Leichtahtletik-Star Lea Sprunger sagt Tschüss
«Was ich nächsten Sommer mache? Da heirate ich!»

Sie schrieb Geschichte als erste Schweizer Europameisterin: Lea Sprunger sagt Tschüss –und sagt, welche Momente und Personen sie geprägt haben.
Publiziert: 13.09.2021 um 13:34 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2021 um 13:59 Uhr
Emanuel Gisi

Ein letztes Rennen hat sie noch: Am Dienstag geht für Hürdenläuferin Lea Sprunger (31) in Bellinzona die letzte Bahnrunde zu Ende. «Ich staune, wie nahe den Leuten mein Abschied geht», sagt die Europameisterin über 400 m Hürden von 2018. Bei «Weltklasse Zürich» wird sie vergangenen Donnerstag noch einmal mit tosenden Ovationen verabschiedet und auf der Ehrenrunde von den Emotionen übermannt. «Ich wusste immer, dass man mich relativ gerne mag», sagt sie. «Aber dass mir so viel Liebe entgegenschlägt, das hat mich überwältigt.» Für Blick schaut sie noch einmal auf die entscheidenden Stationen ihrer Karriere zurück:

Mein grösster Moment

«Als ich 2018 in Berlin Europameisterin über 400 m Hürden wurde. Da habe ich Geschichte geschrieben, als erste Schweizer Freiluft-Europameisterin. Wenn ich an den Tag zurückdenke, kann ich mich nur noch an einzelne Momente erinnern und an ein gutes Omen: Meine Mutter hatte mir erzählt, dass im Logo des Kurierdiensts ‹Fedex› ein Speed-Symbol versteckt sei. Monatelang hatte ich es gesucht, aber einfach nicht gefunden. Dann, am Tag des EM-Rennens, sind wir auf dem Weg vom Hotel zum Stadion an einem ‹Fedex›-Bus vorbeigefahren – und plötzlich habe ich es im Logo gesehen. Ich habe laut herausgelacht und wusste: ‹Jetzt kommt es gut.› Im Stadion und vor dem Rennen war ich erstaunlich ruhig. Es ging alles auf.»

Die Momente nach der Goldmedaille

«Als ich über die Ziellinie gelaufen bin, war ich einfach erleichtert. In dieser Sekunde fielen 10 Kilo von mir ab. Wenn man das Video noch einmal anschaut, sieht man, dass ich einen Kuss in die Kamera werfe. Der war für meine Grossmutter! Ich glaube, sie weiss bis heute nicht, dass sie damit gemeint war, aber mir war es wichtig in diesem Moment, weil sie jedes Rennen von mir geschaut hat und immer für mich da war.»

Auf Abschiedstour: Lea Sprunger am Donnerstag im Zürcher Letzigrund.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Mein bestes Rennen

«Vom Gefühl her war Berlin sehr gut, mein schnellstes Hürden-Rennen war es nicht. Es ist sowieso kurios: Das perfekte Rennen bin ich 2016 in Genf über 200 Meter gelaufen – dabei ist das überhaupt nicht meine Disziplin! Da ist mir gelungen, was wir Sprinter immer versuchen: Ich bin in den Flow gekommen, ohne Energie, ohne Stress, alles hat gepasst. Über 400 Meter Hürden habe ich den Flow auch gesucht, bin ihm auch nahe gekommen. Aber das Gefühl wie damals in Genf, das habe ich nie wieder gefunden.»

Mein schwierigster Moment

«2017 an der Hallen-EM in Belgrad war ich über 400 Meter die Favoritin, lag nach 300 Metern im Final vorne und hatte dann ein komplettes Blackout, habe sogar noch die Medaillen verpasst. Das war bitter. Ich brauchte danach lange, um zu verstehen, was schief gelaufen war. Ich habe alles in Frage gestellt, war mir nicht einmal mehr sicher, ob der Sport das Richtige für mich ist, wenn ich im entscheidenden Moment versage. Zumal ich ein halbes Jahr vorher bei Olympia in Rio auch schon schlecht war.»

Mein traurigster Moment

«Als wir mit der 4x100-Meter-Staffel im EM-Final in Zürich ausschieden. Ich erinnere mich noch genau: Ich war die Schlussläuferin, das Rennen begann, das Stadion tobte, dann machte Mujinga Kambundji diesen Fehler, verlor den Stab… und plötzlich wurde es ganz still, obwohl das Rennen weiterlief. Der ganze Letzigrund war in kollektiver Schockstarre, alle waren traurig. Wir als Team, die Menschen um uns herum, die Zuschauer. Für mich war es doppelt seltsam. Ich habe beim dritten Wechsel gewartet und mich zuerst nur gefragt: ‹Warum läuft sie nicht weiter, warum kommt sie nicht?› Es macht mich jetzt noch traurig, wenn ich daran zurückdenke. Aber ganz wichtig: Niemand hat Mujinga je einen Vorwurf gemacht, auch intern nicht. Zum Glück.»

Diese Sportler haben mich beeindruckt

«Allyson Felix kommt mir als Erstes in den Sinn. Für ihre sportlichen Leistungen, aber auch dafür, was sie in den letzten Jahren erreicht hat (die 11-fache Olympiamedaillengewinnerin kämpfte gegen eine diskriminierende Mutterschafts-Klausel im Vertrag mit ihrem früheren Sponsor Nike, d. Red). Und dann gibt es noch die Schweizer Antwort: Roger Federer. Aber wissen Sie was? Ich habe ihn noch nie getroffen, das ist die grösste Enttäuschung meiner Karriere (lacht laut)

Meine besten Freundinnen

«Ex-Hürdensprinterin Clélia Reuse war zu Beginn meiner Karriere oft meine Zimmergenossin, wir haben alles zusammen gemacht. In der späteren Phase ist Ajla Del Ponte eine sehr gute Freundin geworden. Wir haben in Holland in derselben Gruppe trainiert, waren die beiden einzigen Schweizerinnen im holländischen Team. Das schweisst zusammen.»

Was mir fehlen wird

«Die Trainingslager! Man geht einen Monat mit einer Gruppe an einen Ort, der meistens schön ist (lacht), es ist immer Sommer. Man macht nichts anderes als essen, schlafen, trainieren, hat Zeit, die Leute gut kennenzulernen, mit denen man da ist. Man ist in seiner Bubble. Das mochte ich immer.»

Was ich am wenigsten vermissen werde

«Vor allem den Egoismus, den man als Profisportlerin braucht. Den musste ich erst lernen. Auf die Bahn zu kommen und zu sagen: ‹Ich bin die Beste, ich kann die alle schlagen›, damit hatte ich extrem Mühe. Das ist einfach nicht mein Naturell.»

Was ich nächsten Sommer ohne Leichtathletik mache

«Heiraten! In Südfrankreich, Datum und Ort stehen schon fest. Wir feiern extra zwischen WM und EM nächsten Sommer – ich möchte ja, dass ein paar Leichtathletik-Freunde und mein Trainer Laurent Meuwly kommen können.»

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