Sinnvoll oder sinnlos?
Das Stufenmodell spaltet die Fussball-Schweiz

Ein tiefer Riss geht durch die Fussballschweiz. Aufgerissen hat ihn das sogenannte Stufenmodell. Es wird dennoch eingeführt werden, wie die personalisierten Tickets. Klubs und Fans laufen Sturm.
Publiziert: 20.10.2023 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 20.10.2023 um 16:02 Uhr
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Alain KunzReporter Fussball

Das letzte Beispiel von Fangewalt liegt nicht lange zurück. Es ist der 30. September. Der Tag, an dem YB gegen GC glanzlos 1:0 gewinnt. Zurück bleiben in Zürich ein demolierter Bus, Polizeifahrzeuge mit eingeschlagenen Fensterscheiben und eine Todesdrohung gegen einen Busfahrer. Drei Tage später fällt die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden ihr Urteil: Schliessung des YB-Fansektors beim nächsten Aufeinandertreffen der beiden Teams in Bern. Es wird am 20. Januar sein.

Die YB-Fans – Ostkurve und Gäubschwarzsüchtig – reagieren konsterniert, behaupten, sie seien von der Polizei ohne Vorwarnung mit Gummischrot auf Augenhöhe, Tränengas und Pfefferspray eingedeckt worden. Auch YB versteht die Welt nicht mehr, spricht davon, dass diese Kollektivstrafe nicht zielführend sei, und findet es «schade», dass Tausende Fans für das Verhalten einiger weniger Individuen bestraft werden.

Sion-Kurve im Mai aus heiterem Himmel gesperrt

Es ist der letzte Disput, der sich notgedrungen immer ergibt, wenn es zu Fangewalt und anschliessend repressiven Massnahmen kommt. Denn seit dem Fall Servette gegen Sion hat die Politik das Zepter in die Hand genommen. Das war im Mai 2023, mitten im Abstiegskampf des FC Sion, als frustrierte Walliser Fans fünf Genfer Polizisten verletzten. Die Arbeitsgruppe beschliesst, die Fankurve des FC Sion für das nächste Spiel zu sperren. Eine Massnahme aus heiterem Himmel! Und dies, als das kurz zuvor vorgestellte, sogenannte Stufenmodell erst als Papiertiger existierte.

Wie bekämpft man Fangewalt?
Foto: Sven Thomann
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Seither dreht sich alles nur noch um dieses Modell, das im Wesentlichen ein Strafenkatalog ist, der ausführt, welche Massnahme bei welchem Vergehen zum Zug kommt. Der Katalog spaltet das Land. Klubs und Fans sind dagegen. Die Swiss Football League sitzt im Sandwich und schweigt sich aus. Die Politik und Polizei erachten das Modell alternativlos. Das ist der Stand Oktober 2023.

YB-CEO Wanja Greuel formuliert die Bedenken des Meisters so: «Den Vorfall haben rund 15 Auswärtsfahrende verursacht. Dafür werden Tausende bestraft. Da sehe ich die Verhältnismässigkeit nicht. Wir wollen keinesfalls die Täter zu Opfern machen. Im Gegenteil. Man muss diese schnappen und das ist Aufgabe der Polizei. Aber Kurvensperrungen? Das ändert nichts.»

Einzelpersonen kaum zu erreichen

Das hingegen sieht die Nidwaldner Regierungsrätin Karin Kayser, Co-Präsidentin der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren-Konferenz, völlig anders. «Dass die Massnahmen als Kollektivstrafen wahrgenommen werden, und viel mehr die Ahndung von Einzeltätern gefordert wird, ist nachvollziehbar. Doch ist es meist sehr schwierig, Einzelpersonen zu erreichen, da diese einerseits durch die Vermummung nicht erkannt werden können und in der Masse der Fans untertauchen und durch diese häufig sogar geschützt werden. Somit ist es für die Sicherheitskräfte nicht möglich, diese Einzelpersonen zu identifizieren. Aus diesem Grund darf beim Mittragen der Strafen auch eine gewisse Solidarität erwartet werden. Dass nun diese Massnahmen als Kollektivstrafe empfunden werden, darf nicht im Mittelpunkt stehen.»

Wie gehts weiter mit dem Stufenmodell?

Das Modell ist Mitte September in eine Vernehmlassung geschickt worden, die mittlerweile beendet ist. Klubs, Fans und jeder andere auch konnte sich da konstruktiv einbringen. Die Fanvereinigungen haben auf ein Mitwirken verzichtet. Kayser: «Das Ergebnis dieser Vernehmlassung wird nun der Politik vorgestellt. Die KKJPD wird die Resultate auswerten und über das weitere Vorgehen bis Ende Januar 2024 entscheiden.» Die eine oder andere Anpassung könnte es geben. Aber der politische und öffentliche Wille, griffige Massnahmen zu finden, um friedliche Spiele zu ermöglichen, ist stark.

Das Modell ist Mitte September in eine Vernehmlassung geschickt worden, die mittlerweile beendet ist. Klubs, Fans und jeder andere auch konnte sich da konstruktiv einbringen. Die Fanvereinigungen haben auf ein Mitwirken verzichtet. Kayser: «Das Ergebnis dieser Vernehmlassung wird nun der Politik vorgestellt. Die KKJPD wird die Resultate auswerten und über das weitere Vorgehen bis Ende Januar 2024 entscheiden.» Die eine oder andere Anpassung könnte es geben. Aber der politische und öffentliche Wille, griffige Massnahmen zu finden, um friedliche Spiele zu ermöglichen, ist stark.

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Kayser weiter: «Viel wichtiger scheint es mir, dass wir alle verpflichtet sind, gemeinsam wirkungsvolle Lösungen zu erarbeiten und für diese einzustehen. Es ist notwendig, dass man klare und einfach umsetzbare Massnahmen ergreift, damit die Situation nicht in ein unnötiges Katz-und-Maus-Spiel ausartet. Alles andere würde bedeuten, dass wir die wenigen Krawallmacher einfach schalten und walten lassen müssten. Hierunter leidet der Sport und letztendlich die Gesellschaft. Der grösste Teil der Fans freut sich auf ein friedliches Spiel und möchte seine Freizeit sicher verbringen. Es darf nicht sein, dass ein paar wenige Krawallmacher dies verunmöglichen.»

Basel stört sich an «Kausalhaftung»

Machen wir weiter im Pingpong-Match und spielen den Ball dem FC Basel zu. «Der FCB setzt sich dafür ein, Fangewalt wenn immer möglich präventiv zu begegnen, gleichzeitig aber individuelle Verfehlungen konsequent zu sanktionieren. Die im Stufenmodell enthaltenen Massnahmen erfolgen allerdings verschuldensunabhängig und können vom betroffenen Klub auch nicht durch eigenes Verhalten abgewendet werden. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Kausalhaftung – das heisst, die Verantwortung für Verfehlungen von Dritten wird vollständig auf die Klubs abgeschoben.»

Aus Sicht des FC Basel sei dies allein aus rechtlicher Sicht stossend und werte die von Klubs in mögliche Lösungskonzepte investierte Zeit ab. «Schwer wiegt zudem, dass durch die angedachten Massnahmen eine Vielzahl von unbescholtenen Fans betroffen wären, die für die Verfehlungen von Einzelnen bestraft und vom Stadionbesuch ausgeschlossen würden. Der gewählte Weg über Kollektivstrafen ist ein einfacher, da eine Ermittlung von einzelnen Tätern nicht notwendig ist. Er ist aber aus unserer Sicht auch der falsche, weil die Bestrafung grossmehrheitlich Nichtbeteiligte trifft.»

Für Kayser ist das Problem vielmehr, dass eine Täterermittlung oft schwierig, ja manchmal fast unmöglich sei. «In der Kurve schützen sich die Fans gegenseitig. Und wenn eine Meute in einem Bus tobt, ist es nicht zumutbar, Polizisten da hineinzuschicken, um Personalien aufzunehmen. Dies würde die Lage vielmehr eskalieren lassen und die Sicherheitskräfte wären stark gefährdet.»

Canepa findet Forfait-Strafe «absurd»

Bei den Klubs kommt auch Frust hinzu. YB schreibt im Communiqué zum Fall GC, dass den Ausführungen des Klubs kein Gehör geschenkt wurde. Greuel stellt bei sich selber sogar eine gewisse Konsternation in Sachen Stufenmodell fest. «Wir haben in den Workshops Vorschläge in rauen Mengen gemacht. Doch was hiess es danach? Nein! Nein! Nein! Man hatte uns Hoffnung gemacht, dass das Model zusammen erarbeitet werden solle. Doch viele Meinungen waren vorgefasst und schon gemacht.» Deshalb setzt er auch keine grossen Erwartungen in die Vernehmlassung.

Die Klubs haben ihre Bedenken da unisono zum Ausdruck gebracht. Vor allem wegen der in Stufe fünf vorgesehenen Forfait-Strafen für Klubs, die Doppel-Wiederholungstäter sind. FCZ-Präsident Ancillo Canepa hatte diese mögliche Strafe nach deren Vorstellung sogar als «absurd» bezeichnet. «So können irgendwelche Leute aus Willkür ein Spiel so beeinflussen, dass eine Mannschaft verliert. Das geht nicht.»

Kayser sieht auch, dass diese vorgeschlagene letzte Eskalationsstufe «massiv» sei. «Das Modell, das jetzt bei den Fussball- und Fanclubs in der Vernehmlassung ist, ist politisch noch nicht abgesegnet.» Da herrscht massiver Diskussionsbedarf. Denn dass der Modellvorschlag von allen kommentarlos akzeptiert wird, ist gemäss KKJPD-Co-Präsidentin nicht zu erwarten.

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