Olympia-Medaille als Ziel
Mega-Trainingspensum soll Traum von Gulich/Röösli erfüllen

Über den Hoffnungslauf vom Montagmorgen erreichte das Ruder-Duo Gulich/Röösli doch noch den Halbfinal, wodurch der Traum von olympischem Edelmetall weiterlebt. Blick begleitete das Duo in seiner intensiven Vorbereitung und erlebte das brutale Training hautnah mit.
Publiziert: 29.07.2024 um 13:16 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2024 um 13:24 Uhr

Um an den Olympischen Spielen in Paris Medaillen abzuräumen, trainieren die Ruderer Andrin Gulich (25) und Roman Röösli (30) viel. Sehr viel.

Stunden, Tage, Wochen und Monate schuftete das Duo aus dem Zweier ohne Steuermann nach dem Traumjahr 2023 mit dem WM-Titel und Gesamtweltcupsieg über den Winter. Das grosse Ziel immer vor Augen: die Krönung in Paris.

Um kurz vor 7 Uhr beginnt das Schlurfen

In der Ruderszene erzählt man sich gerne, dass keine andere Sportart derart intensiv, hart und ausdauernd trainiert. Vor allem auch angesichts dessen, dass die Saison mit nur drei Weltcup-Rennen, einer EM, einer WM und Olympia kurz ist.

Im Morgengrauen gehts los: Die Ruder-Olympiahoffnungen Roman Röösli (Bild) und Andrin Gulich gehen an sechs von sieben Tagen aufs Wasser.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Höchste Zeit für einen Besuch im Training. Wie hart ist es wirklich?

Blick begleitet die Olympia-Hoffnungen Gulich und Röösli einen Tag im Trainingslager in Norditalien auf dem Lago di Varese. Eines wird schnell klar: Ruderer sind Frühaufsteher. Das Frühstück gibts ab 6.15 Uhr. Danach, es ist noch nicht ganz 7 Uhr und noch nicht ganz hell, als sich beim Bootshaus im italienischen Örtchen Gavirate das Geschlurfe von Gummistiefeln nähert. Die Gummitreter sind das unkomplizierteste Schuhwerk für den kurzen Gehweg von der Unterkunft zum See. Zum Aufwärmen im Bootshaus reichen die Socken. Röösli trägt den Pulli des australischen Ruder-Teams, er sitzt etwas verschlafen zum Aufwärmen auf einen Ergometer. Neben ihm: Gulich.

Die Weltmeister haben beim Cheftrainer keinen Bonus

Aber auch das ganze restliche Nationalteam ist da. Das Training findet gemeinsam statt, Männer und Frauen gemischt. Die Hierarchie ist strikt. Oben thront Cheftrainer Ian Wright (62), der Neuseeländer und seine englische Assistentin Kirby Gallie haben das Sagen. Unten ist das Team. Man sollte nicht auf die Idee kommen, dass Gulich/Röösli wegen eines WM-Titels im Vorjahr irgendwelche Vorzüge geniessen.

Aufwärmen, dehnen, Boote ins Wasser bringen. Es ist die pure Routine. Auch zum Tagesprogramm sagt Wright kaum was, es ist bekannt. Das Team wird am Vorabend per Whatsapp gebrieft. Es ist ein normaler Trainingstag. Normal ist: drei Sessions pro Tag, zweimal auf dem Wasser, einmal entweder auf dem Ergometer oder im Kraftraum. Ein enormes Pensum.

Frühmorgens gehts für zweieinhalb Stunden auf den See, nach 4 km Aufwärmen folgen 20 km Rudern mit vorgegebener Intensität. Es wird an den kleinsten technischen Details der Ruderbewegung gearbeitet. Das Trainerduo Wright und Gallie fährt den Athletinnen und Athleten mit ihren Motorbooten hinterher, via Megafon gibts knappe Anweisungen.

«Das ist ein eher lockerer Tag», sagt Röösli später, als er nach einer Blitzdusche um 10.30 Uhr mit Gulich beim zweiten Frühstück sitzt. Sie schildern, dass es oft mehr Kilometer sind als angegeben. «Wright rundet eher mal ab», heisst es. Beide lachen. Das harte Trainingsregime des Neuseeländers wird klaglos hingenommen. Gulich sagt: «Rudern besteht aus drei Elementen. Technik, Kondition und der mentale Bereich. Es muss alles trainiert werden. Unter Stress und Müdigkeit die Technik immer noch sauber hinzukriegen, ist das Wichtigste.»

Die Erfolge geben Wright recht. Er führte den Schweizer Vierer in Rio 2016 zu Olympia-Gold, Swiss Rowing holte ihn 2021 für den Paris-Zyklus ins Hauptquartier in Sarnen OW zurück. Der Cheftrainer, Typ Schleifer, scheint unnahbar, doch das gilt eigentlich nur für seinen Job. Als Blick mit dem knorrigen Neuseeländer auf dem Begleitboot mitfährt, kommt er regelrecht ins Plaudern. Über seine Familie in der fernen Heimat, über Dinge, die ihn als Ausländer in der Schweiz stutzig machen, etwas Spott über verweichlichte Fussballer. Oder etwas Ärger über italienische Boote, die auf dem See lästige Wellen schlagen.

Das Zehnfache der Renndistanz vor dem zweiten Frühstück

Nur bei Fragen zur Trainingsphilosophie antwortet Wright knapp. Ob es aus sportwissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist, Männer und Frauen dasselbe Programm leisten zu lassen, bügelt er ab: «Sie rudern ja auch in den Rennen dieselbe Distanz.» Ein Ruderrennen geht über 2 km.

Gulich und Röösli haben also schon in der ersten Einheit das Zehnfache gerudert. Nach dem zweiten Frühstück, es ist 12 Uhr, gehts erneut aufs Wasser. Röösli bekommt eine Spezialkonstruktion ins Boot. Ein Stück Besenstiel wird mit Klebeband so montiert, dass er beim Zurückrollen mit dem Rücken das Holz berührt. So soll der Luzerner sich die ideale Rolldistanz besser einprägen. Diesmal auf dem Zettel: 15 km mit höherer Intensität, dazu Startübungen. «Ihr alle steht viel zu weit links in den Bahnen, come on», ruft Wright seiner Flotte zu.

Die Serie mit den Starts geht ziemlich an die Substanz. Wieder Blitzdusche. Wieder Essen. Diesmal Mittagessen, auch wenns schon 13.30 Uhr ist. Gulich, Röösli und der Rest des Teams greifen zu, das heisse Büffet ist auf den Bärenhunger der Ausdauersportler ausgerichtet. Das Team ist müde. Gewitzelt und gelacht wird trotzdem.

Die Schweizer sitzen im Speisesaal des australischen Sportinstitutes. Die Aussies unterhalten am Lago di Varese einen Europastandort, den auch fremde Nationen nutzen können. «Die Köchin liebt uns Schweizer», erzählt Röösli. «Den Schlagrahm für den Schokoladenkuchen tischt sie erst auf, wenn die Norweger gegangen sind.»

Nickerchen am Nachmittag – und Studium

Die beiden Ruderer pressieren beim Essen. Röösli plant in der Unterkunft im nah gelegenen Hotel Sunset ein Nickerchen. Sein Zürcher Kollege hingegen will die knappe Zeit für sein Studium nutzen.

Um 16 Uhr gehts zur dritten Session des Tages auf den Ergometer. Die Ruderer geben nochmals Vollgas, der Schweiss fliesst. Etwas Stretching schliesst den Tag ab. Rööslis Fazit: «Ich bin müde, aber nicht total kaputt. Die Morgensession war nicht so intensiv. Das ist aber eher selten. Es gibt schon Tage, wo man jede Faser im Körper spürt.»

Dritte Dusche, Abendessen um 19 Uhr. Risotto, Pouletschenkel, Gemüseburger, Bresaola, Crème Caramel. Irgendwann am Abend kommt Wrights Nachricht mit dem Programm des nächsten Tages aufs Handy. Das sechs Mal die Woche. Ob die Ruderer wirklich am härtesten im ganzen Sport-Universium trainieren, bleibt offen, Vergleiche sind schwierig. Aber ein krasses Mega-Pensum ist es auf jeden Fall. Im Halbfinal vom Mittwoch (ab 10:34 Uhr) zeigt sich, ob es sich gelohnt hat.

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