«Die Rückkehr in die Schweiz war ein Kulturschock»
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Kora lebte fünf Jahre in Benin:«Die Rückkehr in die Schweiz war ein Kulturschock»

Sprinterin Salomé Kora lebte fünf Jahre in Benin
«Die Rückkehr in die Schweiz war ein Kulturschock»

Sprinterin Salomé Kora über Leichtathletik-Finanzen in der Corona-Krise, ihr einfaches Leben als Kind in Benin und Schweizer, die mit ihr wegen ihrer Hautfarbe Englisch reden.
Publiziert: 31.05.2020 um 00:39 Uhr
Emanuel Gisi (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

BLICK: Salomé Kora, diese Woche wurde bekannt: Schon ab dem 6. Juni dürfen wieder Leichtathletik-Wettkämpfe bestritten werden. Wo treten Sie als Erstes an?
Salomé Kora: Das weiss ich noch nicht. Ich habe in den letzten Monaten eine Operation am Knie auskuriert, vor zwei Wochen bin ich wieder voll ins Training eingestiegen. Darum bin ich noch nicht ganz bereit. Aber es ist gut, dass es wieder losgeht. Der Wettkampf fehlt mir sehr. Das Kribbeln, das Adrenalin, der Ehrgeiz, das kommt jetzt langsam wieder.

Wie haben Sie in der Corona-Zeit trainiert?
Zu Hause in St. Gallen habe ich viele Treppenläufe absolviert, auf einer Strasse im Quartier habe ich Sprints trainiert, alles jeweils alleine. Was ich gemerkt habe: Man wird in solchen Phasen viel selbständiger. Wenn man sehr gut betreut ist, läuft man Gefahr, dass man selber weniger überlegt, sondern einfach macht, was man gesagt bekommt. Jetzt war ich stärker gezwungen, auf mich selber zu hören.

Wie sind Sie mit Ihren Kolleginnen aus der Staffel und der Trainingsgruppe in Kontakt geblieben?
Wir haben uns per Video-Call ausgetauscht. In der Trainingsgruppe, aber auch mit Kolleginnen wie Léa Sprunger und Ajla Del Ponte. Das war sehr hilfreich. Wenn du im Training immer allein bist, ist es manchmal schwierig, die Motiva­tion zu finden und zu sehen, wofür du etwas machst, wofür du arbeitest.

Salomé Kora ist froh, dass es nach der Corona-Pause endlich wieder mit den Leichtathletik-Wettkämpfen losgeht.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Leichtathleten sind in der Schweiz finanziell normalerweise nicht auf Rosen gebettet. Wie schlagen Sie sich in der Corona-Krise?
Ich lebe sowieso relativ sparsam. Ausser für den Sport brauche ich nur wenig Geld. Aber es ist klar, auch die Wettkämpfe, die jetzt noch stattfinden, werden nicht viel einbringen. Das ist einer der Momente, wo man merkt, welches Glück man hat, in einem so gut funktionierenden Land zu leben. Ich habe als Selbständige sogar einen Erwerbsausfall-Beitrag bezahlt bekommen. Ich wusste gar nicht, dass mir der zusteht, bis mich jemand darauf aufmerksam gemacht hat.

Wie viel bekommen Sie?
Es ist kein Betrag, der mich reich macht. Aber es ist eine Absicherung für den Ausfall von Sponsoren­prämien sowie Start- und Preis­geldern. Und ich sehe es auch als langfristige Sicherheit. Möglich, dass es für Sportler künftig schwieriger wird, Sponsoren zu finden, falls die Wirtschaft weiter in Not ist. Aber der Beitrag ist sicher eines der vielen Beispiele, die zeigen, warum ich es sehr schätze, in der Schweiz zu leben. Ein paar Sponsoren haben mir glücklicherweise auch in dieser schwierigen Phase weiterhin ihre Unterstützung zugesichert.

In der Schweiz haben Sie nicht immer gelebt. Als Kind lebten Sie fünf Jahre in Benin.
Von sechs bis elf waren wir mit unserer Familie dort. Mein Vater stammt aus dem Land, und meine Eltern haben dort eine Stiftung und ein Ambulatorium aufgebaut, im Busch, wo es sonst keine medizinischen Institutionen gibt. Darum sind wir als Familie für fünf Jahre dahin gegangen.

Wie war es für Sie, aus dem Schweizer Kindergarten nach Westafrika zu ziehen?
Für mich war es eine wahnsinnig schöne Zeit. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir etwas gefehlt hätte, der hohe Lebensstandard der Schweiz ist in dem Alter nicht so wichtig. Ich erinnere mich, dass es in Soudé, dem kleinen Dörfchen, in dem ich gelebt habe, sehr viele Kinder in meinem Alter gab. Wir hatten viel Freiheit. Und statt Disney-Filme hatten wir viel Natur. Es war schon fast schwieriger, danach in die Schweiz zurückzukommen.

Warum?
Da war ich elf Jahre alt, fast schon ein Teenager. Da ist es schwieriger, sich wieder umzustellen. Vor allem, weil es am Anfang ein ziemlicher Kulturschock war.

Ein Kulturschock?
Das Dorf in Benin war wie eine grosse Familie, jeder ging beim anderen ein und aus. Die Menschen sind offener. Das mag ein Klischee über die Afrikaner sein, aber ich habe es tatsächlich so erlebt. In der Schweiz ruft man dagegen vorher an, bevor man jemanden besucht. Die Leute sind distanzierter. Daran musste ich mich zuerst wieder gewöhnen. Aber heute verhalte ich mich oberschweizerisch und fühle mich auch so.

Hatten Sie Heimweh, als Sie in die Schweiz zurückmussten?
Ein Müssen war es nicht. Wir wussten ja von Anfang an, dass wir nach fünf Jahren zurückgehen würden, und wir sind auch jeden Sommer für die Ferien in die Schweiz zurückgekommen. Aber das Essen habe ich ein bisschen vermisst. Ich werde immer noch nostalgisch, wenn mein Vater ein Menü aus seiner Heimat kocht.

Wie war es, mit elf Jahren als Mädchen mit afrikanischen Wurzeln in Arnegg im Kanton St. Gallen neu in die 6. Klasse zu kommen?
Nicht immer einfach, wie für viele Leute, die aus einer komplett anderen Kultur zurückkommen, nicht wie der Durchschnitt aussehen. Das war in einer Lebensphase, in der man auf Identitätssuche geht, und die Tatsache, dass ich mit meiner dunklen Hautfarbe offensichtlich anders aussah als die anderen, war schon eine Herausforderung. In dem Alter wäre man gern wie alle anderen. Rückblickend sehe ich das aber als sehr lehrreiche und charakterbildende Zeit.

Im Gegensatz zu anderen Teenagern, die sich bewusst von ihrer Umwelt abzuheben versuchen, wollten Sie reinpassen.
Ich hatte nicht das Bedürfnis, mich anderweitig, wie beispielsweise mit rebellischen Aktionen, abzuheben. Das versuchen viele, das musste ich gar nicht erst. Lustigerweise waren ich und meine Schwestern uns schon aus Afrika gewöhnt, dass wir anders aussehen als der Grossteil der Bevölkerung: Als Mischlinge waren wir in Benin die Hellen, in der Schweiz sind wir die Dunkelhäutigen. Wenn ich in Niaro, dem Nachbarsdorf, auf den Markt gegangen bin, wurde ich schon manchmal ein wenig angestarrt. Die bekommen da eher selten weisse Menschen zu Gesicht. Negative Erfahrungen habe ich aber nie gemacht.

Haben Sie in der Schweiz Rassismus erlebt?
Man merkt, dass nicht alle Menschen gleich offen sind, das schon. Aber richtigen Rassismus habe ich noch nie zu spüren bekommen, zum Glück. Was zwischendurch vorkommt: dass Schweizer mich in der Schweiz auf Englisch ansprechen oder Hochdeutsch zu reden versuchen mit mir.

Dabei sprechen Sie breitesten St. Galler Dialekt.
Ich nehme das dann lustig. Die meinen das nicht böse, sondern wissen es einfach nicht besser. Und vielleicht lernen sie in diesem Moment sogar etwas.

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