2 Wochen lang nur Suppe – Happy End mit EM-Quali
Gaio zertrümmert sich bei Stabhochsprung-Unfall Gesicht

Im November rammt sich Zehnkampf-Hoffnung Finley Gaio bei einem Unfall den Stabhochsprung-Stab ins Gesicht. Drei Monate später sprintet er zum Hürden-Hallenmeistertitel – und fährt erstmals an eine EM.
Publiziert: 24.02.2021 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 25.02.2021 um 00:02 Uhr
Emanuel Gisi

Die Szene ist nichts für schwache Nerven. November 2020, Magglingen. Mehrkampf-Talent Finley Gaio (21) bestreitet in der Sportler-RS ein Stabhochsprung-Training. Er läuft mit erhobenem Stab los, wie er es schon Tausende Male gemacht hat, merkt, dass der Versuch nichts wird, bricht ab, wirft den Stab nach vorne weg. Da passierts: Der Stab fällt nicht flach auf den Boden, sondern steckt im Einstichkasten ein, bleibt schräg nach oben geneigt stehen und rammt sich voll in Gaios Gesicht!

Ein dummer Zufall, riesiges Pech, ein Horror-Unfall. Das Blut fliesst in Strömen. Ein Teil des Gesichts ist richtiggehend zertrümmert. «Mein Ober- und mein Unterkiefer waren gebrochen», sagt der Baselbieter zu BLICK. «Drei Zähne wurden eingedrückt, einen schlug es mir komplett raus. Und meine Lippe war zerschnitten.» Es klafft ein kreisrundes Loch in Gaios Gesicht.

«Da war viel Blut»

Sprungtrainer Nicola Gentsch und Trainingskollege Simon Ehammer (21) sind dabei, als es passiert. «Da war viel Blut», sagt Gentsch. «Es dauerte etwas, bis die Ambulanz kam. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil er so viel Blut verliert.» Während Gentsch Hilfe herbeitelefoniert und Gaio betreut, holt Ehammer Tücher und weist die Ambulanz ein. «Als ich realisiert habe, was geschehen ist, war das sehr heftig», sagt Ehammer. «Den Teamkollegen so zu sehen, ist brutal.»

Zehnkampf-Talent Finley Gaio verletzt sich im November 2020 beim Stabhochsprung-Training.
Foto: freshfocus
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Die Ambulanz bringt Gaio ins Spital nach Bern, dort wird ihm noch am selben Tag die Lippe zusammengenäht, am nächsten Tag wird der Kiefer gerichtet. Es zeigt sich, dass er Glück im Unglück hatte: Hätte ihn der Stab weiter oben erwischt, hätte es sein Auge getroffen, weiter unten am Hals. «Trotzdem waren die ersten Tage hart», sagt Gaio. «Ich hatte Schmerzen, konnte nur wenig schlafen, es ging mir nicht gut. Da habe ich viele Tränen vergossen. Weil ich wusste, dass noch viele Schmerzen auf mich zukommen und dass ich lange keinen Sport mehr machen kann. Eine Horrorvorstellung für mich.»

Zwei Wochen lang nur Suppe, dann Kartoffelstock

Einer, der hilft: Schulkommandant Hannes Wiedmer, der sich rührend um Gaio kümmert. «Er hat mich im Spital besucht und sich sehr um mich bemüht. Er hat dafür gesorgt, dass ich die RS trotz längerer Absenz nicht verlassen muss und die Reha dort machen kann. Und er sagte mir auch, dass ich mir alle Zeit der Welt lassen kann, bis ich zurückkomme.»

Das fällt ihm schwer. Die ersten zwei, drei Wochen kann er nur Flüssignahrung zu sich nehmen. «Immer Suppe, ich bin fast durchgedreht», sagt Gaio. «Ich habe etwa acht Kilo abgenommen.» Irgendwann gabs dann Kartoffelstock und weich gekochte Pasta – und schon bald konnte er wieder trainieren. «Die Ärzte haben das Okay gegeben, dass ich mit einem langsamen Aufbau anfangen konnte. Es ging glücklicherweise schneller, als ich dachte.»

Happy End mit EM-Quali

Und wie schnell es ging: Bei den Hallen-Schweizermeisterschaften tritt der Sohn eines Italieners und einer US-Amerikanerin am Wochenende über 60 m Hürden an – und räumt ab. In 7,81 Sekunden stellt er eine persönliche Bestzeit auf, holt sich den Meistertitel und unterbietet die Limite für die Hallen-EM Anfang März in Polen. Es wird sein erster internationaler Grossanlass bei den Aktiven. Ein Happy End nach dem Drama von Ende Jahr.

Und sogar im Stabhochsprung trainiert er wieder. «Das war eine Erleichterung», sagt Trainer Gentsch, der den Unfall auch erst verarbeiten musste. «Die ersten paar Tage haben mich die Bilder verfolgt. Beim Einschlafen habe ich sie vor mir gesehen.»

«Ich werfe den Stab sicher nie mehr weg»

Ehammer: «Nicola und ich mussten den Unfall am Abend beim Essen schon noch einmal ausführlich besprechen. Wir haben uns gefragt, ob wir etwas hätten anders machen können. Aber da gab es nichts.»

Auch Gaio hat seine Lehren gezogen. «Ich werfe den Stab bei einem schlechten Versuch sicher nie mehr weg», sagt er. Jetzt bereitet er sich auf seine EM-Premiere vor. Das Ziel: «Ich will es geniessen, wieder dabei zu sein. Und eine neue persönliche Bestzeit will ich auch aufstellen.»

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