellen, marketingtechnischen und vielen anderen Gründen. Doch bei allen Business-Ideen gilt es sich etwas hinter die Ohren zu schreiben: Die Spieler gehen. Die Trainer genauso. Die Besitzer wechseln ebenfalls. Der Klub aber, der bleibt für immer. So ist es auch bei GC.

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