Mujinga Kambundji über Egoismus, Familie und Olympia
«Ich kann ja nach dem Rennen nett sein!»

Weder strategische Überlegungen noch taktische Geplänkel: Schnellt Mujinga Kambundji aus den Startblöcken, gehts gleich um alles oder nichts. Bald auch bei Olympia. Die Sprinterin über Egoismus, Erfahrung und Entscheidungen am Esstisch.
Publiziert: 19.07.2024 um 20:09 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2024 um 10:50 Uhr
Nadine Gerber
Nadine Gerber
Schweizer Illustrierte

Geglückte Olympia-Hauptprobe! An der Europameisterschaft in Rom holt Mujinga Kambundji (32) im Juni Gold über 200 Meter. In Paris will sie über die 100 Meter, die 200 Meter und in der 4x100-Meter-Staffel starten. Und hat dabei durchaus Medaillen-Chancen. Dass eine Schweizerin jemals im Sprint brillieren würde, schien vor einigen Jahren noch undenkbar. Doch die Schweizer Leichtathletik hat enorme Fortschritte gemacht. Auch dank der Bernerin.

Mujinga Kambundji, Sie reisen als Europameisterin über die 200 Meter nach Paris. Was bedeutet Ihnen dieser Titel?
Sehr, sehr viel. Es ist immer sehr speziell für mich, überhaupt einen Titel zu gewinnen. Dass ich diese Goldmedaille verteidigen konnte, macht es noch einmal spezieller. Ich bin – das habe ich erst im Nachhinein erfahren – die erste Schweizerin, die es geschafft hat, einen Titel zweimal in Folge zu holen. Darauf bin ich stolz, und es freut mich sehr.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

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Auf der Tartanbahn ist sie in ihrem Element: Mujinga Kambundji.
Foto: keystone-sda.ch
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Sieg auf den 200 Metern, Achte im Hunderter – warum sind Sie über die doppelte Sprintstrecke so viel stärker?
Ich würde nicht generell sagen, dass ich über 200 Meter stärker bin. In jeder Saison ist eine Disziplin etwas besser als die anderen. Mal die 60 Meter, mal die 100 oder eben die 200. Je nachdem, wie ich trainieren konnte. Man läuft nicht jede Saison persönliche Bestzeit. Die 200 Meter sind also nicht per se stärker – in Rom aber waren sie es.

Sie laborierten vergangene Saison an einer Verletzung, Ihre Plantarfaszie im Fuss war entzündet. Haben Sie noch Schmerzen?
Es ist noch nicht perfekt, ich muss immer noch vorsichtig sein. Aber ich habe keine Beschwerden mehr. Eine Sportlerin ist nie zu 100 Prozent fit. Irgendetwas tut immer weh. Im Moment bin ich aber weder im Training noch im Wettkampf eingeschränkt.

Ihr einstigen Kolleginnen Léa Sprunger und Marisa Lavanchy haben eingeräumt, es sei für sie manchmal schwierig gewesen, auf der Bahn egoistisch zu sein. Wie leicht fällt Ihnen das?
Das ist kein Problem für mich. Ich mag viele meiner Konkurrentinnen gern. Aber während des Rennens will ich so schnell wie möglich sein. Selbst wenn ich gegen meine Schwester antreten würde. Ich kann ja vor und nach dem Rennen nett sein zu meinen Gegnerinnen.

War das schon immer so?
Wenn man so hart trainiert, dann will man auch gewinnen. Ich betreibe einen Sport ohne Körperkontakt. Jede macht auf der Bahn ihr Ding, ohne dass sie die Gegnerinnen beeinflussen kann. Man kann jemanden schätzen und respektieren und trotzdem gegen ihn gewinnen wollen. Es ist für alle Teil des Sports. Man trainiert nicht das ganze Jahr lang mit dem Ehrgeiz, Zweiter zu werden.

Ihr früherer Trainer in Bern, Jacques Cordey, sagte, Sie seien «ein unkompliziertes Mädchen». Inwiefern stimmen Sie da zu?
Es stimmt wahrscheinlich schon. Ich versuche, nicht über Dinge nachzudenken, auf die ich keinen Einfluss habe. Ich konzentriere mich auf das, was ich beeinflussen kann.

Ist das Leben als Sportlerin also weniger kompliziert als das «echte» Leben?
Im Sport ist es sehr einfach: Jeder weiss, wo und wann der olympische Final stattfindet oder wann die EM ist. Jeder weiss, dass er an diesem Tag bereit sein muss. Es liegt alles in der Hand der Sportler. Ich kann auch niemanden beschuldigen, wenn ich schlecht gelaufen bin. Im «echten» Leben kann es Ungerechtigkeiten geben oder Situationen, die man nicht beeinflussen kann, weil andere Menschen über einen entscheiden.

Bei einem Sprint entscheidet niemand für Sie. Wenn Sie die Schnellste sind, sind Sie die Schnellste.
Diejenige, die alles richtig gemacht hat, gewinnt, weil sie die Schnellste ist. Ich mag es, nach meinen Taten beurteilt zu werden.

Das ist Mujinga Kambundji

Mujinga Kambundji ist die schnellste Frau der Schweiz. Und sie hat ein Jahr für die Geschichtsbücher hinter sich: Die Bernerin holte sich im Juni 2022 von Ajla Del Ponte den Landesrekord über 100 m zurück (10,89 Sekunden). Dazu verbesserte sie ihren eigenen Schweizer Rekord über 200 m auf 22,05 Sekunden. Über 60 m war sie bei ihrem WM-Titel in Belgrad in der Halle 6,96 gelaufen, ebenfalls Schweizer Rekord und die viertschnellste Zeit in der Geschichte, nur vier Hundertstel hinter dem Weltrekord. An der EM 2022 in München holte sie Gold (200 m) und Silber (100 m). Bei der Europameisterschaft 2024 in Rom verteidigte sie ihren Titel über 200 m. Die zweitälteste von vier Schwestern stand 2021 über 100 und 200 m im Olympia-Final, auch eine Outdoor-WM-Medaille hat sie schon: 2019 gabs in Doha Bronze über 200 m. Im Dezember wurde sie zum zweiten Mal nach 2019 zur Schweizer Sportlerin des Jahres gewählt.

Mujinga Kambundji ist die schnellste Frau der Schweiz. Und sie hat ein Jahr für die Geschichtsbücher hinter sich: Die Bernerin holte sich im Juni 2022 von Ajla Del Ponte den Landesrekord über 100 m zurück (10,89 Sekunden). Dazu verbesserte sie ihren eigenen Schweizer Rekord über 200 m auf 22,05 Sekunden. Über 60 m war sie bei ihrem WM-Titel in Belgrad in der Halle 6,96 gelaufen, ebenfalls Schweizer Rekord und die viertschnellste Zeit in der Geschichte, nur vier Hundertstel hinter dem Weltrekord. An der EM 2022 in München holte sie Gold (200 m) und Silber (100 m). Bei der Europameisterschaft 2024 in Rom verteidigte sie ihren Titel über 200 m. Die zweitälteste von vier Schwestern stand 2021 über 100 und 200 m im Olympia-Final, auch eine Outdoor-WM-Medaille hat sie schon: 2019 gabs in Doha Bronze über 200 m. Im Dezember wurde sie zum zweiten Mal nach 2019 zur Schweizer Sportlerin des Jahres gewählt.

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Sie haben sehr oft Ihren Trainer gewechselt. Was steckt da dahinter?
Selbst nach einer guten Saison versuche ich immer, mich selbst infrage zu stellen, eine ehrliche Analyse durchzuführen und mich zu verbessern. Dabei frage ich mich jeweils: Können die Menschen um mich herum mir noch helfen weiterzukommen? Es ist sogar schon vorgekommen, dass ich während einer Saison alles verändert habe. Beispielsweise, als die Trainer in Mannheim mir nicht mehr geben konnten, was ich brauchte. Ich bin allein auf der Bahn und trage die Konsequenzen. Wenn etwas nicht funktioniert, bin ich allein dafür verantwortlich.

Welches Alter ist ideal für eine Sprinterin?
Vor zehn Jahren hätte ich gesagt so 25 bis 27, weil die besten Sprinterinnen in diesem Alter waren. Heute sind es aber noch immer die gleichen Namen. Der Durchschnitt liegt eher bei über 30 Jahren wie etwa Shelly-Ann Fraser-Pryce, Marie-Josée Ta Lou oder Elaine Thompson-Herah. Viele Sportlerinnen werden mit zunehmendem Alter stärker. Es kommt darauf an, wie man trainiert.

Und wie steht es diesbezüglich um Ihren Körper, jetzt, mit 32 Jahren?
Er verzeiht mir weniger als früher, aber ich kenne mich besser. Ich muss weniger trainieren, und meine Technik ist dank der jahrelangen Erfahrung besser. Ich würde es mit einer 18-Jährigen vergleichen, die von Donnerstag bis Sonntag feiern kann und am Montag nichts davon spürt, während du dich mit 35 Jahren zwei Tage lang schlecht fühlst, nur weil du etwas zu viel getrunken hast. Aber du weisst, wie du funktionierst.

Wie kann Ihnen Ihr Freund und Coach Florian Clivaz helfen?
Er war früher auch Sprinter und versteht gut, wie ich funktioniere und worauf man bei mir achten muss. Er sieht auch sofort, was ich in einem Moment brauche: mehr Beschleunigung? Mehr Intensität? Er kann die Aspekte des Athleten und des Trainers kombinieren, da er im letzten Jahr seiner Karriere allein trainiert hat. Es ist wichtig, flexibel zu sein und sich anpassen zu können.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Schon im Sport, aber nicht mehr auf der Bahn. Und hoffentlich mit einer eigenen Familie, da ich selbst in einer grossen Familie aufgewachsen bin.

Ihr Ex-Trainer Cordey sagte einst, bei den Kambundjis werde alles am Küchentisch geregelt. Wie soll man sich das vorstellen?
(Lacht.) Ja, wir haben alle zusammen gegessen und viel geredet. Das hat sich inzwischen geändert, da nur noch eine meiner Schwestern zu Hause lebt. Wir sehen uns weniger, auch wenn wir oft telefonieren. Meine ältere Schwester hat zwei Kinder, ich habe den Sport, die dritte Schwester lebt in London. Meine Familie ist aber hyperwichtig. Ich bin froh, dass meine Schwester Ditaji so oft bei mir ist. Bei den Spielen in Tokio zum Beispiel durfte die Familie nicht dabei sein. Da konnte ich mit ihr das Zimmer teilen, alles mit ihr gemeinsam erleben. Das war wertvoll für uns beide.

Nun stehen also die Olympischen Spiele vor der Tür. Haben sich Ihre Ambitionen mit dem EM-Titel geändert?
Nein, meine Ziele sind die gleichen. Ich wollte von Anfang an über die 200 Meter in den Final laufen. Das gilt auch jetzt. Natürlich ist der grosse Traum, eine Medaille zu gewinnen. Das Ziel ist der Final. Dort fängt es wieder bei null an, und alle haben die gleiche Chance. Dann muss ich das bestmögliche Rennen liefern. Ich kann nicht beeinflussen, was die Konkurrenz macht. Ich wünsche mir, dass es ähnliche Spiele werden wie beim letzten Mal, mit zwei Finals oder sogar drei, wenn ich die Staffel noch mitzähle.

Wer kommt mit nach Paris?
Sicher meine Eltern, meine Tante und mein Onkel. Meine Schwestern vielleicht auch. Ditaji und ich haben vier Disziplinen zu absolvieren. Es wird also sehr intensiv.

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