Die Black-Power-Spiele in Mexiko
Zwei schwarze Fäuste wecken die weisse Welt

Mexiko City, 1968: Die Black-Power-Spiele vor 50 Jahren haben den Sport und die Welt verändert. Oder doch nicht? Jedenfalls wurde gestritten, um Medaillen und um Menschenrechte. Zwei ballten die Fäuste wie Muhammad Ali. Sogar ein Weisser war mutig.
Publiziert: 14.10.2018 um 20:28 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2022 um 13:48 Uhr
Oskar Beck

Der weisse Mann auf dem Foto sieht auf den ersten Blick aus, als ob er nur da ist, um seine Medaille abzuholen. Er steht links auf dem Podest, Silber hat er gewonnen, und als die US-Hymne ertönt, dreht er sich um und schaut hinüber zu den Flaggen. Was die zwei Schwarzen in seinem Rücken tun, sieht er nicht. Aber er weiss es.

Peter Norman ist Australier, und bequem könnte er sich heraushalten aus dem, was da hinter ihm passiert. Aber da war, vor der Siegerehrung, diese Frage der beiden anderen: «Glaubst du an Gott? Glaubst du an die Menschenrechte?»

Der Weisse hat genickt. Er ist daheim in Melbourne in einer tief religiösen Familie aufgewachsen, und er weiss alles über die Unterdrückung der Aborigines und die «stolen generation» – so nennt man noch in jenen 1960ern die australischen Kinder, die den Ureinwohnern weggenommen und von weissen Familien adoptiert werden. «Ich stehe an eurer Seite», sagt Norman.

Tommie Smith (M.) und John Carlos (r.) recken die Faust. Links: Peter Norman.
Foto: Keystone
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Weiss und Schwarz im Protest vereint

So steht er nun also mit Tommie Smith und John Carlos auf dem Podium an jenem 16. Oktober 1968 in Mexiko City. Es ist einer der bedeutendsten Tage in der sozialen und politischen Geschichte des Sports, denn Weiss und Schwarz sind im stillen Protest vereint: Der Australier trägt an der Brust eine Plakette der Black-Power-Bewegung «Olympia für Menschenrechte», während die beiden Amerikaner mit gesenkten Köpfen die geballte Faust in den Himmel hauen, Smith die rechte, Carlos die linke.

Tommie Smith hat gerade den Weltrekord über 200 Meter auf 19,83 Sekunden verbessert, und nach der Zeremonie sagt er: «Wenn ich siege, bin ich Amerikaner. Wenn nicht, nennen sie mich Neger. Das schwarze Amerika versteht, was wir heute gemacht haben.» Aber auch der Rest der Welt wird den Tag nicht vergessen.

Eine ganze Woche ist aus diesem Tag schliesslich geworden, damals bei den Olympischen Spielen in Mexiko. Einem Black-Power-Gruss folgte der nächste, und spätestens beim Weitsprung fragten sich viele: Sind die 8,90 Meter von Bob Beamon noch Sport oder eher ein Wutausbruch? Es sind Dinge passiert, die in eine normale Woche gar nicht hineinpassen, und der Wahnsinn war vollends komplett, als George Foreman am Ende alles wieder rückgängig machte und mit seiner Goldmedaille und einem US-Fähnchen in der Hand durch den Boxring tänzelte. «Was ich damals von Politik wusste», entschuldigte er sich später, «hätte auf den Kopf einer Stecknadel gepasst.»

Fähnchenschwenkend im Abseits: Boxer George Foreman.
Foto: Bettmann Archive

Als «Uncle Tom’s Nigger» hat ihn dafür im fernen Amerika Muhammad Ali beschimpft – und ihn als Judas sechs Jahre später im «Kampf des Jahrhunderts» verdroschen.

Aber fangen wir vorne an, bei Smith und Carlos. Letzterer hat in seinem Buch «Der Sportmoment, der die Welt veränderte» den Hymnen-Protest so beschrieben: «Es wurde so still im Stadion, dass man hätte hören können, wie ein Frosch auf Baumwolle pisst.» 50 000 schwiegen. Dann folgten die Buhrufe. Viele im Publikum sangen die US-Hymne. Carlos: «Es war, als ob sie sagten: Ihr antiamerikanischen Hurensöhne!» Sofort verbannte das IOC sie aus dem Olymp – wegen Missbrauchs des Sports. Er habe, sagt Carlos, den Überbringern der Botschaft wie ein strammer Soldat erklärt: «Falls ihr auch unsere Medaillen wollt, müsst ihr mit der Miliz kommen.»

Der Sprung des Jarhunderts

Zwei Tage später, am 18. Oktober, war Bob Beamon an der Reihe. Die Nacht zuvor hatte er mit seiner Freundin Gloria verbracht, mit viel Tequila und Sex. Er selbst nennt es «Kardinalssünde», er stand voll neben sich. Hat er deshalb beim ersten Sprung seine schwarzen Socken vergessen, die er hochziehen wollte bis unters Knie? Jedenfalls hat er dann den «Sprung des Jahrhunderts» in den Sand gesetzt. Der dürre Kerl mit den endlosen Beinen machte 19 Schritte, sprang ab, katapultierte sich zwei Meter hoch, ruderte da oben, als ob er in die Pedale tritt, flog «wie ein grosser, prähistorischer Vogel» (so ein Augenzeuge) – und irgendwann, erzählt Beamon seither gerne, «habe ich dann auf die Uhr geschaut und gedacht: Es ist Zeit zu landen.»

Beamon bricht den Weltrekord.
Foto: Bettmann Archive

Die elektronische Messanlage kapitulierte. Man holte in der Not ein altes Massband. 8,90 Meter. 55 Zentimeter mehr als der alte Rekord? Beamon brach zusammen. Totalkollaps. Er fiel auf die Knie und weinte. Nur einmal ist er noch gesprungen – in seinen schwarzen Socken. Und bei der Siegerehrung zog er die Hose hoch und zeigte sie der Welt nochmal, diese schwarzen, wunderbaren Socken. Hinter ihm zog sich der Dritte, Ralph Boston, die Schuhe aus. Black is beautiful.

Aber das war noch nicht alles an diesem 18. Oktober. Lee Evans siegte über 400 Meter vor Larry James und Ron Freeman. Bei der Siegerehrung trugen die drei US-Helden schwarze Barette, das Erkennungszeichen der Black-Panther-Bewegung. Als die Hymne ertönte, nahmen sie lachend den Kopfschmuck ab, und Evans sagte hinterher: «Ich dachte, sie werden auf dem Podest keinen erschiessen, der so fröhlich ist.»

Danach hatte die Welt nur noch eine Frage: Was macht George Foreman bei seinem Kampf um Gold? In seiner Biografie «By George» hat der Boxer später erzählt, dass er im olympischen Dorf in jenen Tagen John Carlos erlebt hat, «und John sah traurig aus, trauriger als traurig, als hätte er seine Mutter verloren». Kurz vor dem Kampf habe dann noch jemand zu ihm gesagt: «John lässt dir ausrichten: Mach dein Ding. Hol Gold.»

«Ich hatte die Sache verraten»

Foreman tat es, am 23. Oktober. Und vor Freude wedelte er im Ring mit einem US-Fähnchen. Ein paar Tage später lobte ihn Richard Nixon bei einer Wahlkampfrede in New York als Patrioten, seine schwarzen Brüder schauten ihn dafür schräg an. Und Foreman begriff, was sie dachten: «Ich hatte die Sache verraten.» Sechs Jahre später gegen Muhammad Ali, beim «Rumble in the Jungle» in Zaire, brüllte das ganze Stadion: «Ali, boma ye!» Schlag ihn tot! Foreman fiel in Runde acht.

Mit John Carlos hat er nie gesprochen. Nur 1984, bei den Olympischen Spielen in Los Angeles, habe er ihn erlebt, erzählt Foreman süffisant: «Da sass er und hat für Carl Lewis gejubelt, als der nach seinem Gold mit der US-Flagge auf Ehrenrunde ging.»

Morddrohungen haben Smith und Carlos vom weissen Amerika erhalten nach ihrer Heimkehr als schwarze Schafe. Erfolglos haben sie sich als Footballer versucht, ehe sie als Lehrer und Trainer später wieder Boden unter die Füsse bekamen. Von Präsident Obama wurden sie sogar im Weissen Haus empfangen. Da sah es so aus, als hätte sich alles gelohnt. Heute? «Alles ist wieder beim Alten», sagte Carlos dieser Tage.

Gelegentlich heisst es in den Nachrichten, dass ihr Denkmal beschmiert wurde. 2006 wurde es vor der Universität im kalifornischen San Jose enthüllt, und auch Peter Norman war da. Die Bronzestatue ist dem Podium der Siegerehrung von 1968 nachempfunden, aber Platz 2 ist leer. Norman fehlt. «Das war sein Wunsch», hat John Carlos erklärt. «Jeder soll sich auf diesen Platz stellen und seinen Protest mit uns teilen.»

Smith (l.) und Carlos erweisen Norman die letzte Ehre.
Foto: Getty Images

Ein paar Wochen später ist Peter Norman gestorben, beim Rasenmähen, das Herz. Smith und Carlos flogen nach Melbourne, um den Sarg zu tragen. «Er hat in Mexiko nicht die Faust gehoben», sagt Tommie Smith, «aber er hat uns die Hand gereicht.»

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Das will Black Power

Erst Mitte der 1960er-Jahre erkämpften die Afroamerikaner die Aufhebung der Rassentrennung und den Zugang zu den Wahlurnen. Trotzdem blieben die Schwarzen in vielen Bereichen der Gesellschaft weiter diskriminiert. Die symbolisch geballte Faust im schwarzen Handschuh der Black-

Power-Bewegung symbolisierte Distanzierung von der weissen Gesellschaft. Ihr Wortführer Malcolm X predigte aktiven Widerstand. Ganz im Gegensatz zum prominentesten Bürgerrechtler Martin Luther King, der eine gewaltlose

Integration forderte. Black Power stand aber auch für ein neues Selbstbewusstsein, für den Stolz der Afroamerikaner auf ihre Wurzeln. «Black is beautiful!» war der Slogan der Zeit.

Malcolm X und Martin Luther King wurden beide erschossen. Die sozialen Differenzen zwischen Schwarz und Weiss bestehen nach wie vor.

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Ein Knie spaltet die USA

Der US-Präsident war ausser sich. «Diese Hurensöhne gehören vom Feld», tobte Donald Trump. «Feuern» müsse man diese Typen, welche «die US-Flagge nicht respektieren!» Was war passiert? Im August 2016 blieb der Footballstar Colin Kaepernick, damals Quarterback der San Francisco 49ers, während des Abspielens der US-Nationalhymne vor NFL-Spielen auf der Bank sitzen – als Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Nach ein paar Wochen änderte er seine Körperhaltung: Er wolle fortan knien, um zu zeigen, dass sein Protest nicht als Respektlosigkeit gegenüber Flagge und US-Militär zu verstehen sei.

Ihr Protest sorgt für Aufregung: Colin Kaepernick (r.) und Teamkollege Eric Reid.
Foto: Getty Images

Reihenweise schlossen sich die Sportkollegen Kaepernick an. So richtig angekommen ist die Botschaft allerdings nicht: Der konservative Teil der USA ärgert sich noch immer über die undankbaren Sport-Millionäre. Die Folge: Kaepernick, mittlerweile 30-jährig, ist seit Frühjahr 2017 ohne Job – obwohl er sportlich das Zeug für die NFL hätte. Mittlerweile versucht er, rechtlich gegen die Liga vorzugehen. Darben muss er dennoch nicht: Seit kurzem ist er das Gesicht einer Nike-Kampagne.

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